II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 92

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14. Der Schleiender Reatrice
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mann der zwei Tage vor dem Franzosen im
wendende Geliebte durch ein neues Geschenk zu
Raimundtheater mit seinem „Korporal fesseln, und wenn er auch mit dem in wahnsinniger
[Stöhr“ einen lebhaften Erfolg errang. Der
Wuthauf ihn Eindringenden um sein Leben ringen
Dichter des „Bartel Turaser“ und vieler schöner,
muß — er ist der Stärkere, weil er der Gute ist.
leider wenig gekannter Novellen ist voll Tempera¬
Er siegt. Dieses Vertrauen des Starken und Ge¬
ment. Ein unbeugsamer Optimist, liebt er das
sunden auf seine Kraft, auf den endlichen Sieg der
Gute, haßt das Schlechte und ist erfüllt von dem
Ordnung und Sittlichkeit muß auf jedes Theater¬
tiefen Mitleid mit allen Beladenen und Gedrückten.
publikum wirken und würde seine begeisterte Zu¬
Er ist nicht spöttisch und parteilos, kein kluger Kopf
stimmung auch dann haben, wenn die künstlerischen
und in entzückender Weise nicht „geistreich“. Aber
Qualitäten des Werkes nicht so achtunggebietende
in seinen Dichtungen sprudeln oft die verborgenen
wären. Mag sein, daß Langmanns Pathos manch¬
Quellen eines tiefen und edlen Gemüthes. Es ist
mal allzu stark ist und dadurch unseren Geschmack
eine heiße und werkthätige Liebe zum Volke in ihm,
verletzt; aber man empfindet deutlich, daß es immer
zum Volke, aus dem er aufgewachsen ist und dessen
rein und ohne spekulative Nebenabsichten ist. Und
Herzschlag er hört. Wenn ihm wieder der sichere
wenn auch das „naturalistische Armeleutstück“ als
Griff in der Stoffwahl glückt wie in seinem prächt¬
Modesache gottlob abgewirthschaftet hat,
igen „Turaser“, so ist er der berufene Volksdichter,
brauchen wir deswegen doch ein echtes Volksstück für
denn er hat alle Eigenschaften, um volksthümlich
das naive Publikum unserer Vorstadtbühnen. Und
zu sein: eine große Innigkeit, einen fast naiven
wie erfreulich ist es, daß wieder — zum ersten Male
Glauben an die Menschen und jenes feine Ohr, das
seit Anzengruber — ein Dichter diese künstler¬
Seelen zu behorchen versteht. Laut, fast lärmend ischen Bedürfnisse der Massen befriedigt.
sind seine Stücke, und durch ihre Häufung von wil¬
Für die modernen Franzosen wäre Lukas Stöhr
den Thaten mögen sie schwächlichen und überkulti¬
ein Gimpel, ein „jobard“. So heißt eine Komödie
virten Menschen manchmal vielleicht nicht mit Un¬
von Guinon und Denier, die bei einem
recht melodramatisch und allzu derb scheinen. Aber
„literarischen Abend“ im Theater in der
das Volk braucht keine zarte und feine, sondern
Josefstadt wenig gefiel. „Die Dummen“
derbe und kräftige Kost.
— das sind die moralisch Bedenklichen, die Anständ¬
Vom Militär kommt Lukas Stöhr in sein armes
igen, die von den Skrupelloseren überall verdrängt
mährisches Walddorf heim. Er hat sich brav gehal¬
werden. Manche hübsche satirische Absicht ist be¬
ten, und stark ist in ihm das Bewußtsein, daß Ge¬
merkbar versinkt aber in einem Meer von Lang¬
setz und Ordnung über den Menschen sein müssen.
weile. In Paris ist die Tugend fast immer lang¬
Aber in Unordnung und Zuchtlosigkeit findet er die
weilig. So rächen sich dort die Dramatiker an ihr,
Seinen! Der Vater ist todt, und die Mutter eilt
wetl sie nichts einträgt...
mit „schnöder Hast“ zu einem neuen Ehebunde.
Alle diese Novitäten unserer Bühnen sind mo¬
Aber Lukas Stöhr ist kein mährischer Hamlet, der
dern, ob sie an einem kleinen Fürstenhof, wie im
kraftlos vor der Aufgabe zurückhebt, seine aus den
„Schatten“, in Pariser Boudoirs wie „La veine“.
Fugen gegangene Welt wieder einzurenken. Den
oder in einem dürftigen Dorfe wie „Korporal
Freier der Mutter jagt er in schöner Entrüstung aus
Stöhr“ spielen. Aber ferne der Gegenwart und in
dem Hause, die Schwester, die durch seinen Freund
einem versunkenen Fabellande ereignet sich das
in Unehren kam, versorgt er, ob er auch sein Letztes
wilde „Abenteurerstück“ von Felix Dörmann
dabei opfert. Den Anton, den jüngeren Bruder,
„Der Herr von Abadessa“ das eben
der ihm, dem Abwesenden, die Geliebte stahl und in
— einstweilen nur als Buch — bekannt wird. Es
Leichtsinn verkommt, duckt er nieder. Leicht ist es
wurde als Manuskript von den Hoftheatern in
freilich nicht, aber darnach frägt ein echter Mann
München und Dresden und vom Deutschen Schau¬
nicht. Und wenn er dem Bruder auch in einer
spielhause in Hamburg erworben. Das ist unge¬
fürchterlichen Nacht das Stemmeisen aus der Hand
wöhnlich; aber das Stück ist ungewöhnlicher. Es
schlagen muß, mit dem der Unglückliche die Geldlade
ist ein in Flammensprache geschriebenes Gedicht;
der Mutter sprengen will, um die sich von ihm ab= die Verse glühen. Man muß sich von aller Wahr¬