II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 42

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daß unser Wedekind ihm in dem Punkt nach der positiven
Seite, also Formwahrung, stark überlegen ist. Moissi,
dieses füdliche, glutende Temperament, legte all sein Feuer,
das melodische Schwingen seiner uns Deutschen vielleicht
fremden, aber trotzdem vorbildlich scheinenden Rhetorik in
die Gestaltung des jungen Dichterlings. In seiner vulka¬
nischen Gestik allerdings dürfte er, um eben den Schein des
Grotesken nicht noch mehr zu beleuchten, sich germanisti¬
schen Einflüssen nicht enziehen Aber dieser Künstler packi
doch schließlich alle mit der tiefen Klarheit seines Fühlens.
Er ist der. von dem der uferlose Shawschwärmer Bab mit
Recht sagen dürfte, daß er den Lebenstrieb, die große unge¬
stüme Lebenskraft geradenwegs vom Quell der Natur emp¬
fangen hat. Moissi läßt uns in diesen kristallenen Spiegel
Kunst, Wissenschaft und Leben.
von Empfindung, von in Sinnlichkeit sinnloser Rasse tiefe
Blicke tun. Seine Umwelt bildeten im Pastorenhaus zu¬
Breslauer. Schauspielhaus. „Mystexium“ bezeichnet
nächst Herr Hock, der sich mit Intelligenz aus einer Affäre
sich neuerdings/(Bernard Ehaws „Candida, diese
zog, die eben für ihn zumindest eine spielstilistische Affäre
dreiaktigey Dialöge zweier in ihren Gefühlen und ethischen
war. Frl. Maria Karsten aus Berlin, hier keine Fremde
Werterkenntnissen tastenden. Männer, zwischen denen Can¬
mehr, ist in der Erscheinung für das in Eugen=Moissis
dida steht und schließlich den „Schwächtren von beiden
Psyche sich zarter reflektierende Idol vielleicht zu überreicht,
wählt Dieser Schwächtte ist b. ein# echte Konstruktion von
anfänglich auch sarkastischer als tunlich, in der großen Aus¬
Shafv, er cheint den Stärkgren und sagt der Schwächere.
einandersetzung mit Morell aber erkannte man die ####kende
Was Shaw durch seine Buhnenmenschen sagen läßt, ob in
Künstlerin. Vater Burzeck wurde von Herrn Krampff
der Fokm eines Mysteriums, einer Komödie, eines Schau¬
zu sehr auf eine Possentype hin gespielt, wesentlich besser
spiels, einer Tragödie, das ist doppelsinnig, nein, es hat
So erschwert er unendlich,
hielt sich Frl. Urban, wenngleich sie noch weit entfernt
drei und vier Bedeutungen.
war, das Zwischen=den=Zeilen=lesen plastisch umzuwerten
selbst dem hartgesottensten Ibsenianer und Symbolen¬
Die Regie führte hier und in den „Letzten Masken“
deuter, den Begriff seiner Moral. Denn moralisieren
wollen sie alle, die Shawschen Helden und Heldinnen. Da¬
Schnitzlers, die man — meines Erachtens sehr über¬
bei ist kaum einer von ihnen eine gereifte, festumrissene G¬
flüssiger Weise — dem Shawwerke folgen ließ, Herr
stalt. Die Weltspiegelung in ihrem Wesen vollzieht sich zu¬
Grimm.
meist krampfhaft, in paradoxen Zuckungen zwischen Ironie,
Moissi suchte leider der auf Dämmertöne; einge¬
Bitterkeit, Wahrheit. Wenn aber diese Wahrheit, diese
stellten Pfeudo=Abrechnung des todsiechen Journalisten
Reinheit ihres Wesens plötzlich einmal aufleuchtet, dann
Rademacher im Zimmer des Allgemeinen Krankenhauses
klingen allerdings die lauteren Töne nicht eines Dichters
zu Wien mit seinem emporgekommenen Nebenbuhler,
gerade, nein, eines Menschenfrcundes im weitesten Sinne
durch allzustarke Temperamentsausbrüche beizukommen.
des Begriffs an unsere Empfindung. Vergessen sind dann
Die Töne der Echtheit suchte ich da vergebens, sie klangen
alle sozialen Fragen von gesellschaftlicher Weltordnung und
erst wieder in der rührenden Ueberwindung, die Rade¬
sdas Geistige oder besser das Geistreiche des Spötters wird
macher übt, als das wirkliche Objen seines bitteren
von ätherreinen Gefühlsgehalten überwunden. Dem welt¬
Lebensrückblicks vor ihm steht. Herr Grimm und Herr
fremden und doch wieder so weltklugen jungen Dichterling
Fischer waren da Moissi tastende Mitspieler. Das
Eugen Marchbanks ergeht's nicht anders. Er, über dessen
Ganze litt sehr mit der Flucht aus dem Wienerischen
jugendhafte Tölpeleien nicht nur der in seiner Ehewohlfahrt
ins Hochdeutsche. Aber das Publikum, und wir mit ihm
bedrängie Pastor Morell, die nur allzu naiv mit dem Feuer
waren trotz allem an dem Abend reicher geworden. X.
tändelnde Pastorsfrau, sondern auch wir zuweilen lachen
müssen, ist doch im Grunde eine tragische Gestalt, die wir
am Ende des katastrophal durchzitterten Intermezzos im
Pfarrhaus nur mit Bangen der Welt wiedergeben, in die
er doch nicht paßt. So und ähnlich sickert hinter den Kon¬
struktionen aller Shaw=Gestalten doch das Blut des
Schmerzes durch. Das Lachen, das Verzerren des Gefühls
seine Maske ist nur der groteske Schleier, ganz wie bei
Wedekind (wo freilich die Groteske einer Erziehung zu
neuer Wertung vom erotischen Wechselwirken zwischen den
Geschlechtern dient) hinter dem man endlich den Ernst der
sittlichen Forderungen erkennt, die Shaw von seinem so¬
zialistischen Gewissenniveau erhebt. Das ja niemand an¬
nektieren muß, der nicht mag. Ueber die Formlosigkeit des
Dramas bei Sbaw ist wohl kein Wort weiter zu sagen und