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16.4. Literatur
Detitsches Tägblatt
Husschnitt alsstdeutsche Rundschau
4— 2. 101 Wien
vom:
Kunst und Bühne.
Wren, 3. Februar.
Buratheäter. Ein gerischter Abend. Stücke von
Wedelind, Coykteline und chnitzler, seit mehr als einem
Jahrzehn# ven anderen Wiener Bühnen her bekannt,
bildeten, den Hu##l# Alsd. not des Neueste vom Neuem.
aber Dem Geiste nach immerhin och so pen, daß man es
verstehen kann, weshalb das Bürgtheater so lang zögerte,
sich ihm aufzutun. Frank Bedekinds drei Szenen
„Der Kammersänger“ kröffneten den Abend. Einst
sah man in ihnen nur das Zerstörungswerk eines Bilder¬
stürmers, weil die Darsteller des Titelhelden im Voll¬
gefühl der neuen Art, wie hier theatralische Götzenbilder
zertrümmert werden, zuvörderst die grausame Selbstironie
und den grimmigen Humor dieser dramatischen Abrech¬
nung mit dem verhätschelten Virtuosentum, das über
Leichen hinwegschreitet, unterstreichen zu müssen giaub¬
ten. Herr Reimers ist weder ein Blen¬
der, noch ein Aufmischer und er macht aus der
Not eine Tugend, indem er den Kammersänger auf das
Menschliche zurückführt, das, geknechtet von Agenten und
gedrosselt von der zudringlichen Bewunderung des
Publikums, allen romantischen Lockungen den gesunden
Selbsterhaltungstrieb eines geschäftstüchtigen Philisters
entgegensetzt. Das mag vielleicht nicht ganz im Sinne des
Dichters sein; aber es gibt dem Stücke eine neue Per¬
spektive, die man sich, zumal im Burgtheater, sehr wohl
gefallen lassen kann. Sehr gut bewährte sich Frau
Kallina in der Episode des liebestollen Weibes.
während Herr S raßni die Tragik des alten Kom¬
ponisten, der zum ersten und letztenmal in seinem Leben
denn erschöpfte. In der tragischen Posse „Boubou¬
roche“ von Georges Courteline hat man in
Wien schon Herrn Balajthy und erst vor kurzem
Herrn Maran gesehen. Jenen im Raimund¬
theater, diesen im Theater in der Josefstadt. Der
eine war ahnungslos aus reinster Herzensgüte, der
andere aus der Borniertheit des gebornen Hahnreis. Herr
Treßler haßt die Gestalt von ihren komischen Um¬
rissen und er gibt dem Dickwanst alles, was zu seinem
Charakterbild gehört: den kurzen Atem, das gröhlende
Lachen, die Unbe“ fenheit in den Bewegungen, die leicht
übersprudelnde Wit, die sich ebenso leicht erschöpft und in
Nachgiebigkeit umkippt. Doch wie meisterhaft das Bild
entworfen war, man merkte immer die Mache hindurch,
man merkte immer die Absicht, und gerade das fehlte,
worauf es bei Boubouroche ankommt: die innere Herzens¬
güte, die uns, während wir noch lachen, insgeheim zu
tiefst ergreift. Das machte die Darbietung Balajthys zu
einem tragischen Erlebnis. Herr Treßler dagegen machte
nur lachen. Er fand in Frau Retty eine Adele, die
den tückischen Betrug an ihrem Wohltäter zu einer Burg¬
theaterdelikatesse erhob. Den Abend beschloß der Einakter
„Literatur“ von Artur Schnitzler. Hier gab
Herr Treßler den jungen, schlanken Aristokrgten und
man hatte Gelegenheit, seine Vielseitigkeit anfelchtig zu
bewundern. Er wurde von Fräulein Maxberg und
Herrn Heine trefflich unterstützt. Nach jedem der drei
Stücke konnte Herr Devrient für dep“ freundlich ge¬
Fh 0r
spendeten Beifall danken.
Husschnitt aus: Honigkeit- Feisblatt, Wiez
4.—
Z. 1012
vom:
Musik.
Theater, Kunst und
Wien, 3. Februar 1914.
K. k. Hofburgtheater.
(„Der Kammersänger“, drei Szenen von Frank
Wedekind; „Boubonroche“, tragische Posse in
zwei Akten von Georges Courteline, deutsch von
Siegfried Trebitsch; „Literatur“, Lustspiel in
einem Akt von Artur Sch####— Erstaufführungen
im c. k. Hofburgtheater am 31. Jänner 1914.)
Ein Novitätenabend mit den vorangeführten Stücken,
die aber nur für das Burgtheater als Neuheiten gelten
können, da „Der Kammersänger“ und „Boubouroche“ vor
Jahren bereits in Wien am Josefstädter Theater und
„Literatur“ am Deutschen Volkstheater zur Aufführung
gelangten, ist wohl nicht als eine glückliche Idee der Burg¬
Stheaterleitung zu bezeichnen. Oder gelüstete es Herrn
Thimig so sehr, Frenk Wedekind endlich ein Debüt
an unserem kaiserlichen Schanspielhause zu verschaffen?
