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16.4. Literatur
Dtg:
Quelienankyhe ohne Gewähr.)
sische Zeitun Berlin.“
Husschnitt aus:
6-FEB 1912
vom:
Einakterabend in der „Burg“
Aus Wien schreibt unser Theaterreferent: Der gegenwärtige
Leiter der Hofbühne hatte den Mut, den „Kammersänger“ und
Bonbouroche“, zwei tragische, in ihrer Art klassische Possen,
zu geben.
Wedekinds Weltvirtuose, der Sklave des eigenen Ruhms, der
Klugredner über Fluch und Segen der Luxuskünste der kapitalistischen
Gesellschaft, fand in Herrn Reimers einen Darsteller, der das
Naturburschenhafte des Charakters entschiedener als das Geschäfts¬
mäßige herauskehrte. Den verkannten Musikus gab ein Episodist,
Herr Strafsny, der sich gut behauptete.
Courtelines Hohn=Rede auf Weiber=Tücke, in der Sache
grimmiger als die wildesten Klagen Strindbergs, in der
Form wesentlich launiger und wahrhaftiger als die
Uebertreibungen des norhischen Frauen=Hassers, wirkte stark.
Vor allem durch die Meisterschöpfung Treßlers, der in dieser
Leistung ein unbedingt Gutes, jedenfalls das Beste bot,
was er im Burgtheater als Charakteristiker jemals zu¬
wege gebracht. Die Wehrlosigkeit dieses willenlos seiner
Dalila preisgegebenen erzphiliströsen Simson wurde nie
lächerlich; so komisch dieser verliebte Bier=#st aussah und sich
gebärdete, gewann er echtes Mitleid dur¬
e Gutmütigkeit und
Treue. Selten werden Dichter und Schauspieler dermaßen eins
werden wie Courteline und Treßler in „Boubouroche“, der es ver¬
dient, sich dauernd im Spielplan des Burgtheaters einzuleben.
Diese kleine Posse eines engsten Landsmannes von Balzac — Cour¬
teline (recte Moineaux) stammt aus Tours — ist ein nicht geringes
Meisterwerk, das Hunderte von Jamben= und Alexandriner=Tragödien
Deutschlands und Frankreichs übertrifft und überdauern wird.
Den vergnüglichen Beschluß der auregenden Vorstellung machte
Schnitzlers (aus dem Zyklus „Lebendige Stunden“ geholtet)
Einakter „Literatur“. Die scharfe, scharfblickende Parodie des
Kaffeehaus=Literaten und Zigenner=Weibchens fand in Frl. Mar¬
berg und Herrn Heine vortreffliche, von den Zuschauern freund¬
lichst willkommen geheißene Dolmetscher.
Hoffentlich veranlaßt der verdiente Erfolg dieser Komödie die
Leitung des Burgtheaters, zwei andere ebenbürtige Einatter
Schnitzlers — den „Puppenspieler“ und die „Letzten Masken“ — auf¬
zunehmen. „Der grüne Kakadu“ wurde seinerzeit vom Zensor zu¬
gelassen, doch nach einigen Vorstellungen durch einen Machtspruch
des Hauses verwiesen. Wir hoffen: nicht für immer.
Anton Bettelbeim
Husschnitt Mentags-Revue
4
Wsien
9-FER. 1215
vom:
linds „Kammersäng
tionskomik, Persone
Feuilleton.
bescheidentlich als „
die Hauptsache
Burgtheater
Ungeduld ist nicht
Die Aufführung der drei kleinen Stücke, mit
ist kein Bauwerk.
denen das Burgtheater am 31. des vorigen Monats
schlagend demonstri
die Reihe seiner diesjährigen Premieren=Abende er¬
heit der Dichtung
öffnete, bot Gelegenheit zu einigen Bemerkungen, die
durch Herrn Reim
es der Mühe wert erscheinen ließen, auf jenen Abend
Kallina. Die dr
kurz zurückzukommen. Die geringste Wirkung übte
schärft durch den
Wedekinds „Kammersänger“ aus folgenden
roche“, der nichts
zwei Gründen. Die Spieldauer des Einakters be¬
Charaktere und Sitt
trägt eine Stunde. Nun besteht aber das Hauptmotiv
chen und Römer,
dieser Szenenreihe darin, daß der Held bis zum
ter und Babylonie
Abgang des Zuges nach Brüssel, von Anfang gerech¬
Handlung: das ganz
net, nur dreiviertel Stunde Zeit hat. Eine Theater¬
flott aufgeführt, wi
viertelstunde darf jedoch nicht länger währen, als
sah hier, welche Fre
höchstens zehn Minuten, drei Viertelstunden somit
chen literarischen N
nicht länger als eine halbe Stunde. Die Aufführung legenheit geben, rech
dauert also genau doppelt so lange, als sie nach un¬
ein Ding, das ohne
seren Erwartungen dauern dürfte. Es ist merkwürdig,
auf die Beine zu st
wie störend und lähmend das wirkt! Der Kammer¬
Genugtnung leistete
Herr Treßler al
sänger hält zwar die Uhr in der Hand, aber zu¬
gleich einen Sermon nach den andern, so daß man und Dummkopf Bo
ihm ratend und rettend beispringen möchte. Es ist
in der ganz leeren
aber immer mißlich, die Ungeduld des Publikums Schauspielerei ist in
zu wecken. Ferner nützt es einem Autor auf dem und vergröbert echt
Theater gar nichts, eine dramatisch formulierte Dich= dem sie deren Sinn
tung mit allen Vorzügen auszustatten, die Wede=ben Kilometer Dista
16.4. Literatur
Dtg:
Quelienankyhe ohne Gewähr.)
sische Zeitun Berlin.“
Husschnitt aus:
6-FEB 1912
vom:
Einakterabend in der „Burg“
Aus Wien schreibt unser Theaterreferent: Der gegenwärtige
Leiter der Hofbühne hatte den Mut, den „Kammersänger“ und
Bonbouroche“, zwei tragische, in ihrer Art klassische Possen,
zu geben.
