II, Theaterstücke 16, (Lebendige Stunden. Vier Einakter, 2), Die Frau mit dem Dolche, Seite 10

16.2. Die Eran mi dem Dolche
Ort: Echo der Gedenwan
Datum: Aachen
24, Marz 1977

cZur Matinee der Literarischen Gesellschaft am
Sonntag, den 29. März, wird uns von dem Vorstand
geschrieben: Die beiden in der diesjährigen Matinee
aufzuführenden Einakter sind ausgewählt auf den
Vorschtag der zum Gastspiel eingeladenen Künstlerin
5edwig Reicher — Berlin=Neuyork. Gabriel
Annuncio in seinem „Traum eines Früh¬
ingsmorgens“ und A. Schnitzler in seiner
„Frau mit dem D#rche aus dem mit dem
Bauenfeld=Preis gekrönten Einakterzyklus „Lebendige
Stunden“), behandeln beide das gleiche Thema; sie
childern, wie die Erinnerung an ein furchtbares Er¬
lebnis in einer Frauenseele nachzittert und darin
heurscht, lange nachdem es von der Welt, sogar von den
Miterlebenden überwunden und vergessen ist. Aber¬
die Art, wie hier der Italiener, dort der Deutsche das
Thema angreift, ist so verschieden, daß die Ueberein¬
stimmung des Grundgedankens fast ganz verhüllt wird.
d'Annuncio, Meister einer seit Jahrhunderten von
Dichtern durchgearbeiteten Sprache, besitzt in ihr ein
so subtiles Werkzeug, daß er zwar den allerfeinsten
Regungen des Denkens und Empfindens Ausdruck
geben kann, aber wiederum Schwierigkeiten findet,
wenn er nicht ziselieren, sondern wuchtig und elemen¬
tar wirken will. Er rechnet mit Zuhörern, die niemals
vergessen, daß sie auf der Szene keine Wirklichkeit,
sondern ein Kunstwerk vor sich sehen, die aber gerade
darum auch außerordentlich schwer zu einer innerlichen
Anteilnahme an den dargestellten Vorgängen zu
zwingen sind. So greift d'Annuncio gern zum Grau¬
sigen, wählt für jenes furchtbare Erlebnis die entsetz¬
lichste Gestalt, weil er überzeugt ist, daß seine Kunst¬
mittel und die Geistesstimmung seiner Zuhörer den
Eindruck mildern und im Bereich des Künstlerischen
halten werden. Er taucht das Ganze in die lebens¬
warme Pracht eines italienischen Frühlingsmorgens,
umhüllt den Geist seiner Heldin mit der Nacht eines
sanften Wahnsinns, den nur traumgleich vorüber¬
gleitende Erinerungen noch beunruhigen und gießt
allen Glanz seiner Sprache darüber, von dem — leider
— in der Uebersetzung viel verloren gehen muß, aber
doch noch ein starker Abglanz zu erkennen ist.
Auf ganz anderen Bahnen strebt diesem Ziel, das
Entsetzliche so zu mildern, daß der Eindruck im Bereich
des Künstlerischen bleibe, Schnitzler zu. Seine
Sprache, sein Werkzeug ist, bei aller Beherrschung und
Feinheit des Ausdrucks, dennoch derber und weniger
befähigt, jedweden Inhalt in die Sphäre des ästhetischen
Empfindens zu heben. Also wählt er zur Schilderung
des Erlebnisses weniger schreiende Farben und mil¬
dert den Eindruck, indem er das Erlebnis in eine
Traumwelt verlegt; er zieht den Glauben an Seelen¬
wanderung, die Lehre von der Wiederkehr alles Ge¬
schehens heran und läßt aus dieser Zeit einer frühe¬
ren Existenz traumhafte Erinnerung wieder auf¬
tauchen, als angesichts eines Zeugnisses für das früher
Erlebte die Umstände sich ähnlich wie damals gestalten.
So wird in raschem Vorübergleiten das Vergangene
zur Prophezeiung des Nächstzukünftigen, aber da ist
kein Wahnsinn, kein Zerbrechen der Seele, sondern
kraftvoller Entschluß, dem Kommenden beherzt ent¬
gegenzusehen, das Schreckliche, das sich ankündigt, er¬
leben und ertragen zu wollen. Zugleich aber wird
durch diese Uebertragung in das rein geistige Er¬
leben dem Problem die stofflich grobe Wirkung ge¬
nommen.
Es ist sicherlich für den darstellenden Künstler
überaus reizvoll, solche Gegensätze nebeneinander zu
verkörpern, für rein literarische Betrachtung aber nicht
minder reizvoll. in einem besonderen Fall die Unter¬
schiede zweier Auffassungen der dramatischen Kunst be¬
leuchtet zu sehen und dabei die eigene wie die fremde
25 verstehenzu lernen.
en
2.
box 22/1
ZAU
+—
Jühne und Kunst.
