II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 138

denn die Dichter sind nach Horaz ein reizbares
Geschlecht. — Man kann es ihnen sogar nicht ver¬
argen, wenn schon Verminderungen oder Verzögerungen
des Tantiemenbezuges sie in wehmüthige Stimmung
versetzen, denn auch Dichter wollen leben, und
namentlich moderne Dichter müssen viel ausgeben.
Der deutsche Poet von heute ist nämlich nicht mehr
das verlumpte Genie, welches nie einen ganzen
Rock trägt und oft kein Hemd hat. Ein moderner
Stimmungspoct gibt mehr auf Cravatten aus, als ein
Dichter früherer Zeit auf seine ganze Garderobe. Der
Dichter von heute muss Salons besuchen, kleine
intime Diners geben und grössere Reisen machen
können. Er muss in den Häusern der Bankdirectoren
verkehren, wo auch die einflussreichen Kritiker zu
treffen sind, muss einen eleganten, verführerischen
Duft von sich geben und womöglich noch die reichen
Leute, welche er besucht, in manchem Luxus über¬
trumpfen.
Kurz, die heutige Dichtkunst erfordert eine enorme
Regie und demgemäss enorme Einnahmen. Ist es dann
ein Wunder, wenn die heutigen Dramatiker sich ver¬
pflichtet fühlen, jährlich ein ganzes Stück oder min¬
destens drei Einacter auf den Markt zu schleudern:
Sogur Gerhart Hlauptmann, der es nicht nöthig
hat zu dichten, macht dieses Schneilfeuer mit,
und dann kommen Dinge wie „Florian Geyer“
oder „Schluck und Tau“ zum Vorschein. Nein,
unsere heutigen Dichter sind keine Shakespeare's, die
sich von einem „Hamlet“ erheben und sofort zu einem
„Otheilo“ niedersetzen können. Es sind schmucke
Talente und Talentchen, die uns in angenehmer
Weise darüber hinwegtäuschen, dass unsere Zeit des Tele¬
phons und der Cartelle nicht geeignet ist, einen wirk¬
lichen Dichter hervorzubringen, d h. einen Mann, der für
die Ewigkeit „singt und sagt“.
Wir haben vorwiegend Modedichter, die irgend eine
Actualität einzufangen und ziemlich chic und raffinirt zu
bearbeiten wissen. — Wem es gelingt, ein zugkräftiges
Modell zu lanciren, der ist ein gemachter Mann und findet
auch bald die kritischen Trommelschläger, die ihm voran¬
schreiten und seinen Ruhm verkünden, um sich später an
ihm zu sonnen.
Auch Schnitzler gehört unter diese Modedichter
(sein „Artikel“ ist das „süsse Mädel“, das von einem
skeptisch-melancholischen Lebejüngling geliebt
wird) und ist sich vielleicht halb dunkel bewusst, ein Mode¬
dichter zu sein. Ein selcher aber muss das Eisen schmieden,
so lange es glüht, und darf um Alles in der Welt nicht eine
Saison auslassen. Schnitzler’s Schmerz ist begreiflich,
nur die allzu lebhafte Theilnahme der Wiener Kritik
befremdet uns ein wenig. Hat nicht Director Burkhardt,
der de Maxl, noch hübschere Stückeln mit diverse..
Aute aufgeführt? Ist es erlaubt, einen Mann wie den
Bu. heater-Director, in vehementer Weise
sam inewege anzugreifen, wenn ma:
Krin. Pechif einag Tribüne hat und andererseits dié Gegen¬
partei nocht# rgehört hat: Wozu das Rütli, die Verschwö¬
rung, der Collectivangriff? Wo ist der Competenz¬
beweis dieses Gerichtshofes: Der Kritiker ist zuständiger
Richter — aber nur in seinem Referat, nicht in Collectiv¬
inseraten. Sechs Kritiker zusammen sind sechs Private, der
einzelne, in Ausübung seiner Referentenpflicht, ist ein
Richter.
Kurzum, es war ein echter Austriacismus, wie
man im deutschen Norden solche Dinge nennt. Der über“,
schwüngliche Personencultus im guten wie im bösen Sinne,
ist ein Erbübel des österreichischen Volkes. Man kann sich
nun denken, welche literarische Explosionen erfolgen, wenn
heftige Liebe zu einem Dichter mit starkem Hass gegen
einen Director zusammentrifft.
Man erleichtert sein Herz in spaltenlangen Ergüssen,
aber Schlenther bleibt. In den dirigirenden Kreisen
Oesterreichs ist die Abneigung gegen die deutsch¬
liberale Presse nämlich stürker als sse.
Nichts festigt die Stellung eines Mannes in Wien so
sehr, als der Hass dieser l’resse. — Selbstverstündlich sind
wir auch Gegner dieses Standpunktes.

