II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 93

14. Der Schleiender Reatrice
scheinlichkeit und allen sittlichen Bedenken frei
machen, wenn man die berauschende, wirbelnde
Schönheit dieses Dramas genießen will. Kein ge¬
waltiges historisches Gemälde wie den künstlerisch
viel höher zu. werthenden „Schleier der Beatrice“
entwirft Dormann, sondern ein Gedicht von einer
ungeheuren, fast ungeheuerlichen, krankhaften Lei¬
denschaft.
Am Kastell von Abadessa steht Medusa Dionigi.
Eines ungeliebten Schwächlings Frau soll sie heute
werden, sie, in der „Gewaltiges und Schlimmes
und eine heiße Lust an bösen Dingen schläft“. Sie
erwartet wie Ibsens Nora das „Wunderbare“,
richtiger: den Wunderbaren. Und der „könig¬
liche Herr, der wilde Gott“ kommt in Sturm und
Wetter.
Ueber des Meeres grollende Wogen
Kam er gezogen
An den fernen, lockenden Strand,
Abenteuern war er gewogen
Und ihm flammte das Schwert in der Hand.
Der Valentino ist ein gewaltthätiger Abenteurer,
entschlossen, sein Leben rücksichtslos auszuleben.
Er sagt von sich:
Ich trag' in mir ein Letztes, Unfaßbares,
Das kalten Blutes über Gräber springt
Und über allen Leiden lachend schwebt.
Und er lügt nicht; ihm, dem Manne schenkt
der alte Führer des Volkes, der Heldengreis Jutro¬
mir, sein blaues Zauberschwert, mit dem er Me¬
dusens Bräutigam auf der Hochzeit im Kampfe er¬
schlägt. Er bändigt die knirschenden Vasallen und
während der Gefahr, in „purpurrothem Sterbe¬
glück“ vereinigt er sich mit der wilden Frau, „die bis
zur Seele küssen kann“. Aber er will sich nicht bin¬
den lassen, auch nicht durch den Königsreif und
durch die schönste Frau
Soll ich die große Müdigkeit erwarten
Und der Gewohnheit arme Fröhlichkeit? —
Ich will nicht niedersteigen von den Höh'n,
Die ich erklomm am Strand von Abadessa,
Mit einem Sprunge rett' ich mich hinüber
In eine neue Welt mit neuen Zielen!
Der Herr von Abadessa geht von dannen,
So wie er kam, mit leichtbeschwingtem Fuß!
Beladen mit den Schätzen seiner Seele
Fängt er sein altes Leben fröhlich an,
Ein ewger Sucher, der nicht finden will
Und mit dem Leben rauft und spielt und jagt —
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Und lachend fahren läßt den schönsten Preis,
Wenn er genug gespielt und Neues will,
Treulosigkeit allein schenkt selge Kraft!
Wer treu ist, der vertrocknet und versiegt!
Doch Medusa ist seiner wilden Selbstsucht eine
ebenbürtige Genossin und läßt ihn nicht zu „neuen
Sonnen“ ziehen. Sie stößt ihm den Dolch in's
Herz und zündet sich und ihm das Kastell von Aba¬
dessa zur Todtenfeier an.
Weder Valentino noch Medusa sind Menschen,
sondern Wesen von einer Brünstigkeit und Wild¬
heit, für die unsere Sprache bisher eines Ausdruckes
nicht bedurft hat. Nichts Edles und Reines ist in
diesem Drama. Aber ich glaube dennoch, daß sich
weder Leser noch Hörer dem Zauber werden ent¬
ziehen können, den der gewaltige Lebenswille dieser
Titanen und die berückenden Verse ausströmen.
Sie sind stärker als unsere Vernunft und unsere,
Sittlichkeit. Nur einem Dichter von ganz unges
wöhnlicher Art konnte „Der Herr von Aba
dessa“ entstehen.:
Wien.
Dr. Ludwig Bauer.
Buntes Jeuilleton.
* Die dekorirten Sekundaner. Der Besuch des
„Sühneprinzen“ in Berlin hat eine große Reihe
von Seltsamkeiten mit sich gebracht, die so bald aus der
öffentlichen Diskussion nicht verschwinden werden.
Aber mit das Seltsamste wohl ist es, daß Prinz
Tschun im Namen seines Bruders, des Kaisers von
China, zwei Sekundaner eines in Berlin W. gelegenen
Gymnasiums dekorirt hat. Die Untersekunda jener von
den Söhnen hoher Herren viel frequentirten Anstalt ist
nicht wenig stolz darauf, daß sie nun auch zwei Ordens¬
ritter in ihrer Mitte zählt. Und das kam, wie Berliner
Blätter melden, so: Prinz Tschun war zu dem Feste, das
ein hoher Reichsbeamter ihm zu Ehren veranstaltet
hatte, erschienen und hatte auch ein Päckchen Orden mit¬
gebracht die er im Namen seines kaiserlichen Bruders
an den Gastgeber und andere illustre Personen zu ver¬
theilen gedachte. Nach Aufhebung der Tafel stellte der
Gastgeber dem Prinzen Tschun seinen Sohn, einen
strammen Sekundaner, vor, und auch ein Schulkamerad
des Letzteren, gleichfalls der Sohn eines hohen Beamten,
hatte das Vergnügen, den Sühneprinzen von Angesickt
kennen zu lernen. Prinz Tschun war sehr erfreut, die
Bekanntschaft der beiden jungen Herren zu machen, und
er verabsäumte nicht, ihnen bei Beendigung des Ge¬
spräches je einen chinesischen Orden zu überreichen. Die
beiden Sekundaner sind begreiflicherweise recht stolz auf