Die kühle Aufnahme, die an dieser Stätte das oft ab¬
gespielte Stück: „Der Kammersänger“ fand, wird
auch Herrn Thimig eines Besseren belehren. Die drei
uberlangen Szenen, in welchen sich nichts ereignet als die
Belästigungen, die sich der Kammersänger zunächst von
einem durch den Bühnenzauber verblendeten Backfisch, dann
Aeuigneits= Well=Miall (Danstliell #290 —.
von einem alten Komponisten, der durchaus seine Oper
anbringen will, und schließlich von einer liebestollen,
hysterischen Geliebten gefallen lassen muß, blieben ohne
Eindruck auf das Publikum.
Herr Reimers lieh dem sieggewohnten, aber nur auf
seinen Künstlerruhm und seine Karriere bedachten Kammer¬
sänger eine schöne warmherzige Männlichkeit, ließ aber das
Satirische der Gestalt vermissen. Frau Kallina in der
Rolle der verlassenen Geliebten gelang dies besser. Sie:
bot eine Leistung voll feiner Details. Den greisen
Komponisten gestaltete Herr Straßni zu einer stellen¬
weise rührenden Figur, ohne ihr einen tieferen Inhalt zu¬
geben. Hräulein Leschka war ein hübscher, aber
konventioneller Docksisch.
Größeren Erfolg hatte die amüsante „tragische Posse“.
einfacher gesagt, der Schwank: „Bonbourroche“ den
Herr Treßler auf seine starken Schultern nahm. Er war
als behäbiger, gutmütiger Spießer, den die spät enideckte
Untreue seiner lanjährigen Flamme in Raserei versetzt, der
sich aber von der klugen Schlauge, die in Frau Albach¬
Retty eine reizende Verkörperung fand, allgemach voll¬
kommen beruhigen läßt, von unwiderstehlicher Komik. Er
wirkte schon durch seine köstliche Maske sehr erheiternd. In
kleineren Partien boten die Herren Gimnig und Zeska
Vortreffliches und in einer gut gezeichneten Charge offenbarte
Herr Frank mehr Humor, als man erwartete. Er ztigte
eine neue Seite seines schauspielerischen Könnens, die nicht
unbeachtet bleiben sollte.
Die gefällige Plauderei „Literatur“ von Schnitzler,
von Fräulein Marberg und den Herren Treßler
und Klein charmant gespielt, schloß den Abend launig
ab. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese alten „Novitäten“
auch eine Bereicherung des Burgtheater=Repertoi es bedeuten
werhen.
Alpha.
16.4. Literatur
Detitsches Tägblatt
Husschnitt alsstdeutsche Rundschau
4— 2. 101 Wien
vom:
Kunst und Bühne.
Wren, 3. Februar.
Buratheäter. Ein gerischter Abend. Stücke von
Wedelind, Coykteline und chnitzler, seit mehr als einem
Jahrzehn# ven anderen Wiener Bühnen her bekannt,
bildeten, den Hu##l# Alsd. not des Neueste vom Neuem.
aber Dem Geiste nach immerhin och so pen, daß man es
verstehen kann, weshalb das Bürgtheater so lang zögerte,
sich ihm aufzutun. Frank Bedekinds drei Szenen
„Der Kammersänger“ kröffneten den Abend. Einst
sah man in ihnen nur das Zerstörungswerk eines Bilder¬
stürmers, weil die Darsteller des Titelhelden im Voll¬
gefühl der neuen Art, wie hier theatralische Götzenbilder
zertrümmert werden, zuvörderst die grausame Selbstironie
und den grimmigen Humor dieser dramatischen Abrech¬
nung mit dem verhätschelten Virtuosentum, das über
Leichen hinwegschreitet, unterstreichen zu müssen giaub¬
ten. Herr Reimers ist weder ein Blen¬
der, noch ein Aufmischer und er macht aus der
Not eine Tugend, indem er den Kammersänger auf das
Menschliche zurückführt, das, geknechtet von Agenten und
gedrosselt von der zudringlichen Bewunderung des
Publikums, allen romantischen Lockungen den gesunden
Selbsterhaltungstrieb eines geschäftstüchtigen Philisters
entgegensetzt. Das mag vielleicht nicht ganz im Sinne des
Dichters sein; aber es gibt dem Stücke eine neue Per¬
spektive, die man sich, zumal im Burgtheater, sehr wohl
gefallen lassen kann. Sehr gut bewährte sich Frau
Kallina in der Episode des liebestollen Weibes.