Aus dem Soussleurkasten.
V — Endlich sind wir complet, Hat schon jeder Bezirk sein##A
Theater? Nein. Am Hundsthurm steht noch keines. Macht aber nichts,
wird auch noch hinkommen. Ich bitt' Euch, Kinder, wo soll man die
Menge Publicum hernehmen? Wenn sich das vorhandene auf sämmt¬
liche Theater vertheilt, kommt auf Cnes, na ich dank' schön! Die
armen Directoren! Wenn sich zwei von ihnen zusällig treffen, schauen

einander melancholisch an und der Eine fragt den Andern: Ich
bitt', haben vielleicht Sie eine Ahnung wo mir der Kopf steht? Sind
doch sogar beide Hofbühnen schlecht besucht und bei der zweiten Vor##elusive
stellung in dem k. k. Hofoperntheater zu Ehren Sr. Majestät, des Porto
Schah von Persien Muzasser-Erdin — ist bei Ihnen nichts pickenahlbar
geblieben, o Frau Holefka, keuscheste aller Garderobierinnen? Pardon, Voraus.
Sie sind ja nicht mehr beim Ballet! — haben die schönsten Fußerln vorg ist das
leeren Bänken ihre pikantesten Entrechats gemacht. Wenn schon einht es den
Ab
Schah in Wien nicht mehr „zieht“, dann können wir einpacken. Einz.
Ab
einziger Director in Wien laßt sich über die dermaligen Theater altend die
zustände in Wien kein graues Haar wachsen, ist seit einigen Tagelforgen¬
Inl so gut gelaunt, daß er sich nicht bloß aus dem zerrissenen „Schleien Zeirung")
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der Beatrice“, sondern auch daraus nichts macht, daß ihm „'s Katherl“iche Leben
wod
des ausgesprungen ist. Ich meine nicht das Katherl des Herrn Hofktheilungen
wer rath i. P. Dr. Burckhard, dem s’ jetzt einreden wollen, daß er sich an
das k. k. Hofburgtheater zurücksehnt, sondern jenes fesche Katherl, das¬
gesund mehrere Herren Hoftheaterdirectoren überstanden hat und jetz
in der Lacken oder wie's schweizerisch heißt: in Interlaken sitzt unig
schmollt. Sogar ihr eigener Herr Sohn, der mit der Frau Mama¬
Einige Zeit in Paris gewesen, aber zur Inscribirung an der juridis
chen Facultät nach Wien gekommen ist, hat der Frau Mama tele¬
graphirt, daß zurückkehren und ihr Entlassungsgesuch zurückziehen sollz
es hat nichts geholfen. 's Katherl mag nicht mehr im k. k. Hofburgs
theater Komödie spielen. Aber, wie gesagt, dem Herrn Director Docton
Schlenther macht das auch nichts. Seit dem 17. August ist er ein
gemachter Mann. O, wie spannungsvoll haben die zahllosen Gönner
des Herrn Directors auf diesen Tag gewartet! Es war dies ein
kritischer Tag erster Ordnung, denn bis dahin hat die k. k. Schenerals
intendanz der k. k. Hofbühnen contractlich das Recht gehabt, dem Herrn
Director zu kündigen, ohne daß er auf eine Pension Anspruch gehabt
hätte. Dies ist aber nicht geschehen, und sollte nun Herr Dr. Schlenther
burgtheatermüde oder das k. k. Hofburgtheater schlenthermüde werden,
ist dem Herrn Director lebenslänglich eine Pension im Betrage von
jährlich 6000 Kronen so sicher, als hätte er sie schon im Sacke. Jett
wird man alsdann so Manches, was man sich bei Herrn Doktor
Schlenther nicht gut zusammenreimen konnte, begreiflich
1„Klug sein, mein Freund, heißt tapfer sein im Geist,“ wie
mit diesem falschen „Demetrius“, 1. Actt, 3. Scene, elass
drücken pflegen.