II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 707

16. 1. Lebendige stunden Zuklus box 21/5

S
Kleine Chronik.

Wien, 31. Dezember.
[Kammerspiele.! Zum erstenmal: Das Einakter¬
triptychon „Ehe“ eines ersichtlich jungen Autors, F. N. Mer¬
ley. „Ehe“, das heißt natürlich Ehebruch, jenes beliebte Dreieck:
die mondaine Frau, der überlegene Verführer, der Gatte als
Hahnrei; der vormals auf unseren Bühnen so beliebt gewesene
„gallische Hahn“ hat diese Melodie oft genug und in allen Ton¬
arten gekräht, jetzt beginnt er sich, wie es scheint, wieder bei uns
einzunisten. In dam ersten dieser Stückchen „Der Traum“
stolziert er romantisch umher. Eine Don Juan=Geschichte, die
Mitwirkenden sind der Hofschauspieler Johann Thal, Mina, seine
Frau; der Leporello heißt Leo v. Schoen. Diesmal haben wir
zur Abwechflung einen Don Juan, der selbst betrogen wird,
noch dazu von seinem Leporello — ein Traum im Schlafgemach
der nicht eben von Tugend übertrieben beschwerten Gattin gibt
dem Don Juan als Gatten diesen Sachverhalt kund, worauf er
sich — es ist ein bißchen spät — ehelich zu bessern vornimmt.
Dieser Traum ist nur ein Alpdruck, nicht mehr. Die einzige
Rechtfertigung des so oft mißbrauchten Traummotivs in der
Dichtung fehlt: die phantastische Erhellung verborgenster Winkel¬
züge der Seele. Man deukt bei diesem Anlaß an Schnitzlers
„Frau mit dem Dolch“, dieses geistreiche Seelenspiel von Traum
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und Wirklschkeit. Es wäre unbillig, den jugendlichen Verfasser,
der in seinem Einakter einen gewissen Sinn für Form und
Farbe erwiesen hat, mit diesem Maß zu messen. Auch das zweite
Stück Merleys, „Das Lachen“, ist Anatol=Schuitzlerisch, gefärbt.
Die junge Frau auf Besuch bei dem jungen Herrn. Da tritt
der Gatte in das Zimmer — düster, drohend, und eine Szene
entwickelt sich, in deren Verlauf Gatte und Liebhaber sich weniger
theatergemäß, menschlicher bekunden, als man vermutet hat. Und
die Frau verläßt den debütierenden Liebhaber lachend weil er
sich mnenschlich erwies. Der junge Herr, die junge Frau, der
molnarisch glitzernde Dialog — das sind bereits Klischees ge¬
worden. Aber die Figur des Gatten, mit wenigen Strichen sicher
gezeichnet, seine knappen, untrüglichen Worte zeigen, daß von
diesem jungen Autor vielleicht manches zu erwarten wäre. Zumal
ihm ein Ausflug in das Rodauner Gelände des „Jungen Wien“
zuletzt noch gelungen ist. „Die Maske“, ein Schauspiel in
„Reimen, heißt diese letzte, die jungwienerische „Note“ von einst
mit bereits routinierter Grazie festhaltende Bluette. Amor wieder
als junger Herr, der einen zu bequemen Gatten durch ein —
an sich etwas äußerlich unwahrscheinliches — Maskenspiel
kuriert. Gefällige Verse, die wieder manche Möglichkeiten eröffnen
für ein künftiges Kostümlustspiel. Das Publikum nahm sie
i gern für gegeben an und applaudierte dem Autor. Herr Bonn
als betörten, bedrablicher und schlafbedürftiger Ehemann. Fräu¬
mnd Treen 930, Wien.
310r, 16210
100
Abendblan