während Herr S raßni die Tragik des alten Kom¬
ponisten, der zum ersten und letztenmal in seinem Leben
denn erschöpfte. In der tragischen Posse „Boubou¬
roche“ von Georges Courteline hat man in
Wien schon Herrn Balajthy und erst vor kurzem
Herrn Maran gesehen. Jenen im Raimund¬
theater, diesen im Theater in der Josefstadt. Der
eine war ahnungslos aus reinster Herzensgüte, der
andere aus der Borniertheit des gebornen Hahnreis. Herr
Treßler haßt die Gestalt von ihren komischen Um¬
rissen und er gibt dem Dickwanst alles, was zu seinem
Charakterbild gehört: den kurzen Atem, das gröhlende
Lachen, die Unbe“ fenheit in den Bewegungen, die leicht
übersprudelnde Wit, die sich ebenso leicht erschöpft und in
Nachgiebigkeit umkippt. Doch wie meisterhaft das Bild
entworfen war, man merkte immer die Mache hindurch,
man merkte immer die Absicht, und gerade das fehlte,
worauf es bei Boubouroche ankommt: die innere Herzens¬
güte, die uns, während wir noch lachen, insgeheim zu
tiefst ergreift. Das machte die Darbietung Balajthys zu
einem tragischen Erlebnis. Herr Treßler dagegen machte
nur lachen. Er fand in Frau Retty eine Adele, die
den tückischen Betrug an ihrem Wohltäter zu einer Burg¬
theaterdelikatesse erhob. Den Abend beschloß der Einakter
„Literatur“ von Artur Schnitzler. Hier gab
Herr Treßler den jungen, schlanken Aristokrgten und
man hatte Gelegenheit, seine Vielseitigkeit anfelchtig zu
bewundern. Er wurde von Fräulein Maxberg und
Herrn Heine trefflich unterstützt. Nach jedem der drei
Stücke konnte Herr Devrient für dep“ freundlich ge¬
Fh 0r
spendeten Beifall danken.
Husschnitt aus: Honigkeit- Feisblatt, Wiez
4.—
Z. 1012
vom:
Musik.
Theater, Kunst und
Wien, 3. Februar 1914.
K. k. Hofburgtheater.
(„Der Kammersänger“, drei Szenen von Frank
Wedekind; „Boubonroche“, tragische Posse in
zwei Akten von Georges Courteline, deutsch von
Siegfried Trebitsch; „Literatur“, Lustspiel in
einem Akt von Artur Sch####— Erstaufführungen
im c. k. Hofburgtheater am 31. Jänner 1914.)
Ein Novitätenabend mit den vorangeführten Stücken,
die aber nur für das Burgtheater als Neuheiten gelten
können, da „Der Kammersänger“ und „Boubouroche“ vor
Jahren bereits in Wien am Josefstädter Theater und
„Literatur“ am Deutschen Volkstheater zur Aufführung
gelangten, ist wohl nicht als eine glückliche Idee der Burg¬
Stheaterleitung zu bezeichnen. Oder gelüstete es Herrn
Thimig so sehr, Frenk Wedekind endlich ein Debüt
an unserem kaiserlichen Schanspielhause zu verschaffen?
Die kühle Aufnahme, die an dieser Stätte das oft ab¬
gespielte Stück: „Der Kammersänger“ fand, wird
auch Herrn Thimig eines Besseren belehren. Die drei
uberlangen Szenen, in welchen sich nichts ereignet als die
Belästigungen, die sich der Kammersänger zunächst von
einem durch den Bühnenzauber verblendeten Backfisch, dann
Aeuigneits= Well=Miall (Danstliell #290 —.
von einem alten Komponisten, der durchaus seine Oper
anbringen will, und schließlich von einer liebestollen,
hysterischen Geliebten gefallen lassen muß, blieben ohne
Eindruck auf das Publikum.
Herr Reimers lieh dem sieggewohnten, aber nur auf
seinen Künstlerruhm und seine Karriere bedachten Kammer¬
sänger eine schöne warmherzige Männlichkeit, ließ aber das
Satirische der Gestalt vermissen. Frau Kallina in der
Rolle der verlassenen Geliebten gelang dies besser. Sie:
bot eine Leistung voll feiner Details. Den greisen
Komponisten gestaltete Herr Straßni zu einer stellen¬
weise rührenden Figur, ohne ihr einen tieferen Inhalt zu¬
geben. Hräulein Leschka war ein hübscher, aber
konventioneller Docksisch.
Größeren Erfolg hatte die amüsante „tragische Posse“.
einfacher gesagt, der Schwank: „Bonbourroche“ den
Herr Treßler auf seine starken Schultern nahm. Er war
als behäbiger, gutmütiger Spießer, den die spät enideckte
Untreue seiner lanjährigen Flamme in Raserei versetzt, der
sich aber von der klugen Schlauge, die in Frau Albach¬
Retty eine reizende Verkörperung fand, allgemach voll¬
kommen beruhigen läßt, von unwiderstehlicher Komik. Er
wirkte schon durch seine köstliche Maske sehr erheiternd. In
kleineren Partien boten die Herren Gimnig und Zeska
Vortreffliches und in einer gut gezeichneten Charge offenbarte
Herr Frank mehr Humor, als man erwartete. Er ztigte
eine neue Seite seines schauspielerischen Könnens, die nicht
unbeachtet bleiben sollte.
Die gefällige Plauderei „Literatur“ von Schnitzler,
von Fräulein Marberg und den Herren Treßler
und Klein charmant gespielt, schloß den Abend launig
ab. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob diese alten „Novitäten“
auch eine Bereicherung des Burgtheater=Repertoi es bedeuten
werhen.
Alpha.