Wedekinds Weltvirtuose, der Sklave des eigenen Ruhms, der
Klugredner über Fluch und Segen der Luxuskünste der kapitalistischen
Gesellschaft, fand in Herrn Reimers einen Darsteller, der das
Naturburschenhafte des Charakters entschiedener als das Geschäfts¬
mäßige herauskehrte. Den verkannten Musikus gab ein Episodist,
Herr Strafsny, der sich gut behauptete.
Courtelines Hohn=Rede auf Weiber=Tücke, in der Sache
grimmiger als die wildesten Klagen Strindbergs, in der
Form wesentlich launiger und wahrhaftiger als die
Uebertreibungen des norhischen Frauen=Hassers, wirkte stark.
Vor allem durch die Meisterschöpfung Treßlers, der in dieser
Leistung ein unbedingt Gutes, jedenfalls das Beste bot,
was er im Burgtheater als Charakteristiker jemals zu¬
wege gebracht. Die Wehrlosigkeit dieses willenlos seiner
Dalila preisgegebenen erzphiliströsen Simson wurde nie
lächerlich; so komisch dieser verliebte Bier=#st aussah und sich
gebärdete, gewann er echtes Mitleid dur¬
e Gutmütigkeit und
Treue. Selten werden Dichter und Schauspieler dermaßen eins
werden wie Courteline und Treßler in „Boubouroche“, der es ver¬
dient, sich dauernd im Spielplan des Burgtheaters einzuleben.
Diese kleine Posse eines engsten Landsmannes von Balzac — Cour¬
teline (recte Moineaux) stammt aus Tours — ist ein nicht geringes
Meisterwerk, das Hunderte von Jamben= und Alexandriner=Tragödien
Deutschlands und Frankreichs übertrifft und überdauern wird.
Den vergnüglichen Beschluß der auregenden Vorstellung machte
Schnitzlers (aus dem Zyklus „Lebendige Stunden“ geholtet)
Einakter „Literatur“. Die scharfe, scharfblickende Parodie des
Kaffeehaus=Literaten und Zigenner=Weibchens fand in Frl. Mar¬
berg und Herrn Heine vortreffliche, von den Zuschauern freund¬
lichst willkommen geheißene Dolmetscher.
Hoffentlich veranlaßt der verdiente Erfolg dieser Komödie die
Leitung des Burgtheaters, zwei andere ebenbürtige Einatter
Schnitzlers — den „Puppenspieler“ und die „Letzten Masken“ — auf¬
zunehmen. „Der grüne Kakadu“ wurde seinerzeit vom Zensor zu¬
gelassen, doch nach einigen Vorstellungen durch einen Machtspruch
des Hauses verwiesen. Wir hoffen: nicht für immer.
Anton Bettelbeim
Husschnitt Mentags-Revue
4
Wsien
9-FER. 1215
vom:
linds „Kammersäng
tionskomik, Persone
Feuilleton.
bescheidentlich als „
die Hauptsache
Burgtheater
Ungeduld ist nicht
Die Aufführung der drei kleinen Stücke, mit
ist kein Bauwerk.
denen das Burgtheater am 31. des vorigen Monats
schlagend demonstri
die Reihe seiner diesjährigen Premieren=Abende er¬
heit der Dichtung
öffnete, bot Gelegenheit zu einigen Bemerkungen, die
durch Herrn Reim
es der Mühe wert erscheinen ließen, auf jenen Abend
Kallina. Die dr
kurz zurückzukommen. Die geringste Wirkung übte
schärft durch den
Wedekinds „Kammersänger“ aus folgenden
roche“, der nichts
zwei Gründen. Die Spieldauer des Einakters be¬
Charaktere und Sitt
trägt eine Stunde. Nun besteht aber das Hauptmotiv
chen und Römer,
dieser Szenenreihe darin, daß der Held bis zum
ter und Babylonie
Abgang des Zuges nach Brüssel, von Anfang gerech¬
Handlung: das ganz
net, nur dreiviertel Stunde Zeit hat. Eine Theater¬
flott aufgeführt, wi
viertelstunde darf jedoch nicht länger währen, als
sah hier, welche Fre
höchstens zehn Minuten, drei Viertelstunden somit
chen literarischen N
nicht länger als eine halbe Stunde. Die Aufführung legenheit geben, rech
dauert also genau doppelt so lange, als sie nach un¬
ein Ding, das ohne
seren Erwartungen dauern dürfte. Es ist merkwürdig,
auf die Beine zu st
wie störend und lähmend das wirkt! Der Kammer¬
Genugtnung leistete
Herr Treßler al
sänger hält zwar die Uhr in der Hand, aber zu¬
gleich einen Sermon nach den andern, so daß man und Dummkopf Bo
ihm ratend und rettend beispringen möchte. Es ist
in der ganz leeren
aber immer mißlich, die Ungeduld des Publikums Schauspielerei ist in
zu wecken. Ferner nützt es einem Autor auf dem und vergröbert echt
Theater gar nichts, eine dramatisch formulierte Dich= dem sie deren Sinn
tung mit allen Vorzügen auszustatten, die Wede=ben Kilometer Dista