16.4. Literatur box 22/3
—8. J. 4
Fürstliches Theater.
Gera, 6. März 1904.
Literatur.
Lustspiel in 1 Akt von Arthur Schnitzler.
Schnitzlers Einatter=Zyllis Lebendige Stünden“,
dem das gestern aufgeführte Lustspiel „Literatur“ ent¬
nommen ist, gehört zum Originellsten, was uns die
neuere Literatur gebracht hat. Alle vier Einakter be¬
handeln das Problem des Verhältnisses von Kunst
und Leben, führen den Künstler, seines ganzen Nimbus
entkleidet, vors Publikum. Von den vier in Stim¬
mung wie Ton wechselnden und doch geistig
zusammengehörenden Einaktern wird der letzte, „Lite¬
ratur", dem Publikum immer am besten gefallen,
denn er ist unendlich lustig und von einer sprühenden,
erschütternden Komik. Er behandelt mit allerdings
etwas starker Würze die leichtfertigen Liebesverhältnisse
einer schriftstellernden Dame. Margarete, eine geschiedene
Frau, eine Literatur=Dame, schlau und albern zugleich,
prickelnd, fesselnd und abstoßend, wird den Sportsmann
Baron Clemens heiraten, den sie in der Münchner Bohème
kennen gelernt hat. Das Glück beider wäre unge¬
trübt, wenn Margarete nicht eine literarische Ver¬
gangenheit hätte, wenn sie nicht Gedichte verbrochen
und sie hätte drucken lassen; denn Baron Clemens, ob¬
wohl er ein Dutzend stadtbelannter Verhältnisse ge¬
habt hat, ist der Literatur aus dem Grunde recht
gram, weil sie diskrete Erlebnisse sehr indiskret der
Oessentlichkeit preisgebe. Er meint: „Stadtbekann
hin, sta# bekannt her, — ich hab's niemandem erzählt,
ich hab's nicht drucken lassen, wenn mir eine an
den Hals gehängt ist, und ein jeder hat sich's um
einen Gulden fünfzig kaufen können! Darauf
kommt's an! Ich weiß ja, daß es Leute gibt, die
davon leben; aber ich find' es im höchsten Gras¬
unfein. Ich sag' Dir, mir kommt's ärger vor, als
wenn sich eine im Trilo: als griechische Statue beine
Ronacher hinausstellt. So eine griechische Statue
sagt doch nicht Man! Aber was so ein Dichter alles¬
ausplauscht, das geht über den Spaß!“ Margarete
kann das Schriftstellern dennoch nicht lassen, sie hat
soeben einen Roman vollendet, dem ihr Verhältnis zu
einem früheren Liebhaber, dem Münchner Dichter
Gilbert, zu Grunde liegt. Im Roman sind auch die
Briefe enthalten, die sie mit Gilbert gewechselt hat,
aber nicht bloß seine, sondern auch ihre Briefe; denn
die hatte sie sich — es ist zum Kranklachen — vorher
aufgesetzt. Clemens wird wütend, als er hört, daß
der Roman bereits gedruckt ist und in wenigen Tagen er¬
scheinen wird, und gehtärgerlich weg. Der Zufall fügt es,
daß just in diesem Augenblick Gilbert bei seiner früheren
Geliebten erscheint, und während beide miteinander
plandern, stellt sich heraus, daß er auch einen Roman
geschrieben hat und auch die Briefe hineingenommen
hat, die seinigen und die ihrigen. Die seinigen hat er
sich zwar nicht, wie sie, vorher aufgesetzt, sondern
nachher erst abgeschrieben. Sein Roman ist bereits
erschienen, und wenn der ihrige auch erschiene, würde es
einen europäischen Standal geben. Und Clemens?
