16.4. Literatun box 22/3
vor. Poubonroche raft und kann sich nur mühsant berlockeitden“
Handgreiflichkeiten enthalten. Kaum aber ist der junge Mann
draußen, beginnt Adele, rasch gefaßt, eine neue Komödie. Gut,
der Schein spreche gegen sie. In Wahrheit aber liege hier ein
düsteres Familiengeheimnis vor. Wenn Boubouroche es von
ihr fordere, so werde sie es enthüllen. — Nein, Boubouroche ist
ein Gentkeman. Er glaubt ihr. Er bittet sie wieder um Ver¬
zeihung und istunglücklich, da sie von getäuschtem Vertrauen und
Abschiednehmenmüssen spricht. So verzeiht sie ihm denn endlich
und macht ihn so glücklich, daß er sich, um noch eine kleine Rache
an einem benachbanten Verleumder abzutragen, den verräte¬
#rischen alien Nachbar im Schlafkostüm herüberholt, um ihm
einen Fußtritt versetzen zu können.
Dies ist die Geschichte von der Arglist der Weiber und der
Dummheit der Männer. Sie ist tölpelhaft und eigentlich sogar
für ein besseres Kino zu schlecht. Vielleicht auch riskiert es das
Apollotheater, diese Posse, rubriziert unter der neuen Kunst¬
marke „Steich“ mit dem ehemaligen Burgtheaterschauspieler
Korff in der Titelrolle aufzuführen. Der Lichtstrahl durch das
Schlüsselloch würde dort außerordentlich wirken und es gäbe
13 Lachsalven in der Siunde.
Allein sehenswert ist, wie Herr Treßler den Boubouroche
spielt. Das ist kein schlechthin dummer, leichigläubiger Mann.
Das ist ein tragischer Dulder der Dummheit. Wahrhaftig, mit¬
len aus albernen Spässen läßt dieser Künstler etwas wie ein
tragisches Motiv aufblitzen. Auf eigene Art gut ist Herr Gimnig
als alter Herr und Frau Albach=Retty als Adele bringt siegreich
die nötige Unverschämtheit auf.
Und, damit wir die Ereignisse dieses Abends zu Ende er¬
zohlen: Eine geschiedene Frau hat sich in den Münchner Künft¬
terspelunken herumgetrieben und anrüchige Abenteuer gehabt.
Die erotischen Gedichte, mit denen sie diese Abenteuer verherr¬
licht, gehören sicher ebensowenig in die Literatur, als das Lust¬
sviel, welches Artur Schnitzler aus diesem Stoffe ge¬
macht hat und welches „Literatur“ heißt, in die Literatur
gehört. Ein junger Aristokrat, Klemens, hat Margarete einmal
#in solch einer Spelunke gesehen, hat sich von ihrer Schönheit be¬
zaubern lassen und hat sie zu seiner Geliebten gemacht. Nun
hat er sie zu sich nach Wien genommen und will sie gar hei¬
raten. Zwar ist sie dumm und sogar ein wenig ordinär. Doch das
wäre das Geringste. Aerger ist, daß sie auf ihre Literatur stolz
# und ihren Bräutigam, der von Rennpferden viel, von Ge¬
dichten recht wenig versteht, verachtet. Da waren ihre Münchner
Freunde andere Kerle! Maler, Dichter... Heute eben, ein paar
Tage vor der Hochzeit, macht sie ihrem Bräutigam die höchst un¬
liebsame Eröffnung, daß sie das Dichten eigentlich noch immer
nicht aufgegeben habe. Vielmehr soll gerade in diesen Tagen
ein Roman „aus ihrer Feder“ erscheinen. Der Bräutigam ist
enisetzt. Welch ein Skandal! (Nebenbei: Ein ganz sympathischer
junger Mensch. Er haßt die Literaturweiber., Andem er fort¬
stürmt, um womöglich die Ausgabe des Romanes noch zu ver¬
hindern, gibt er einem alen Munchner Bekannten seiner Braut,
dem Dichten Gilbert, Gelegenheit, auszutauchen. Gilbert ist auf
der Durchreise in Wien und möchte nur so beiläufig Erinne¬
rungen an eine Münchner Dachkammer und an Liebesnächte
auffrischen. Vielleicht auch möchte er wieder wit Margareten
anbandeln. Nein, das geht nicht. Sie will nichts mehr von ihm
wissen. Sie ist zwar eine durchaus unverstandene Frau, denn
weder ihr erster Gatte, ein Baumwollwarenfabeikant, noch ihr
angehender zweiter Gatte vermögen ihrem komplizierten Seelen¬
leben zu folgen. Aber sie hat nun ihren Gefühlen in jenem
Romane Luft gemacht — Gilbert will ihr beim Abschied seinen
neuesten Roman schenken, in dem er seinen Briefwechsel mit
ihr verwertet hat. Da haben wir die Bescherung! Auch sie hat
in ihrem Romane den Briefwechsel mit Gilbert verwertet. Nun
wird ein Skandal unausbleiblich sein. Nein! Klemens kommt.