Mona Lisa.
(Oper in 2 Akten von Beatrice Dovsky. Musik von
Max Schillings.)
(Zum ersten Male im Neuen Deutschen Theater.)
Schon lange hat ein neues Opernwerk nicht so
rasche Verbreitung gefunden, wie Max Schillings
Mona Lisa. Schon vor der Stuttgarter Urauffüh¬
rung im vorigen September, noch bevor man wußte,
wie sich das Publikum zu der Sache verhalten werde,
war die Annahme Mona Lisas unter den Theater¬
leitern beschlossen und in dem Vierteijahr, das seit.
her vergangen ist, wurde bereits an den meisten
Bühnen die Neuheit herausgebracht. Früher hatte
es Mag Schillings nicht so gut. Sein Komponisten¬
ruhm ist älter, als der fast aller heute in Betracht
kommenden musikalischen Bühnenautoren. Als man
ganz am Beginne der Neunziger Jahre die „Ing¬
welde“ als ein hoffnungserweckendes, und trotz seiner
Wagnerabhäginkeit eine eigene Note aufweisendes
Musikdrama zu begrüßen vermeinte, hatte sich noch
nicht einmal der Symphoniker Strauß gefunden,
Humperdinck war noch nicht auf dem Plan erschie¬
nen. Hans Pfitzner noch nicht entdeckt und die, welche
später so erfolgreich für den Spielplan des Alltags
sorgten, Kienzl und d'Albert machten noch ihre
tastenden Versuche. Max Schillings aber stand da
als der überlegene, den biltigen Erfolg stolz ver¬
schmähende Aristokrat, der nur an den idealsten,
herbsten und sprödesten Stoffen seine Kräfte maß
und sich mit der Anerkennung einer Minderheit be¬
gnügte. In dieser Haltung ist er verblieben, hat der
nordischen Skaldenoper Ingwelde, den Pfeiffertag,
das Lied von des deutschen Spielmanns Lust und
Leid, folgen lassen und sich an der Unmöglichkeit,
dem Hebbelschen Molochproblem etwas, wie Musik
abzugewinnen, ehrlich den Kopf eingerannt. Hoch¬
achtungserfolge zu erringen, war bisher die Spezia¬
lität Max Schillings, der sein Epigonentum bis
auf den heutigen Tag nicht zu überwinden imstande
war, eine Hochachtung, die aus der Erkenntnis re¬
sultierte, daß in den vorliegenden Werken ein ehr¬
liches Ringen, ein strenger sachlicher Ernst obwaltete
und daß hier einer nicht vom Wege abbog, trotzdem
sich ihm die Aussicht ins Freie nicht zeigte.
Mit seiner „Mona Lise“ ist nun Schillings von
diesem früher als richtig erkannten Weg abgebogen.
Der ewigen Hochachtung müde, wollte er den wirkli¬
schen Erfolg verkosten und versuchte es mit diesem
Kinostück der Sensationslust des an den Nerven¬
Kkitzel der Tosca und der Elektra gewöhnten Publi¬
Kums zu schmeicheln. Und in der Tat, die Martern
faller Arten, welchen die Floria Tosca im Vorzim¬
imer der Folterkammer Scarpias ausgesetzt ist, sind
seine Kleinigkeit im Vergleich zu den Grausamkeiten,
welche Francesko del Giocondo an seiner um keinen
Preis lächeln wollenden Gattin verübt, der Lieb¬
haber dort wird bloß ein bißchen geschunden,
hier muß er ersticken, und während er seine letzten#
Atemzüge röchelt, darf man zusehen, wie der
rasende Gatte die beklagenswerte Nichtlächlerin
vergewaltigt. Aber auch die Rache Mona Lisas ist
nicht von schlechten Eltern. Wie sie durch List und
Verstellung den Gatten in dieselbe Falle lockt, die
er dem Liebsten bereitet hat, wie ihr der liebe Kien¬
topp-Gott dabei hilft, indem sich der einzige Schlüs¬
sel zu dem ominösen Juwelenschreien plötzlich wie¬
derfindet, und wie sich Mona Lisa nach vollzogener
Revanche zu Tode tanzt, jetzt nicht nur lächelnd
sondern in gellem Wahnsinnslachen, Aufregenderes,
Schauerlicheres und Grausigeres hat man auf der
Opernbühne nicht sobald zu schauen bekommen. Zur
Scheinmilderung, nur um das ästhesische Gewissen
zu beruhigen, sind diese an Brutalität nicht zu über¬
##### „„ ieglicher seinener psychologischen Moti¬