II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 48

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1- 2.1974
Frank ein spitziges Talent für Humor; man hätte ihm die Rolle
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des Herrn Gimnig zuteilen sollen, der für den hämischen Flur¬
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nachbar, der den guten Boubouroche aufklärt, nicht genug Witz

Theater
und Kunst.
aufbringt.
Der Zweiakter hatte seinen üblichen Erfolg. Den Schluß
des Abends, dessen Stücke nur einen entfernten inneren Zusammen¬
Premierenabend im Burgtheater.
hang haben, bildete Schnitzlers „Literatur". Der seine Spaß ist auch
(Zum erstenmal: „Der Kammersäuger“ drei Sienen von Frank
nicht mehr neu. Aber man sieht ihn immer wieder gern. In
„Boubouroche“, tragische Posse von Georges
Wedekind.
diesem Akt wird das „Metier“ bissig beleuchtet. Das Leben als
Courteline, deutsch von Siegfried Trebitsch. — „Literatur",
Lustspiel in einem Akt von Artur Schnitler.)
Literatur und die Literatur ins Leben umgemünzt. Fräulein
Marberg spielt die komplizierte Frau, die aus der Baumwoll¬
Von
branche auf dem Umweg über die Literatur in die Aristokratie
Leopold Jacobson.
Mit Trompetenton und Hosiannah den Einzug Wedekinds hineingerät. Sie gibt der Figur ihren amüsanten parodistischon Witz.
und es ist sehr lustig, wenn sie im Dialog plötzlich einen Hauch
in das Burgtheater zu begrüßen, ist kein Anlaß. Was vor
Jahren noch als Tat erschienen wäre, ist heute künstlerische Selbst= von Leopoldstadt ahnen läßt. Der Baron mit den gepflegten
Fingernägeln und dem ungepflegten Hirn ist wieder Herr Treßler;
verständlichkeit. Man darf sagen: Notwendigkeit. Für Wedekinds
Entwicklung bedeutet das Burgtheater gar nichts; für das Burg=er bietet eine feine und diskrete Charakterstudie. Den plebejerischen
theater aber bedeutet Wedekind, wenn auch nicht Alles, so Kaffeehausliteraten stattet Herr Heine mit seinem eindringlichen
Unterwerfung vor Humor aus, und dieses Zusammenspiel der drei Künstler ließ
eine Ehrensache, eine
doch viel;
geschäftlichen Erfolg,auch nicht den kleinsten Rest von Wirkung verloren gehen.
starken Gegenwartswerten, einen
Für alle drei Autoren dankte der diensthabende Regisseur
eine dankbare Aufgabe. Literarischer Konservatismus, Angst vor
anarchischer Weltanschauung, Trotz gegen eigenwilliges Künstlertum,
Mißverstehen einer neuen Weltethik, sind Dinge, die immer Widerstand [Herr Deprient.
erwarten lassen. Das ist alltäglich und nicht nur bei Hoftheatern Brauch.
Aber die Politik der Kompromisse hätte zumindest die drei Szenen des
„Kämmersängers“ längst ins Burgtheater bringen müssen. Sie
sind nicht revolutionär, nicht anstößig, haben Normalmaß und
gerade so viel Aeußerlichkeiten, daß die Konterbande bequem ein¬
zuschmuggeln war; nur wenige hätten den tieferen Sinn gemerkt.
Aber es ist so Landesbrauch, daß man ganz erstaunt sein möchte,
weil Wedekind doch noch ins Burgthea er kam; daß es einen
Augenblick lang reizt, den Dichter zu beleuchten. Aber er ist nur
fürs Burgtheater neu, nicht für die Zeit, beinahe schon überholt,
aus dem Streit des Tages ausgeschieden, sogar zurückgeblieben.
Man kennt diesen Einakter „Kammersänger“. Es sind drei
Szenen, um den gefeierten Tenor Oskar Gerardo herumgeschrieben.
Ein Typus, der aus der Marlitt=Romantik in die Wahrhaftigkeit
gerückt ist. Was um ihn herum geschieht, ist noch scheinbar Marlitt,
aber wie sich der Tenor zu den Dingen stellt, ist bereits Wedekind.
Also tückische Entschleierung, Bekenntnis von Tatsächlichkeiten. Bei¬
nahe oder wirklich: ein Essay über Kunstillusion und Kunstjammer.
Dieser Tenor Gerardo ist ein Pessimist seines Berufes, sozusagen
das Opferlamm eines Schlagwortes. Die Frauen umschwärmen ihn,
er erscheint als Priester einer künstlerischen Anschauung
ist doch nichts anderes als der Automat, der
und
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durch den Willen seines Impresarios in Bewegung gesetzt
wird, Der Kontrakt verpflichtet ihn. Ruhm, Ehre, Frauengunst sind
unbedingt Begleiterscheinungen. Der innere Jammer dieses Berufes aber
ringt ihn seelisch nieder. Gegenstücke der altgewordene Komponist,
der nach den Sternen greift, nach den Ewigkeitsworten „Kunst“ und
„Ideal“ lebt und schafft, und den Marktusancen keine Konzessionen
machen kann. Sein Verleger bettelt, bittet: Herr, wann werden Sie
denn sterben, damit man Sie entdecken und aufführen kann?
Weitere Gegenstücke: die Frauen und Mädchen, die dem Tenor
nachlaufen. Sie bringen ihm Liebe, verwechseln die Kunst mit dem
Meuschen und fassen es nicht, daß er nur Liebe
als Sport treiben kann und daß ihm vor allem sein Kontrakt
Hohn in der Schlußszene. Eine Frau erschießt sich, knapp ehe der
Tenor zum Gastspiel nach Brüssel abreisen will. Er ist erschüttert,
aber der Kontrakt ruft, und er läßt die Tote liegen; sonst drohen
ihm Unannehmlichkeiten mit dem Impresario.
Diese drei Szenen sind prachtvoll gefügt; in ihrer tragischen
Possenhaftigkeit zeigen sie eine Tiefe der Kunst= und Weltan¬
schauung, die schon aufhört, Beichte zu sein und ins Programma¬
tische hinüberleitet. Sie wirken wie fressendes Vitriol. Das
Burgtheater ist aber an den Wirkungen vorbeigegangen und hat
die Groteske in eine schleppende bürgerliche Komödie verwandelt.
Sie lahmte überall. Man hat für die Titelrolle Herrn
Reimers auserwählt, was auf den ersten Blick fast unmöglich
scheint. Er kommt der Figur wohl näher als man
erwarten mochte, er erschöpft sie bloß nicht. Der Kammer¬
sänger Reimers ist nur Repräsentant einer Gattung; er ist unlustig
und sachlich, nicht weil es der Charakter so fordert, sondern
weil ihm die Unlust und sachliche Erledigung tiefer sitzt. Dieser
Tenor, der sich ein eigenes Weltbild geschaffen hat, muß umgekehrt
auch das Weltbild für die anderen repdäsentieren. Dazu fehlt ihm
nun der grimmige Sarkasmus, die Selbstironie, der Witz
und das Explosive. Die zweite, sehr wichtige Rolle,
den alten armseligen und am Wege liegen gebliebenen
Opernkomponisten, gibt Herr Straßni. Er hat eine
flackernde Phantastik, allein das meiste gerät ihm nur dünn und