II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 1), Lebendige Stunden. Vier Einakter, Seite 706



Kaffeehausliteraten. Und sie erkauft sich ein
Liebesglück mit ihrem geliebten Baron (ein
Glück, das auf keine grossen Worte und hohlen
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Illusionen gebaut ist, sondern auf handgreif¬
liche bürgerliche Sicherheiten und frische Sinnen¬
freude) durch den Flammentod ihres Romans,
der"sozusagen das Meiste enthält, was über
das Meiste zu sagen ist,?' und der sich jetzt,
da auch ein ihr früher sehr nahe stehender
(Dichter“ dieses Meiste mit Zuhilfenahme der¬
selben Briefe — ihrer und seiner — behandelt
hat, sehr gefährlich und kompromittierend zwi¬
schen sie und ihr sicheres Glück stellt.
Was Schnitzler hier mit unnachahmlicher
Grazie und in köstlichen, feingeschliffenen Zwei¬
und Dreigespräch darstellt, ist in freilich ganz
anderer Behandlung auch der Vorwurf von Hof¬
mannsthalsTor und Tod.?' Auch dies Stück
könnte man mit gutem Recht“ Lebendige Stun¬
den?' benennen. Freilich ist Claudio, der Er¬
lebende, hier keiner von Schnitzlers Literaten.
Er ist einer von jenen Hofmannsthalschen
Abenteuerern,? die von der Natur mit vielen
Gaben beschenkt, von einer langen Reihe mit
Glücksgütern gesegneter Vorfahren her mit
Si
überzarter, überkultivierter Seele begabt, lebens¬
durstig ihr Erleben mehr in der Breite als in
der Tiefe suchen. Mit Faust könnten sie spre¬
Be
chen:
##Ich bin nur durch die Welt gerannt,
Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,
Was nicht genügte, liess ich fahren,
Was mir entwischte, liess ich ziehn.?? —
So tauml’ ich von Begierde zu Genuss,
Und im Genuss verschmacht ich nach Begierde.)/B.
Und während naive, einfache Naturen an dem
Ergebnis mit ihnen zu Grunde gehn, aber das
Leben zugleich in seinen tiefsten Tiefen und
seiner höchsten Glückseligkeit auskosten, sind
*
sie diesen Abenteueren nur ein Spielzeug, das; v
sie sattgespielt von sich werfen. Denn nirgends g
findet ein Mann wie Claudio das in der Welt, 18
was sein Kindersinn ahnend vorausgestaltet,
vorausgefordert hat, eben weil er sucht, weil er
sucht, weil er fordert statt zu geben. Die an¬
dern, die Mutter, die Geliebte, der Freund geben
ichganz, binden sich, schenken aus ihrer
Fülle. Fr nippt an jedem Becher, denkt schon
des nächsten, dessen köstlichere Gabe er ver¬
säumen könnte, wenn er nicht weitereilte, und so
zerrinnt ihm alles Wahre, Grosse, Tiefe:
#/So hab ich mich in Leid und jeder Liebe,
Verwirrt mit Schatten nur herumgeschlagon,
Verbraucht, doch nicht genossen alle Triebe,
Im dumpfen Traum, es würde endlich tagen.?'
Und nun kommt auch ihm die lebendige
Stunde. Der Tod erscheint ihm, kein Gerippe,
sondern ein grosser Gott der Seele.
4Wenn in der lauen Sommerabendfeier
Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt,
Hat dich mein Wehen angeschauert,
Das traumhaft um die reifen Dinge webt,
Wenn Ueberschwellen der Gefühle
Mit warmer Flut die Scele zitternd füllte,
Wenn sich im plötzlichen Durchzucken
Das Ungeheure als verwandt enthüllte,
Und du, hingebend dich im grossen Reigen
Die Welt empfingest als dein eigen:
In jeder wahrhaft grossen Stunde,
Die schauern deine Erdenform gemacht,
Hab ich dich angerührt im Seelengrunde
Mit heiliger, geheimnisvoller Macht.“
Die verborgene Geistenweit,
Die unser Busen heimlich hält
Verschüttet, dem Bewusstsein so verschwiegen,
Wie Blumen im Geröll verschüttet liegen,??
erwacht in Claudio. Er erkennt des Todes