Klemens hat mit dem Verleger gesprochen und hat die ganze
Auflage einstampfen lassen. Das einzige Exemplar, das er sich
mitgebracht hat, um es zu lesen, wirft Margarcie ins Feuer,
so daß der nun wirklich scheidende Gilbert seinen Roman be¬
ruhigt auf dem Tische liegen lassen darf..
Es kann schon sein, daß es solche Weiber gibt. Schnitzler
muß es wissen. Und um sein Exemplar zu erklären und glaub¬
würdig zu machen, läßt er es jüdischer Abstammung sein. Aha!
Gut. Dann schon. Kein Wort weiter darüber zu reden. Zwar*
literarisch ist diese Literatur nicht und Sittenbilder aus dem
Ghetto gehören nicht auf die Burgtheaterbühne. Aber gut.
Wenigstens sieht man einmal . .. Und er muß es doch wissen.
Fräulein Marberg spielt diese literarische Dame mit einer
Lautheit welche offenbar ihre Abstammung markieren soll. Schön
ist das gerade nicht, aber vielleicht gut beobachtet. Herr Treßler
macht den Klemens mit seiner köstlich faden Miene, die er
immer aufsetzt, wenn er blasierte Aristokraten spielen muß. Herr
Heine hat als Gilbert wieder einmal höchste Redeeile und mehr
als die Hälfte von allem, was er spricht, zu verstehen, ist schon
ein respektables Kunststück.
Die offenkundige Flauheit des Beifalles, den das dicht¬
besetzte Haus den drei Novitäten — Novitäten freilich nur in be¬
zug auf dieses Theater — spendete, bekundete die richtige Ein¬
schätzung der Aufführung.
Wie gesagt, man wird sich diesen Abend merken müssen,
Wedekind, Courteline, Schnitzler. Ehebrecherische Weiber, be¬
trogene, abgedankte Liebhaber, erotische Briefe. Offenbar soll
der Fasching das alles entschuldigen. Aber weil draußen beim
Wimbergermaskenball einer seine drei letzten Kranln auf den
Tisch schmeißt, muß es drinnen im Burgtheater nicht einer nach¬
machen. Und überhaupt wird dringend gewünscht, daß im Burg¬
theater wieder einmal die alte Goldwährung zu Ehren komme!
Hans Brecka.
Theater an der Wien. Zum ersten Male: End¬
lichallein. Overette in drei Akten von Dr. Willner
vor. Poubonroche raft und kann sich nur mühsant berlockeitden“
Handgreiflichkeiten enthalten. Kaum aber ist der junge Mann
draußen, beginnt Adele, rasch gefaßt, eine neue Komödie. Gut,
der Schein spreche gegen sie. In Wahrheit aber liege hier ein
düsteres Familiengeheimnis vor. Wenn Boubouroche es von
ihr fordere, so werde sie es enthüllen. — Nein, Boubouroche ist
ein Gentkeman. Er glaubt ihr. Er bittet sie wieder um Ver¬
zeihung und istunglücklich, da sie von getäuschtem Vertrauen und
Abschiednehmenmüssen spricht. So verzeiht sie ihm denn endlich
und macht ihn so glücklich, daß er sich, um noch eine kleine Rache
an einem benachbanten Verleumder abzutragen, den verräte¬
#rischen alien Nachbar im Schlafkostüm herüberholt, um ihm
einen Fußtritt versetzen zu können.
Dies ist die Geschichte von der Arglist der Weiber und der
Dummheit der Männer. Sie ist tölpelhaft und eigentlich sogar
für ein besseres Kino zu schlecht. Vielleicht auch riskiert es das
Apollotheater, diese Posse, rubriziert unter der neuen Kunst¬
marke „Steich“ mit dem ehemaligen Burgtheaterschauspieler
Korff in der Titelrolle aufzuführen. Der Lichtstrahl durch das
Schlüsselloch würde dort außerordentlich wirken und es gäbe
13 Lachsalven in der Siunde.
Allein sehenswert ist, wie Herr Treßler den Boubouroche
spielt. Das ist kein schlechthin dummer, leichigläubiger Mann.
Das ist ein tragischer Dulder der Dummheit. Wahrhaftig, mit¬
len aus albernen Spässen läßt dieser Künstler etwas wie ein
tragisches Motiv aufblitzen. Auf eigene Art gut ist Herr Gimnig
als alter Herr und Frau Albach=Retty als Adele bringt siegreich
die nötige Unverschämtheit auf.
Und, damit wir die Ereignisse dieses Abends zu Ende er¬
zohlen: Eine geschiedene Frau hat sich in den Münchner Künft¬
terspelunken herumgetrieben und anrüchige Abenteuer gehabt.