Der würde an Gilbert fürchterliche Rache nehmen, ab¬
gesehen davon, daß er jetzt nach Margaretens Mei¬
nung recht hat. „Ja, Clemens hat recht. Aerger als
die Weiber beim Ronacher sind wir, die sich in Tri¬
kots hinausstellen. Unsere geheimsten Seligkeiten,
unsere Schmerzen stellen wir aus! Pfui! Pfuik
Mich ekelt ja vor mir!“ Aber alles wendet sich zum
Guten. Der Baron bewahrt Margarete unbewußt
von dem drohenden Skandal. Er hat die ganze Auf¬
lage beim Verleger aufgekauft und einstampfen lassen
Nur ein Exemplar hat er behalten und ihr mitge¬
bracht, das sie jetzt gleich zusammen lesen wollen. Ent¬
setzlich! Wenn er die Briefe dann doch in Gilberts
Buch fände! Doch die schlaue Komödiantin weiß Rat!
Sie schleudert das Buch ins Feuer und lehnt sich dann
an Clemens: Clemens, wirst Du mir jetzt glauben,
daß ich Dich liebe?" Die verfänglichen Briefe wird
er zwar in Gilberts Roman lesen, aber er wird nicht
wissen, daß sie nicht erfunden sind.
Die graziösen Witzraketen der espritvollen Komödie,
die den mit ihren „lebendigen Stunden“, d. h. mit ihren
Liebesabenteuern hausierenden Handwerkern der Litera¬
tur einen Helden der Ställe, einen Verächter der
Federn entgegenstellt, fanden bei unserem Publikum
volles Verstandnis. Es wurde viel und herzlich ge¬
lacht. Herr Faber gab den Dichter Gilbert einfach
prachtvoll, so naturwahr und überzeugend, daß selbst¬
Schnitzler an dieser Leistung seine Freude gehabt
hätte. Frl. Grobe als Margarete und Herr Mame¬
lock als Baron entledigten sich ihrer Aufgaben mit
Takt und Geschmack. Nach dem Einakter wurde Gocthes
Lustspiel „Die Mitschuldigen“ aufgeführt, das
erst vor kurzem an dieser Stelle ausführlich besprochen
wurde und gestern, ebenso wie bei der ersten Aufsühe
runa. eine beifällige Aufnahme fand.
—8. J. 4
Fürstliches Theater.
Gera, 6. März 1904.
Literatur.
Lustspiel in 1 Akt von Arthur Schnitzler.
Schnitzlers Einatter=Zyllis Lebendige Stünden“,
dem das gestern aufgeführte Lustspiel „Literatur“ ent¬
nommen ist, gehört zum Originellsten, was uns die
neuere Literatur gebracht hat. Alle vier Einakter be¬
handeln das Problem des Verhältnisses von Kunst
und Leben, führen den Künstler, seines ganzen Nimbus
entkleidet, vors Publikum. Von den vier in Stim¬
mung wie Ton wechselnden und doch geistig
zusammengehörenden Einaktern wird der letzte, „Lite¬
ratur", dem Publikum immer am besten gefallen,
denn er ist unendlich lustig und von einer sprühenden,
erschütternden Komik. Er behandelt mit allerdings
etwas starker Würze die leichtfertigen Liebesverhältnisse
einer schriftstellernden Dame. Margarete, eine geschiedene
Frau, eine Literatur=Dame, schlau und albern zugleich,
prickelnd, fesselnd und abstoßend, wird den Sportsmann
Baron Clemens heiraten, den sie in der Münchner Bohème
kennen gelernt hat. Das Glück beider wäre unge¬
trübt, wenn Margarete nicht eine literarische Ver¬
gangenheit hätte, wenn sie nicht Gedichte verbrochen
und sie hätte drucken lassen; denn Baron Clemens, ob¬
wohl er ein Dutzend stadtbelannter Verhältnisse ge¬
habt hat, ist der Literatur aus dem Grunde recht
gram, weil sie diskrete Erlebnisse sehr indiskret der
Oessentlichkeit preisgebe. Er meint: „Stadtbekann
hin, sta# bekannt her, — ich hab's niemandem erzählt,
