II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 63

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16.4. Literatur
Spielverlust schenkt, sondern auch noch ihre Zeche be¬ Impresario vorwärts peitscht. Der
zahlt, und der es nicht merkt, daß ihn seine Freundin gräulichen Existenz tut sich vor uns au
Je Feuilleion.)
Adele in der von ihm eingerichteten und gemieteten den Unglücklichen tot und hin, wonach
Wohnung seit acht Jahren systematisch betrügt. Es begehren, weil sie es nicht so leicht und
00% Burgtheater
nützt gar nichts, daß ihm ein Wohnungsnachbar end= drückender Masse erlangen. Liebe, Bewun
„Der Kammersänger.“ Drei Szenen von Fran
lich reinen Wein einschenkt; es hilft nicht einmal, daß Kränze, Küsse, Huldigungen und Locku
„Bonbonroche.“ Tragische Posse i.
Wedekind.
er seinen glücklicheren Nebenbuhler in einem Wand= bis herab zu dem Champagnerflaschenk
zwei Akten von Georges Courteline. „Lite
schrank Adeles entdeckt, dem Ausnahmsstübchen, wohin düster brütend niederskarrt, — alles ha
ratur.“ Lustspiel von Artur Schnißler.
sich jener während der Anwesenheit des zahlenden teufel geopfert. Nein, er ist kein Me#
Wie der wahrhafte Gral in Wolframs Parzival,
Herrn regelmäßig zurückzieht. Er tobt ein wenig, wird auch kein Gott, wie man ihm einreden
so bietet das Burgtheater seinen Gästen „Speise warm
aber gleich wieder so weich, daß er sich um den Daumen ein entseelter armer Narr, der nicht ein
und Speise kalt, Speise neu und Speise alt“, diesmal
wickeln läßt und die listige Adele sogar noch um Ver= er mit seinem Mammon anfangen soll,
drei Gänge kalter Küche von gestern oder vorgestern.
aufhören kann, ihm weiter und weit
zeihung bittet ja den ungebetenen Wahrheitsfreund,
„Boubouroche“ ist schon über zwanzig, „Der Kammer¬
Ihm gegenüber erscheinen die anderen,
der ihm den Star stechen wollte, mit Grobheiten über¬
Ssänger" und „Literatur, über zehn Jahre alt, also be¬
menschlichen Torheit zu Füßen liegen,
häuft. Wohl kein Jüngling wünscht sich so zu lieben,
währte Kostproben, mit denen es auf unseren Karne¬
vernünftig, aber doch als lebendigere 1
manch ein Mädchen, so geliebt zu sein. Aber darum
valsappetit abgesehen ist, am meisten mit dem mittleren
handelt es sich hier nicht. Wenn wir über den aben= lichere Wesen: die arme kleine Miß I
Stücke, mit Boubouroche" Courtelines „All¬
teuerlich frechen Betrug, die abenteuerlich übertriebene die ihre Mädchenscham niederkämpft und
tagskomödien“ sind literarisch nicht von Bedeu¬
bettelt (wenn's schon nicht mehr sein kan
Leichtgläubigkeit und Schwäche einen Augenblick ge¬
tung, müssen aber auf der Bühne Erfolg haben, wen:
lacht haben, ist „Bonbonroche“ Genüge geleistet. Er beladene alte Komponist, dem noch k#
sie gut gespielt werden. Die Pariser ergötzen sich sc,
ziemlich lange an diesen tollen satirischen Possen. Fun hat keinen höheren Ehrgeiz, als den einer Filmposse im gönnt war, und der seinen sinkenden Ka
Flaggenschiff des Kammersängers an
Kino.
das deutsche Theater besorgte erst 1912 S. Trebitsch
sogar das liebeswahnsinnige Weib, das
Viel wertvoller ist Wedekinds „Kammer¬
eine Uebersetzung, die in bemerkenswert schönem Druck
Augen totschießt. Ihnen allen predigt
sänger“, obwohl er keine geschlossene Handlung ent¬
bei G. Müller in München erschienen ist. Jener kreuz¬
Veneidete Vernunft, Wahrheit und W
hält, sondern nur „drei Szenen": Hotelzimmerszenen
fidele Gallier schildert mit Vorliebe eine niedere Fauna,
selbst der größte Tor von allen. „S
knapp vor der notgedrungenen Abreise eines sinnlos
die in allen Meeren dieselbe ist: kleine Philister und
mir nicht,“ sagt er, über die sterbende
Polizeibeamte, Wachleute, Dirnen, streitende Ehepaare hochgefeierten Wagnersängers. Dieser Lohengrin,
usw usw., nicht mit verhaltenem Ingrimm, wie etwa Tristan usw. ist aber eigentlich ein Orestes. Er hat läßt sie dann auf den Teppich zurückfe
Tolstoi oder Hauptmann, sondern mit reiner Freude zwar nicht seine Mutter getötet, sondern nur sein Ta=l alles vergessend, fort; aus dem Hause,
an den Lächerlichkeiten des täglichen Lebens. Sein pezierergewerbe an den Nagel gehängt und sich der ein¬ nach Brüssel: „Ich muß morgen den 1
Boubouroche ist ein dicker, dummer Junggeselle von achteIträglicheren Oper gewidmet. Doch hinter ihm bellen! Das, nicht der seichte „Boubouroche“!
unddreißig Jahren, ein wahrhaft guter Mensch, der die Fanghunde, züngeln die Schlangen und Brand-lich den Namen einer tragischen Posse.
seinen Kaffeehaus- und Kartenfreunden nicht nur ihrenjfackeln des Kontraktes, mit dem ihn sein unerbittlicher Arthur Schnitzlers „Liten