Die erotischen Gedichte, mit denen sie diese Abenteuer verherr¬
licht, gehören sicher ebensowenig in die Literatur, als das Lust¬
sviel, welches Artur Schnitzler aus diesem Stoffe ge¬
macht hat und welches „Literatur“ heißt, in die Literatur
gehört. Ein junger Aristokrat, Klemens, hat Margarete einmal
#in solch einer Spelunke gesehen, hat sich von ihrer Schönheit be¬
zaubern lassen und hat sie zu seiner Geliebten gemacht. Nun
hat er sie zu sich nach Wien genommen und will sie gar hei¬
raten. Zwar ist sie dumm und sogar ein wenig ordinär. Doch das
wäre das Geringste. Aerger ist, daß sie auf ihre Literatur stolz
# und ihren Bräutigam, der von Rennpferden viel, von Ge¬
dichten recht wenig versteht, verachtet. Da waren ihre Münchner
Freunde andere Kerle! Maler, Dichter... Heute eben, ein paar
Tage vor der Hochzeit, macht sie ihrem Bräutigam die höchst un¬
liebsame Eröffnung, daß sie das Dichten eigentlich noch immer
nicht aufgegeben habe. Vielmehr soll gerade in diesen Tagen
ein Roman „aus ihrer Feder“ erscheinen. Der Bräutigam ist
enisetzt. Welch ein Skandal! (Nebenbei: Ein ganz sympathischer
junger Mensch. Er haßt die Literaturweiber., Andem er fort¬
stürmt, um womöglich die Ausgabe des Romanes noch zu ver¬
hindern, gibt er einem alen Munchner Bekannten seiner Braut,
dem Dichten Gilbert, Gelegenheit, auszutauchen. Gilbert ist auf
der Durchreise in Wien und möchte nur so beiläufig Erinne¬
rungen an eine Münchner Dachkammer und an Liebesnächte
auffrischen. Vielleicht auch möchte er wieder wit Margareten
anbandeln. Nein, das geht nicht. Sie will nichts mehr von ihm
wissen. Sie ist zwar eine durchaus unverstandene Frau, denn
weder ihr erster Gatte, ein Baumwollwarenfabeikant, noch ihr
angehender zweiter Gatte vermögen ihrem komplizierten Seelen¬
leben zu folgen. Aber sie hat nun ihren Gefühlen in jenem
Romane Luft gemacht — Gilbert will ihr beim Abschied seinen
neuesten Roman schenken, in dem er seinen Briefwechsel mit
ihr verwertet hat. Da haben wir die Bescherung! Auch sie hat
in ihrem Romane den Briefwechsel mit Gilbert verwertet. Nun
wird ein Skandal unausbleiblich sein. Nein! Klemens kommt.
Klemens hat mit dem Verleger gesprochen und hat die ganze
Auflage einstampfen lassen. Das einzige Exemplar, das er sich
mitgebracht hat, um es zu lesen, wirft Margarcie ins Feuer,
so daß der nun wirklich scheidende Gilbert seinen Roman be¬
ruhigt auf dem Tische liegen lassen darf..
Es kann schon sein, daß es solche Weiber gibt. Schnitzler
muß es wissen. Und um sein Exemplar zu erklären und glaub¬
würdig zu machen, läßt er es jüdischer Abstammung sein. Aha!
Gut. Dann schon. Kein Wort weiter darüber zu reden. Zwar*
literarisch ist diese Literatur nicht und Sittenbilder aus dem
Ghetto gehören nicht auf die Burgtheaterbühne. Aber gut.
Wenigstens sieht man einmal . .. Und er muß es doch wissen.
Fräulein Marberg spielt diese literarische Dame mit einer
Lautheit welche offenbar ihre Abstammung markieren soll. Schön
ist das gerade nicht, aber vielleicht gut beobachtet. Herr Treßler
macht den Klemens mit seiner köstlich faden Miene, die er
immer aufsetzt, wenn er blasierte Aristokraten spielen muß. Herr
Heine hat als Gilbert wieder einmal höchste Redeeile und mehr
als die Hälfte von allem, was er spricht, zu verstehen, ist schon
ein respektables Kunststück.
Die offenkundige Flauheit des Beifalles, den das dicht¬
besetzte Haus den drei Novitäten — Novitäten freilich nur in be¬
zug auf dieses Theater — spendete, bekundete die richtige Ein¬
schätzung der Aufführung.
Wie gesagt, man wird sich diesen Abend merken müssen,
Wedekind, Courteline, Schnitzler. Ehebrecherische Weiber, be¬
trogene, abgedankte Liebhaber, erotische Briefe. Offenbar soll
der Fasching das alles entschuldigen. Aber weil draußen beim
Wimbergermaskenball einer seine drei letzten Kranln auf den
Tisch schmeißt, muß es drinnen im Burgtheater nicht einer nach¬
machen. Und überhaupt wird dringend gewünscht, daß im Burg¬
theater wieder einmal die alte Goldwährung zu Ehren komme!
Hans Brecka.
Theater an der Wien. Zum ersten Male: End¬
lichallein. Overette in drei Akten von Dr. Willner