ich hab's nicht drucken lassen, wenn mir eine an
den Hals gehängt ist, und ein jeder hat sich's um
einen Gulden fünfzig kaufen können! Darauf
kommt's an! Ich weiß ja, daß es Leute gibt, die
davon leben; aber ich find' es im höchsten Gras¬
unfein. Ich sag' Dir, mir kommt's ärger vor, als
wenn sich eine im Trilo: als griechische Statue beine
Ronacher hinausstellt. So eine griechische Statue
sagt doch nicht Man! Aber was so ein Dichter alles¬
ausplauscht, das geht über den Spaß!“ Margarete
kann das Schriftstellern dennoch nicht lassen, sie hat
soeben einen Roman vollendet, dem ihr Verhältnis zu
einem früheren Liebhaber, dem Münchner Dichter
Gilbert, zu Grunde liegt. Im Roman sind auch die
Briefe enthalten, die sie mit Gilbert gewechselt hat,
aber nicht bloß seine, sondern auch ihre Briefe; denn
die hatte sie sich — es ist zum Kranklachen — vorher
aufgesetzt. Clemens wird wütend, als er hört, daß
der Roman bereits gedruckt ist und in wenigen Tagen er¬
scheinen wird, und gehtärgerlich weg. Der Zufall fügt es,
daß just in diesem Augenblick Gilbert bei seiner früheren
Geliebten erscheint, und während beide miteinander
plandern, stellt sich heraus, daß er auch einen Roman
geschrieben hat und auch die Briefe hineingenommen
hat, die seinigen und die ihrigen. Die seinigen hat er
sich zwar nicht, wie sie, vorher aufgesetzt, sondern
nachher erst abgeschrieben. Sein Roman ist bereits
erschienen, und wenn der ihrige auch erschiene, würde es
einen europäischen Standal geben. Und Clemens?
Der würde an Gilbert fürchterliche Rache nehmen, ab¬
gesehen davon, daß er jetzt nach Margaretens Mei¬
nung recht hat. „Ja, Clemens hat recht. Aerger als
die Weiber beim Ronacher sind wir, die sich in Tri¬
kots hinausstellen. Unsere geheimsten Seligkeiten,
unsere Schmerzen stellen wir aus! Pfui! Pfuik
Mich ekelt ja vor mir!“ Aber alles wendet sich zum
Guten. Der Baron bewahrt Margarete unbewußt
von dem drohenden Skandal. Er hat die ganze Auf¬
lage beim Verleger aufgekauft und einstampfen lassen
Nur ein Exemplar hat er behalten und ihr mitge¬
bracht, das sie jetzt gleich zusammen lesen wollen. Ent¬
setzlich! Wenn er die Briefe dann doch in Gilberts
Buch fände! Doch die schlaue Komödiantin weiß Rat!
Sie schleudert das Buch ins Feuer und lehnt sich dann
an Clemens: Clemens, wirst Du mir jetzt glauben,
daß ich Dich liebe?" Die verfänglichen Briefe wird
er zwar in Gilberts Roman lesen, aber er wird nicht
wissen, daß sie nicht erfunden sind.
Die graziösen Witzraketen der espritvollen Komödie,
die den mit ihren „lebendigen Stunden“, d. h. mit ihren
Liebesabenteuern hausierenden Handwerkern der Litera¬
tur einen Helden der Ställe, einen Verächter der
Federn entgegenstellt, fanden bei unserem Publikum
volles Verstandnis. Es wurde viel und herzlich ge¬
lacht. Herr Faber gab den Dichter Gilbert einfach
prachtvoll, so naturwahr und überzeugend, daß selbst¬
Schnitzler an dieser Leistung seine Freude gehabt
hätte. Frl. Grobe als Margarete und Herr Mame¬
lock als Baron entledigten sich ihrer Aufgaben mit
Takt und Geschmack. Nach dem Einakter wurde Gocthes
Lustspiel „Die Mitschuldigen“ aufgeführt, das
erst vor kurzem an dieser Stelle ausführlich besprochen
wurde und gestern, ebenso wie bei der ersten Aufsühe
runa. eine beifällige Aufnahme fand.