II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 40

Telephes 12.#91. K
„ODSERVEK
# östere. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitunge-Aueschaltts
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
en Bestin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiankl,
auf, Koßenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
Nom-Verk, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
(Gucllenengabe ehme Gewähr.
Ausschnitt, al
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dische Zeitung, Bresias
vom:
Breslauer Sommertheater.
„Candida.“
Erstes Gastspiel Alexander Moissi und Maria Karsten.
Bernhard Shaws Mysterium „Candida“, das in Breslau zum
ersten Male im Mai 1904 durch Direktor Barnowsky aufgeführt wurde,
gilt, wenn nicht als das beste, so doch als das poetischste Werk des viel¬
umstrittenen Irländers. Shaw schrieb es unter dem Eindruck eines
Aufenthalts in Florenz, wo die herbe Religiosität der mittelalterlichen
Kunst ähnlich auf ihn wirkte, wie ein paar Jahrzehnte vorher auf die
sogenannten englischen Präraphaeliten. Man hat „Candida“ deshalb
auch ein präraphaelitisches Drama genannt, wenngleich der kühlere Be¬
urteiler keine Brücke zwischen den bizarren Personen dieses Schauspiels
und den Gestalten eines Dante Gabriel Rosetti, Holman Hunt oder
Burne Jones zu finden vermag. Voriges Jahr, anläßlich der Première
der Komödie „Der Arzt am Scheidewege“ wurde an dieser Stelle über
die maßlose Überschätzung Shaws in Deutschland gesprochen. Mittler¬
weile sind dem Dichter zwei neue beredte Propheten erstanden,
C. R. Chesterton in England und Julius Bab bei uns. Beide haben
umfangreiche Bücher über Shaw veröffentlicht, worin sie jeden als
Philister brandmarken, der sich vor seinem Genie nicht beugen will.
Trotzdem scheint die Begeisterung für die seltsame Literatur des englischen
Sozialistenführers doch allmählich abzuflauen. Hat man es ihm früher
noch als Großtat angerechnet, daß er in einer seiner Komödien den
ersten Napoleon als komischen Trottel hinstellte, so steht man heute doch
seinen verschwenderisch ausgestreuten Paradoxen mit wachsendem
Skeptizismus gegenüber. Auch die Vorgänge in „Candida“, das Leben
der hochgemuten Pastorsfrau zwischen dem prosaischen Mann und dem
poetischen Verehrer würden trotz vieler poetischer Schönheiten uns kalt lassen,
wenn nicht, wie heute abend, ein so eminenter Darsteller wie Moissi das
Werk gewissermaßen mit neuem Leben erfüllte. Er spielt den Dichterknaben
Eugen Marchbanks, von dem Bab in seiner überschwenglichen Art be¬
hauptet, er sei das eigentliche Wunder in der Welt Shawschen Schrift¬
tums. „Er ist die reinste, überzeugendste Gestalt, die je auf die Szene
gebracht wurde ... Weil er ein dummer Junge ist, über den man
auch lachen kann, ist uns die Genialität dieses Dichters nur um so
erschütternder. Shaw zeigt nicht Eugen einmal als unreifen Burschen
und einmal als Genie ... sondern er stellt ihn mit sachlichem Ernst,
mit Kritik und Bewunderung dar: als einen unreifen Jungen, der ein
Genie ist.“ Das Naturell Moissis mit seiner Mischung von Grazie und
Leidenschaft kommt dieser Rolle natürlich sehr entgegen und wiederum
konnte man sein Entzücken haben an dem tiefen Feuer seiner Blicke, an
seinem unglaublich wechselvollen beseelten Mienenspiel, an dem wunderbar
melodischen Klang seiner Sprache — wie er sprach, sich bewegte, weinte,
lächelte, alles schien zu sagen: ecce poeta! Fräulein Karsten lernten
wir vor zwei Jahren unter Herrn Landas Direktion kennen, und es
ist hübsch von ihm, daß er uns die in der Zwischenzeit in Berlin
berühmt gewordene Künstlerin wieder vorführt. Aber für die
Shawsche „Candida“ fehlt ihr zwar nicht die innere Herzenswärme, wohl
aber die Holdseligkeit der äußeren Erscheinung —
sie sah gar zu spie߬
bürgerlich aus. Von den anderen Mitwirkenden, den Herren Hoß
(Pastor Morell), Krampff (Burgeß), Römer (Mill) und Frl. Urban
(Prossi) darf konstatiert werden, daß sie sich mit Anstand neben dem
Gaste behaupteten.
Der „Candida“ folgte das Schnitzlexsche Schauspiel „Die letzten
Masken“, der dritte Einalier= Imis „Lebendige Stunden“.
