II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 166

gugen, wie Graf( Sinck zu Grunde iu richten, das zel. s isen Samaturgen und
Regisseuren zu besonderem Ruhme. Frl. Konrad muß man freilich
seiner wunder¬
gegen die unwilligen Stimmen aus dem Zuschauerkreise in Schutz
Geschichts= und
nehmen. Sie hat mit voller Hingebung ihr Bestes gethan und ver¬
en dargestellt hat,
dient persönlich dafür Anerkennung. Ihr selbst ist durch diese
anze, von Kunst¬
unbegreifliche Besetzung das größte Unrecht zugefügt worden, vor
aft und Kühnheit
dem die an richtigem Platze so sympathisch wirkende Künstlerin
die Benvenuto
hätte bewahrt bleiben müssen. Ueber reiche Modulationsfähigkeit
assen, Goethe uns
on der uns kaum
des Organs, lebhaftes Mienenspiel und vor allem einen geheimni߬
voll von ihr ausgehenden Zauber der Persönlichkeit, alles der
ft, der sich jene
16. Jahrhunderts
Beatrice unentbehrliche Eigenschaften, verfügt Frl. Konrad nicht.
Sie würde die Rolle der Beatrice nicht bewältigen können, auch
folgen mußten.
wenn es sich blos um ein Nachspielen, nicht um eine völlige
ppo Loschi beim
Neuschaffung gehandelt hätte.
fffen. Die Ehren¬
An dieser Aufgabe des Neuschaffens ist auch Herrn Runge's
edelften Freundes
Regie gescheitert. Sie hat Ausgezeichnetes geleistet, als es sich in
landsliebe, selbst!
mit Füßen treten,
„Ueber unsere Kraft“ darum handelte, das von Alfred Halm,
dem trefflichen Leiter unserer trefflichen Sommerbühne, im Berliner
n des auf seine
Theater aufgestellte Vorbild zu übertragen. Einer Inscenirung
Filippo ist der
ohne Vorbild, wie sie im vorigen Jahre Otto Vischer wiederholt
Vorhandene sieht,
mit Erfolg ausgeführt hatte, zeigte sich Herr Runge im zweiten
seinen Phantasie¬
und vierten Acte des Schnitzler'schen Stückes nicht gewachsen.
rstehlich wirkt der
Unser Mangel an Personal, durch den eine ganze Reihe kleinerer
r Poesie tauchende
Rollen entstellt wurde, zwang unsere beiden Regisseure, Herrn
raftnatur des im
Runge im Lobetheater, Herrn Niedt am Sonntag im Thaliatheater,
hut. Der Phan¬
Filippo und dem selbst mitzuspielen. Nach der Härte und Sprödigkeit von Herrn,
Runge's Organ und der Steifheit seines Spiels kann man die die wir stets an ihm bewundern. Herr Lettinger verfügt eben
öftere Anwendung dieses Hülfsmittels nicht empfehlen. Die Schuld
über die Kraft der Phantasie, sich selbst in die Rolle so hinein¬
für die mangelhafte Inscenirung darf man freilich nur zum
zuleben, daß der Zuhörer alles andere vergißt und ihm glauben
kleineren Theile der Regie zur Last legen. Ein mit großen
muß. Wie wenig Fräul. Konrad diese gestaltende Phantasie besitzt,
Massenscenen ausgestattetes Stück gehört auf die größere Bühne
zeigte sich gerade im Zusammensein mit Filippo, aber trotzdem
des Stadttheaters. Dort will man aber die Oper mit ihren
ergriff bis ins Innerste die wunderbare Rede Filippo's, in welcher
höheren Eintrittspreisen nicht beschränken, und den Beweis, daß
er der seelenlosen Beatrice „des Daseins Wunder“ die Buntheit
das Publikum das Schauspiel im Stadttheater nicht besucht, bringt
dieser schönen Welt in seiner Todesstunde noch einmal enthüllt.
man ja auch zustande, indem man z. B. gerade am Montag,
Des Lebens Unruh und Verwirrung
bekanntlich dem schlechtesten Theatertage, den „Kaufmann von
Mit allem räthselvollen Licht und Lärm,
Mit aller Angst und allen Wonnen —
Venedig“ aufleben läßt, nachdem er bereits wiederholt als Nach¬
All dies ist Dasein — das bist Du, das ich,
mittagsvorstellung zu ermäßigten Preisen abgespielt worden ist.
Hier unten ruht die Stadt, drin aihmen Menschen,
Wenn im Rathhause stets einseitig die Anklagen gegen das
Dort stürzt ins Weite Straß' und Straße hin
Publikum erhoben werden, so muß man doch einmal erläutern,
Ins Land, ans Meer und überm Wasser wieder
Menschen und Städte; — über uns gebreitet
wodurch solch mangelhafter Besuch des Schauspiels verschuldet
Dies blauende Gewölbe und sein Glanz,
wird. Die Anklage über den Verfall unseres Schauspiels
Und alles dies ist unser, denn wir sind!
muß man wohl erheben, aber nicht Theilnahmlosigkeit des
Und morgen schon gehört es uns so wenig
Publikums ist daran Schuld. Für eine so wichtige Rolle!
