II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 4), Literatur, Seite 103

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16.4. Literatur
de Zeugnis bastr. Es wind von besonderen In¬
Sorgsalt auf seinen Kammersünger verwendel und
sse sein, das Stück, das eine Berliner Bühne
dessen Doppelspiel von scheinbarer Hilfsbereitschaft
kte als Gastspiel aufführt und das dem gleichen
und brutalem Egoismus, durchsetzt von gelegent¬
den und der gleichen Tendenz erwachsen, ver¬
licher innerer Verzagtheit, klar und sicher herausge¬
ichend zu betrachten; ich fürchte, daß die 40
arbeitet. Warum er sich am Schlusse von den Bei¬
hre Differenz in der Entstehung und vor allem
fallsbezeugungen des Publikums so ostentativ fern¬
Weltkrieg, der zwischen ihnen liegt, in erschre¬
hielt, entzog sich der Kenntnis des mit den internen
der Weise zum Ausdruck kommen wird!
Theaterverhältnissen nicht vertrauten Zuschauers;
Der „Kammersänger“, gewöbniich als Groteske be¬
es wirkte, aber auffallend und befremdlich. V. Bal¬
hnet, bedeutet im Grunde den Zusammenstoß
lasko betreute den schwärmenden Backfisch; ihr lie¬
ischen einer rücksichtslosen Intelligenz und ver¬
gen diese Rollen der halb aufgebrochenen Gefühle
edenen Stufen blinder Leidenschaft. Der Kam¬
ausgezeichnet; wie immer war auch hier ihr Spiel
rsänger, hinter dessen erfolgreichem Künstlertum
von erfreulicher Durchgebildetheit. Ilde Overhoff
nichts als seelenloser Geschäftssinn verbirgt, ist
fehlt in der Leidenschaft die innere Beseelung, vor
trügerische Hoffnung, die die zügelloser Lei¬
allem fehlt sie in der Stimme; so trat hier an die
schaft verfallenen Opfer lockt und ihnen Steine
Stelle der tragischen Figur die exaltierte Frau,
bt statt Brot. An drei Menschentypen — in drei
die beim Zuhörer keine Erschütterung für ihr
enen — wirkte sich seine wortreiche, öde Künstler¬
Schicksal auszulösen vermochte. Ganz ausgezeichnet
sucht aus: das junge Mädchen läßt sich mit sei¬
war Carl Weiß in seiner Rolle der greisenhaften nur
in Bilde und guten Ratschlägen abfertigen; dem
noch vom ungebrochenen Künstlerglauben lebenden
er seiner Opernpartitur zum Greise gewordenen
menschlichen Ruine, wie eindrucksvoll dieser Abgang
mponisten nimmt er den letzten Glauben an die
in königlicher Haltung!
öglichkeit der Aufführung, aber nicht den Glau¬
Arthur Schnitzlers Literatur gehört in jene Reihe
i an sein Künstlertum; die ihm in blinder Lei¬
der Einakter, die der Wiener Arzt mit so viel Er¬
schaft verfallene Frau treibt er in den Tod. Wer
folg pflegt, und die einen typischen Zweig des li¬
im Grunde der Sieger und wer der Besiegte?
terarischen Wienertums repräsentieren. Wenn für
immer in seinen Stücken gibt Wedekind auch
gewöhnlich eine melancholisch genießerische Anatol¬
keine Antwort, keine innere Lösung; es bleibt
figur den Mittelpunkt dieser dialogisierten Novellen
der furchtbaren Anklage.
bildet, so sind hier die Figuren von angenehmer
Friedrich Stampe als Kammersänger, Ilde Over¬
Frische (und wo sie es eigentlich nicht wären, wie
als Frau Helen, Carl Weiß als Professor Düh¬
bei Dichter Gilbert, hat sie der Träger der Rolle
ig und Viktoria Ballasko als Miß Isabel teilten
dazu gemacht), sporttreibende Aristokratie und
in die Hauptrollen; F. Stampe, noch vom 1.
schriftstellernde Bohème stehen sich liebend und ab¬
hmmerspiel her in guter Erinnerung, hatte viel lehnend gegenüber, bis sich durch ein literarisches
Mißgeschick die schriftstellernde Dame reuig dem
sportlichen Bräutigam in die Arme wirft und das
Gefecht seinen glücklichen Ausgang nimmt. Aber es
ist letzten Endes doch auf einer Lüge, auf der sich
dieser Ausgang aufbaut, darüber darf die Selbst¬
verständlichkeit, mit der sie benützt wird, nicht hin¬
wegtäuschen. Für mich bedeutet Schnitzler (auch ohne
sein berüchtigtes Stück) zu den gefährlichsten Büh¬
nenschriftsteilern der Gegenwart, weiteres wie kei¬
ner versteht, der Unmoral eine bezaubernde Form
zu geben, ernsthaften Dingen ihre verpflichtende
Schwere zu nehmen, sie in leichtes Spiel zu wan¬
deln und in einen geistreichen, eleganten, gepflegten
Dialog zu spannen. Drei Personen bestreiten die
ganze Angelegenheit, der Bräutigam, die Braut und
ihr ehemaliger Freund aus der Schriftstellergilde.
Erich Musil spielte den aristokratischen Sportsmann,
keines ganz, aber als Ganzes doch akzeptabel. Ekke¬
hard Kohlund gab seinem Münchner Dichter mehr
schwankmäßigen Anstrich als dichterische Sensibili¬
tät, was ihm aber in der Wirkung auf das Publi¬
kum keinen Abbruch tat. Ilde Overhoff darf
hier eine Glanzleistung buchen; in diesem mon¬
dänen Frauentyp, der ohne allzubeschwerende
Höhe und Tiefe im Bezirke zwischen Wahrheit und
Dichtung ihr elegantes Dasein lebt, scheint sich ihr
Talent am besten auszuwirken.
Carl Weiß verdient als Spielleiter alles Lob. Ihm
und den Darstellern dankte langanhaltender Beifall.
Die scheidenden Künstler wurden mit Blumen be¬
dacht.
In jede katholische Familie
gehört eine katholische Zeitung