II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 12

16.4. Literatun box 22/3
Vertretungen in Berlin, Chienge,
Sekholm.
Ausschnitt aus:
2
Genen
Dr Laipzig und Umans
vomt 4 4 27 271


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Matinée des Vereins Leipziger Presse.
Man soll mir ein offenes Bekenntniß gestatten: Als ich am gestrigen
Synntag Vormittag das viereckig=ungeschickte „Carola=Theater“
verließ, allwo unter Herrn Alban von Hahn's umsichtiger Regie
ee Wohlthätigkeits=Vorstellung des Vereins „Leipziger Presse“.
stattgefunden, war ich äußerst angenehm enttäuscht. Hatte ich doch
den braven Leipziger Preßgenossen alles andere zugetraut, nur keine Klage
unserer modernen, unserer allermodernsten Litteratur. Und
Für
hier? Von Hofmannsthal über Schnitzler hinweg zu
Hartleben hinunter. Ja gewiß, so ist die Reihenfolge richtig.
Litterarisch am wenigsten bedeutend giebt sich Hartleben. Seine
Muse trägt kein verklärtes Antlitz. Sie wirkt entweder durch ulkige
Grimmassen oder sentimalen Gemüthsaufguß, durch den die Gefühle des
Ab
Publicums überreichlich überzuckert werden. Man lacht oder möchte heulen:
Abo
Theaterwirkung durch Kontrafte. Doch, witzig ist Hartleben. Seine
satirengewürzte „Sittliche Forderung“ gehört zu dem Toll=Uebermüthigsten,
was unsere heutigen Lustspielfabrikanten an leidlichen Mustern hervor¬
Inha
gebracht haben.
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Käme Schnitzler's prachtvoller Einacter „Litteratur“. Dieses
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Lustspiel steht im Cyklus „Lebendige Stunden“, der neulich im
Lebel
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Berliner „Deutschen Theater“ mit recht getheiltem Erfolge gespillt wurde.
Schnitzler ist auch in seiner neuesten Schöpfung ein Fein= und
dabei noch außerdem ein Freigeist. Fein: Er spricht nur zu Menschen
von wirklich gediegenem Bildungsfonds. Anders ausgedrückt: Er kitzelt
nicht — wie beispielsweise das Litteraturmeerschweinchen Otto Ernst
seine Zuhörer durch grobe Reizmittel, die selber den Dünimsten auf¬
„stacheln. Nein, Schnitzler's Witz geißelt. Aber jene Geißel hat ein
Seidengeflecht. Und so wirkt dieses süße Marterinstrument in den
Händen eines litterarischen Banausen einfach trivial. Stumpfbolde zer¬
knittern diese Fein=Geißel, ohne sie jemals gebraucht zu haben,
ohne sie jemals auf sich einwirken zu lassen.
Schnitzler ist ein Freigeist: Er präsentirt seinesgleichen
einen blendenden Wahrheitsspiegel. In dieser Manipulation liegt Muth,
Kraft ... liegt Heroismus. Das Lustspiel „Litteratur“ enthüllt
die schwerste Anklage gegen die verlogene Moderne. Gegen jene
Ueber schreibselei unserer Tage, deren Grundton Lüge, deren
„sterilisirte“ Gewandung „Phrase des Selbsterschwindelten“
heißt. In dieser Entschleierung eines gewissen „dichtenden“
Lumpenthums wirkt Schnitzler bannfluchend: Auch in Leipzig
haben wir solche verlogenen Litteraturschwengels à la Hilbert. Ana¬
thema sit!
Am Anfang gub man Hugo v. Hofmannsthal's einactiges Schauspief
„Die Frau im Fenster“. Soll ich von einem Epilog, soll ich von einem
Prolog auf das Leben sprechen? Beides ist richtig. In beiden Fällen
klingt und singt die nervenbeängstigende Seite der Weltensehnsucht. Hinaus
aus der räumlichen Beschränktheit des Hauses! In's Leben hinaus, wo sich
die Kraft des Geschlechtes in freier Liebeswahl aufbäumt. Wo keine
enge Fensterumrahmung bloß einen Ausblick in
Leben gewährt. Nein, wo das Leben dahinströmt wie ein Sturzback
daß glühende Menschenglieder sich baden in solchen Fluthen kühlende
Ströme. In's Leben! Und doch bleibt man zurück zwischen den herz
beklemmenden Pfosten lusteindämmender Häuslichkeit. In's Leber.
Und doch hat man keinen Muth zum kraftvollen Sprunge aus dein
Fenster! In's Leben. Und doch ist uns keine Strickleiter zur Han),
die wir mit muthgeschwellter Faust vom Simse abreißen, wenn
wir wirklich einmal auf Freiheit athmendem Boden anlangten.
Hugo von Hofmannsthal, ein blutjunger Zwanziger, sagt uns
das Alles in einem Monologe, dessen Sprache sich flüsstger als Lethe,
durchsichtiger als Bergkrystall giebt: Fluthen aus dem Bronnen wahrer
Poesie. Hugo von Hofmannsthal spricht vielleicht zu viel.
Aber dieses „zu viel“ belästigt nicht. Wirkt auch nicht einschläfernd.
Beängstigt uns höchstens: Fluthwellen gewährt das
Leben, nicht winzige Thautropfen!
In „Litteratur“ von Arthur Schnitzler spielten neben dem
brillanten Fräulein Serda vom Dresdener Königl. Schauspiel die Herren
Huth und Grelle, Mitglieder des hiesigen Stadttheaters. Man
mimte sehr flott. Nur Herr Huth hatte in seiner Maske ein wenig
danebengegriffen: Hilbert ist Litteraturroué. Damit ist alles aus¬
gedrückt. Herr Grelle gab sich äußerst burschikos als Clemens und
dabei doch vornehm: Einfach köstlich! Dasselbe gilt von Fräulein Serda,
die hoffentlich recht bald die Unsere wird.
In Hofmann's „Die Frau im Fenster“ lag die einzige
Rolle — zwei fast möchte ich sagen stigmatisirende Nebenpartien kommen
nicht in Frage — in den Händen des Fräulein Albertine Zehme.
Ihre Leistung als Mado. na Dianora verdiesst alles Lob. Nur hätte die
Dame mit dem Accent übermäßigen Pathos' nicht zublel in jenen Mo¬
menten arbeiten sollen, wo das rein Natürliche alle Schranken des
Conventionellen durchbricht: Wo das Weib auf eigenen Füßen
steht. In solchen Augenblicken gehört der Kothurn vom Fuße der
Künstlerin weg. Fräulein Zeh#e aber behielt ihn an. Und das war
nicht im Sinne der Dichtung.
Das Haus war reichlich besegt. Der Beifall besonders nach Schnitzler's
„Litteratur“ herzlich, aber nicht —
Die am Tage vorher dei 5i
Ernst schmutztriefender und inhaltloser „Größten Sünde“ — auf¬
dringlich.
Leider zog sich diese im Ganzen wohlgelungene Matinée bis
in die dritte Nachmittagsstunde hinaus. Wodurch die Magenfrage des
Publicums, noch dazu an einem Sonntage, ungelöst blieb.
Artur Pleißner.