Als alles Lichtes Wunderfülle Blinden,
Gelähmten aller Wege Luft und Formen.
wie den Grafen Andrea, für Beatricens Bruder, der ihr zuletzt
den Dolch ins Herz stößt, hatten wir keinen geeigneten Vertreter.
So mit vollem Bewußtsein nimmt der Dichter vom Leben
Frl. Dellon, deren Leistungen wohl einmal den Versuch mit einer
Abschied, und die vor dem Tode zurückschauernde Beatrice kehrt
größeren Rolle rechtfertigen würden, spielte die eine bäuerliche
wieder ins herzogliche Schloß zurück, von dem sie zu Filippo geflohen
ausgezeichnet, aber um so störender erschien die unmögliche Ver¬
ist; sie spricht zu ihrer Entschuldigung dort die Lügen, die ihr der
tretung der zweiten Florentinerin. Die Herren Johow, Ziegel,
sterbende Dichter gelehrt, um dies erbärmliche Leben zu retten, und
Wallauer, Lehrmann, Müller, Henze und diesmal erfreulicher¬
muß schließlich doch den Herzog in Filippo's Haus geleiten, um
weise auch Herr F. Göbel erfüllten ihre kleinen Aufgaben völlig
dort ihr Ende zu finden.
befriedigend, aber das bologneser Straßenleben wollte sich nicht
Gewiß ist manches gegen die Dichtung einzuwenden. Schnitzler
entfalten. Daß durch die Straßen Bolognas sich ein grüner
setzt zu viel Geschichtskenntniß bei seinen Zuschauern voraus.
Teppich breitete, auf dem auch die Häuser standen, blieb selbst bei
Shakespeare, von dessen Geist ein voller Hauch den „Schleier
der groben Vernachlässigung der Ausstattung, an die wir gewöhnt
Beatricens“ durchweht, würde nicht versäumt haben, den furcht¬
sind, noch auffallend. Aller Sinnenprunk eines Renaissancefestes
baren Cesare selbst uns wenigstens in einer kurzen Scene vor
soll sich am Hofe Bentivoglios in jener tollen Hochzeitsnacht, dem Augen zu stellen, damit wir seine Furchtbarkeit sinnlich empfinden.
Einnenrausche vor dem Todesmorgen, entfalten. Was wir außer Der moderne Dichter hatte den Scenenwechsel, der die einheitliche
dem wohlbekannten gelben Egmontcostüm, das diesmal einen
Composition der Acte unterbricht, zu scheuen. Aber trotz mancher
furchtbar schreienden Träger hatte, von dem Hoffeste zu sehen
Unklarheiten, wozu besonders die häßliche und unnöthige Selbst¬
bekamen, das hätte irgend eine kleine Bühne in Krotoschin oder
anklage Filippo's über sein Benehmen gegen seine Braut zu
Kieferstädtel wohl ebenso gut aufbringen können wie die subventio¬
rechnen ist, haben wir eine Dichtung von seltener Größe und
nirten Theater der Provinzialhauptstadt. Wenn unsere Theaterleitung
Schönheit vor uns. Und kann man auch nicht den Besuch ihrer
den Ehrgeiz hatte, die erste Aufführung eines so großen Werkes zu
mißrathenen Vorstellung im Lobetheater empfehlen, so wird doch
unternehmen, dann hätte sie auch den Ehrgeiz haben sollen, das
sicher über kurz oder lang eine andere deutsche Bühne die Ehren¬
Stück wenigstens erträglich herauszubringen. Einen besseren
schuld gegen den Dichter durch eine würdigere Aufführung ein¬
lösen und wird eine Buchausgabe bald weiteren Leserkreisen die
Vertreter der Herzogrolle als Herrn Jessen konnte sich der
Dichter freilich nicht wünschen. Im stolzen Trotze des ge¬
Bekanntschaft des herrlichen Dramas erschließen, dessen Schön¬
borenen und durch seine eigene Kraftnatur zum Herrscher
heiten gerade bei genauerem Eindringen in die Dichtung sich
immer mehr erschließen.
berufenen Fürften, im unmittelbaren Gefühle für das Schöne in
Dichterwort und Frauenreiz, in Milde und Grausamkeit gab Herr
Jessen des Dichters Gestalt vollendet wieder. Herr Lettinger
blieb im ersten Acte wohl etwas hinter dem Idealbilde Filippo's
zurück; wir begriffen nicht den unwiderstehlichen Zauber, der von
ihm auf alle ausgehen soll, und die gewaltige Scene mit Andrea
kam durch die steife Gleichgültigkeit seines Partners nicht zur
vollen Wirkung. Aber den übrigen Theil des dritten Actes spielte
v. freilich für sich allein, ganz mit der vollendeten Künstlerschaft,