Er bringt die „Ahrechnung“ zwischen dem im Krankenhaus im Sterben
siegenden Journalisten Rademacher und seinem berühmt gewordenen
Jugendfreund Weihgast, die Rademacher mit dem ebenfalls totkranken
Komödianten Jackwerth vorher gewissermaßen einstudiert und die dann so
ganz anders ausfällt, als er sich es gedacht hatte. Hier überraschte Moissi
durch eine sehr wirkungsvolle Maske und eindringlichstes Spiel. Da¬
durch, daß er aber auf den österreichischen Dialekt verzichten mußte, ging,
freilich manches von der eigentlichen Stimmung des Eingkiers verloren,
Sehr steif und unwirklich erschien neben ihm der Weihgast des Herrn
Fischer. Die Inszenierung beider Stücke durch Herrn Grimm be¬
friedigte, und das vollbesetzte Haus applandi##te den Gästen nach allen
Akten.
A. D.
ab
Telephon 12.801.
— —
10e
„ODSERTER
1. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
In Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christianis,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus: Broslauer Zeitung
2854 1040
vom:
Breslauer Theater.
H. H. Sommertheater. „Candida“ — „Die letzten
Masken“. (Gastspiel von Alessandro Moissi und Maria¬
Karsten.) Man ist geneigt, bei Bernard Shaw, den man jetzt wohl
selbst in Berlin nicht mehr bedingungslos überschätzt, manche befremdliche
Eigenart seiner Stücke wegen der geistreichen Paradoxe, die sie enthalten,
gern mit in Kauf zu nehmen. Aber doch schließlich des Geistreichtums
wegen und nicht wegen der Paradoxié. In „Candida“ ist von dem Geist
Bernard Shaws weniger zu merken, als in den meisten seiner anderen
Bühnenwerke. Je öfter man die „Candida“ hört, um so dürftiger scheint
der Sinn des Ganzen, wenn der Dichter es auch kühn ein Mysterium
nennt. Um so willkürlicher erscheint auch die Löfung des Ganzen, da mit
einem erheblich geringeren Aufwand von Worten Frau Candida es auch
begründen könnte, wenn sie sich zum Schluß für den grünen Aestheten und
Poeten und nicht für ihren, auch außerberuflich predigenden Mann ent¬
scheiden würde. Daran ändert es auch nichts, wenn gestern die von Herrn
Grimm inszenierte Aufführung versuchte, das Drama zu „vertiefen“,
wenn man es mit dem Ernst und der Würde etwa eines Ibsen=Dramas
spielte, nur daß Herr Moissi ein in diesem Drama ungewöhnliches
Quantum von Geräusch zufügte. Er gab den jungen Burschen,
der in seiner Schüchternheit und Weltfremdheit das Recht beansprucht,
nicht nur seine eigenen Gedanken völlig frei zu verkünden, sondern auch
die aller andern, in einem ständigen Wechsel von Pianissimo und
Fortissimo. Leider zeigte er die Unausgeglichenheit des Charakters auch
dadurch, daß er bald Worte und Blicke von ergreifender Echtheitfand,
bald sich in Spielereien mit Körperverrenkungen unt gymnastischen
Kunststücken gefiel. Daß er den jugendlichen Dichter absoht
dummjungenhaft gab, so daß er nie in Gefahr lief, ernste
genommen zu werden, würde nichts geschadet haben, da es
an sich im Sinne der Rolle liegt, wenn nicht eben, wie schon erwähnt, die
anderen Darsteller alles, also auch ihn, so sehr ernst genommen hätten.
Frau Karsten hatte sich die Rolle der Candida doch allzusehr — auch
schon rein äußerlich — auf die gute Hausfrau, liebende Gattin und
mütterliche Freundin zurechtgelegt, als daß man die schwärmerische Ver¬
ehrung des jungen Dichters verstehen konnte, ebensowenig wie man ihr die
allerdings anfechtbaren philosophischen Deduktionen der Schlußszene zu¬
trauen mochte. Den Pastor Morell gab Herr Hoß mit ruhiger Würde
und männlicher Kraft, ohne allzu starke Beionung des Pastoralen, während
Fräulein Urban den Humor der Rolle des Schreibmaschinenfräuleins
hnicht ganz erschöpfte. Das sehr zahlreich erschienene Publikum nahm die
beiden ersten Akte befremdet, aber doch freundlich, den
Schlußakt mit außerordentlich lebhaftem Beifalle auf. — Auf
die wortreiche Redseligkeit Shaws folgte der gedankenreiche
Einatter Schnitzlers aus den „Lebendigen Stunden“: „Die letzten Masken“.
Hrer des alten Literaten, der in der Sterbestunde sich den
ganzen Haß und Groll seines armen, verpfuschten Lebens von der Seele
schreien möchte und dann doch angesichts der Größe des Todes selbst
diesen heißesten Wunsch als Kleinlichkeit des Lebens unerfüllt läßt, zeigte
[Moissi den ganzen Reichtum seines Könnens. Hier hurchlebte man mit
ihm alle die aufflammenden Wünsche und geheimnisvollen Schauer, die
sich in diese letzte Lebensstunde zusammendrängten. Auch die kleineren
Rollen waren in dem kleinen Schauspiel, das man leider aus dem
Wienerischen ins Hochdeutsche transponiert hatte, gut besetzt. So fand
auch dieser Akt stürmischen Beifall.