II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 167

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14: Der Schleier der Beatrice
2. Dezember 1900. Diezt.

Breslauer Theater.
G. M. Stadt=Theater. In Lortzings Waffenschmied“ traten
zwei Debütantinnen auf. Frl. Karvasy, welche schon gelegentlich bei
Wiedecholungen bereits besprochener Opern beschäftigt war und sich gut
gehalten hatte, wurde bei der Première des „Waffenschmied“ in der ver¬
antwortlichen Partie der Marie herausgestellt. Als Anfängerin machte
sie ihre Sache recht brav. Sie war ein ganz allerliebst schwärmendes,
schmollendes, dazu etwas wienerndes Wormser Bürgertöchterlein. Dit
Stimme ist nicht sehr groß, zeigte aber angenehmes Timbre. Die leise
Kopfstimme klang gut und wurde am Ende des ersten Aktes geschickt ge¬
braucht. Beim Publikum fand die Sängerin, die sich auch durch vortheilhafte
Erscheinung empfiehlt, freundliche Aufnahme. Sie gehört jedenfalls zu
denen, welche mit Aussicht auf spätere Erfolge weiterstreben dürfen. Ganz
neu war auf unserer Bühne Frl. Marga Neisch. Sie ist wahrschein¬
lich als Ersatz für Frl. Behnne in Aussicht genommen, die uns leider
verlassen will, um in der nächsten Saison ins Land des Dollars zu gehen.
Frl. Marga Neisch besitzt die Komik der hier so beliebten Künstlerin wohl
nicht. Die Stimme reichte für die Irmentraut aus, was freilich nicht
viel sagen will. Die Sängerin wird sich noch in weiteren Rollen hören
lassen, die ein abschließendes Urtheil ermöglichen. Die übrigen Partien
des etwas zähen Ensembles waren von den Herren Würthele als
munterem Georg. Rochelle als gigantischem Schwaben und Thal¬
heim als redseligem Wirth besetzt. Ein stattlicher Conrad war Herr
Geißler. Den polternden Stadinger gab Herr Schauer. Es war
anzuerkennen, daß er die Partie nicht ins Niedrig=Komische zog. Den
sentimentalen letzten Vers aus dem Jünglingsliede sollte die Regie
streichen. Dirigent war Herr Trummer.. Ein bischen flotteres Lust¬
spieltempo und kürzere Zwischenakte würden die Wirkung des humorvollen
Werkes erhöhen.
Das Löde=Theater harte gestern seinen großen Tag.Eine Premere eine
echte Première, das Werk eines unserer ersten Dichter, das noch nirgends
zuvor aufgeführt, über das die Breslauer zuerst richten durften. Und noch
dazu ein Werk, dem vielfache Schicksale, von der Wankelmüthigkeit des
Burgtheater=Direktors bis zu dem drolligen Ukas der Wiener Kritiker
über die Gerechtsame eines Theaterdirektors, mindestens ebenso gut den :
Stempel der Sensation aufgedrückt hatten, wie ein preußisches Censur¬
verbot. Und der Erfolg? Nun, Schnitzler, der der Première seines fünf¬
aktigen Schauspiels beiwohnte, durfte sich nach dem dritten Akte zweimal,
nach dem vierten Akte einmal zeigen. Auch die anderen Akte fanden Beifall,
doch auch nicht wegzuleugnenden Widerspruch. Es sei von vornherein
bemerkt, daß der Erfolg und der Beifall sicherlich wesentlich größer ge¬
wesen wäre, wenn nicht die Aufführung, vor Allem durch die Besetzung
der Hauptrolle, dem Eindrucke wesentlichen Abbruch gethan hätte. Aber
es will mir scheinen, daß auch bei besserer Aufführung ein stärkerer Beifall
wohl mehr den Schönheiten des Werkes, als dem schönen Werke gegolten
haben würde. Denn Schnitzler ist hinter dem Ziel, das er sich gesteckt,
zurückgeblieben; es ging über die Kraft.
Es liegt nahe, gerade um der Eigenart eines Dichters gerecht und über
die Grenzen seines Könnens klar zu werden, sein neuestes Werk mit
früheren gleicher Art zu vergleichen. Beim „Schleier der Beatrice“ drängt
sich so helerogen Stoff und Behandlung sonst sind, der Vergleich mit dem
Fünen Kakabu auf. In dem „Grünen Kakadu“ hat Schnitzler gezeigt,
daß er es versteht, in den kleinen Erlebnissen der Menschen das Wesen
der Zeit wiederzuspiegeln, und wiederum aus der Zeit selbst das Wesen
der Menschen zu erklären; denn wenn wir jene wild erregten, wirren
Scenen in der kleinen Spelunke sehen, so glauben wir den gellen Klang der
Sturmglocken der Revolution zu hören und den dumpf rollenden Donner
zu vernehmen und den Sturm der großen weltgeschichtlichen Ereignisse.
Auch im „Schleier der Beatrice“ schildert er eine große, wildbewegte Zeit;
er schildert Italien zu den Zeiten der Borgia, in denen kraftvolle Männer
und schöne Frauen in heißer Lust und starker Begierde sich als strupellose
Lebenskünstler das Leben herrlich gestalteten, in denen sich die Natur des
Menschen in ihrer gewaltlasten Größe oder in ihrer tollsten Verzerrung
zeigte. Vielleicht liegt ei gerade unserer Zeit, die in junger Kraft das
Recht auf Ausleben der Individualität predigt, nahe, auf jene Zeiten
zurückzugreifen. Aber Schnigler genügte es noch nicht, jene gluthvolle
Epoche zu schildern; er thürmte einen Berg auf den anderen. Denn er
führt uns nach Bologna an jenem Abend und in jener Nacht, die dem Tage
scheinbar sicheren Unterganges durch die Heerschaaren des Cesare Borgia
vorangeht, also in eine Zeit, in der das Leben ein tausendfach köstliches
Gut wird, in der jede Sekunde eine Ewigkeit bedeutet. Sollten wir aber
den Täumel solcher Zeit verstehen, so muß das Schauspiel von solcher
Gluth und Leidenschaft überströmen, daß es den Hörer stürmisch mit fort¬