II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 1

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16.4. Literatur
Telephon 12801.
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Ausschnitt
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Nr. 54
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Ausschnitt aus:
apliher Ruuusie Maebrichten
vom:
4110710 7
Theater und Musik.
Matinée des Vereins Leipziger Presse.
[„Die Frauim Fenster“ von Hugo v. Hofmannsthal und Anderes.!
Drei Damen hatten sich gestern Vormittag im Carolatheater ein Stell¬
dichein gegeben, die eine litterarisch angehaucht, die andere künstlerisch, die
dritte — ja diese geheimnißvolle dritte war ein Wesen, das sich mit einem
Worte nicht bezeichnen läßt, wenigstens ist dieses eine Wort fur
gefunden. Wir könnten sie sinnlich=übersinnlich
sie noch nicht
einem Worte Mephistos, der zu Faust sagt:
nennen, nach
„Du sinnlicher übersinnlicher Freier“, da aber Faust außer dem
rubelosen Begehren nach Genuß mit der Dame wenig gemein hat, so
Für 50
dürfte die Bezeichnung doch nicht ganz zutreffen. Die in Liebessehnsucht
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Zerschmelzende, die in Stimmungen Schwelgende, die Verzückte, das alles
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würde erst miteinander verbunden das Wesen der Dame ergeben, und
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das wäre langweilig. Hugo von Hofmannsthal findet sich mit der Dame,
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einer Tochter seiner Poesie, kürzer und prosaischer ab, er nennt sie einfach:
Im
„Die Frau im Fenster“. Dieser Titel ist aber auch das einzige Unpoetische an ihr.
Abonnem
Denn man mag an dieser bis ins Krankhafte raffinirten Stimmungs= und Gefühls¬
Abonnent
malerei aussezen, was man will, man muß doch zugeben, daß diese ge¬
sprochene Musik aus lauter poelischen Noten zusammengesetzt ist. Da i#t
keine, die den Rhythmus oder die Harmonie störte, wie ein einziger, lange
Inhaltsan
anhaltender Sohärenklang tönt diese fast überirdische Weise dahin. Es ist
blätte
leicht, darüber zu spotten, schwer, sie nachzuahmen, und sie soll auch nicht
wodurch
nachgeahmt werden; denn zu absonderlichen Empfindungen gehört auch
Leben de
eine absonderliche Seele, und die kann sich vom Dichter Niemand aus¬
theilung
borgen. Ideencapricen lassen sich schon leichter imitiren — Stimmungen
nicht, und Hugo v. Hofmannsthal braucht ebenso wenig eine Fabrikmarke
zum Schutze seines geistigen Eigenthums wie etwa Maeterlinck: denn
poctische Stimmungen muß man haben; man kann sie sich nicht machen,
und sie sind immer beneidenswerth, so extravagant sie auch sein mögen.
Giebt man die eigentliche Handlung des einactigen, bei der Aufführung
etwa dreiviertel Stunden in Anspruch nehmenden Dramas mit kurzen
Worten wieder, so fragt man sich unwillkürlich: wie hat dieser dürre Stoff
ein Theaterstück ergeben können, ohne daß es dem Preise der Lächerlichkeit
verfallen wäre? Dianora steht auf dem Balcon — oder am, oder im
Fenster, wie man will — und sehnt die Nacht herbei, um den Geliebten
empfangen zu können. Sie läßt in der Erwartung, daß der Heißersehnte
kommen werde, eine Strickleiter hinab, ihr Gatte überrascht sie debei und
tödtet sie. Schluß! In der normalen Wirklichkeitssprache, deren sich
Dichter wie Publikum bisher bedient haben, würde dieser Einacter
komischen Eindruck machen wie etwa der geschundene
einen so
Raubritter oder dergleichen gute Sachen. v. Hofmannthals übersinnliche
Diction macht das Stück möglich. Seine Dianora spricht einen ganzen
Seynsuchtsrausch. Sie schaut hinaus über Park, Landstraße und Felder,
und beobachtet alle kleinen Vorgänge, die darauf schließen lassen, daß nun
die Sonne bald Abschied nehmen werde, um der Nucht und der
Ruhe der Natur, ihr Recht zu geben. Langsam, ganz langsam kommt
die Dämmerung, bis endlich die Schatten der Bäume ganz aufgesogen
erschemen vom Erdboden. Wie hat sie diese Zeit herbeigesehnt. Wie
hat sie sich gequält, den grausamen langen Tag mit tausend Kleinig¬
keiten hinzubringen, wie ist sie hier und dorthin gegangen, durch
doch jetzt ist's Abend, die Dunkelheit hülit
den Park, hinauf, hinab ——,
die Natur in ihr schützendes Gewand. Dianora beseitigt die seidene Strick¬
leiter an der Balustrade, sie beugt sich nieder, ihr üppiges, langes, seiden¬
weiches Haar hängt hinab, sie svielt damit wie ein Kind spielt. Da —
ein Geräusch — er kommt, nein es ist die Amme, die vergessen hatte, die
durstigen Blumen zu gießen. Sie spricht mit ihr — von dem spanischen
Ordensbruder, der jetzt alle Weit durch seine Predigten fesselt, durch seine
wunderbare, hyononisirende Stimme. Dianora will morgen mit der Amme
in die Kirche gehen, um diese Stimme zu hören, den bezaubernden Klang
seiner Worte, ach, sie hört die Männer so gern, die schon durch den
Ton ihrer Sprache eine so unnebare seelische Einwirkung haben. Dann
kommt das Gespräch auf Dianoras Gatten, auf seine Riesenkraft und auf
das kleine Ungluck, das ihm jüngst zugestoßen — ein Pierd hat ihn im
Stalle in die Hand gebissen und er hat das Thier mit einem Schlage
seiner gewaltigen Faust so schwer getrossen, daß es taumelte. Und dann