II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 170

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14. Der Schleier der Beatrige
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Lobetheater. Sonnabend, 1. December. „Der Schleier der
Beatrice.“ Es ist kaum angängig, den wirklichen Werth des neuesten
Dramas von Arthur Schnitzler nach der Aufführung vom Sonnabend
kritisch zu schätzen. Das Werk zeigt den Wiener Poeten so fern von seinen
bisherigen Pfaden, in so hastigem Aufstieg nach den höchsten Gipfeln
dramalischer Kunst, so kühn in seinem Wollen, so anspruchsvoll an seine
Interpreten, daß nur eine Bühne von reichsten künstlerischen Mitteln
„geeignet war, den „Schleier der Beatrice“ einer sicheren Beurtheilung
zu stellen.
Diese Schöpfung entfloß einer Begabung, die sich aus hohen dichterischen
und theatralischen Qualitäten wundersam mischt. Die Handlung zielt
rücksichtslos auf die stärksten Effecte, sie häuft tragische Katastrophen, die
von den Modernen sonst in Acht und Bann gethan werden, in fast ver¬
schwenderischer Fülle. Dazwischen singt Schnitzler die füßesten Verse,
entwickelt er Charaktere von abgründiger Eigenart, zeigt er scenische Bilder
von erlesenen Reizen. Dem zierlichen Barock=Stückchen, das Hoffmanns¬
Für thal in „Der Abenteurer und die Sängerin“ geschaffen hat, stellt Schnitzler
das große wuchtige Renaissance=Drama zur Seite. Diese Renaissance¬
Epoche mit ihren grellen, harten Contrasten vor einem an die grauen.
Farben der Alltags=Dramatik gewöhnten Hörerkreise wieder aufleben zu
„ kassen, ist fürwahr ein kühnes Unterfangen. Ob dieses Unterfangenas
dem Autor geglückt oder mißglückt ist, das wird, wie gesagt, heute niemanden
mit Bestimmtheit entscheiden können, denn das Werk war um wichtig
Abon!Theile verkürzt und die Darstellung versagte gerade dort, wo der Dichter
Abonihrer Unterstützung am dringendsten bedurfte.
Da ist die Heldin des Schauspiels, Beatrice Nardi. Ein Geschöpf, holddlie
selig jung an Jahren und erschreckend reif an Sinnen und Begierden, n¬

Der
Inhakühn im Wollen und feig im Handeln, naiv im Ausdruck und pervers“
blätn Gefühlen. Wo lebt die Schauspielerin, die als Persönlichkeit unden
wolugls Künstlerin dem Autor diesen Charakter nachschöpft. Die das könntengen
des die Sorma, die Hohenfels, die Duse, unsere Illing, sind nicht „sechszehn¬
werdeährig“ genug, und wie die „Sechszehnjährigen“, selbst wenn sie schon
ein wenig über dieses Alter hinaus sind, an solchen Aufgaben scheitern,
erlebten wir an Frl. Konrad. Sie vermochte nicht einmal,
den äußeren Anforderungen der nach körperlicher Schönheit verlangenden,
Rolle gerecht zu werden, und damit entfiel die einzige Rechtfertigung für
diese aussichtslose Besetzung. Auch Frl. Illing wäre nicht die kindliche,
bezaubernd reizvolle Beatrice Schnitzlers gewesen, aber sie hätte vermocht,
was Frl. Konrad nicht vermochte: dem Dichter mit der Seele zu folgen.
Frl. Konrad machte aus der räthselvollen Frauengestalt ein insipides
Mägdelein, das bei seiner Jagd nach einer guten Partie das Pech hat
einen Liebhaber, einen Bräutigam und das Leben zu verlieren.
das stolze Drama bisweilen zur Tragikomödie, und andere Mitwirkende
zogen es noch tiefer. Doch davon später.
In einem Punkte hat Schnitzlers Kraft den gewaltigen Stoff sicherlich
nicht gebändigt, in der Verschmelzung menschlicher Einzel=Schicksale
großzugiger politisch=historischer Schilderung. Die versönlichen Geschicke
Beatricens, ihres Dichters und ihres Herzogs entrollen sich auf dem
düsteren Hintergrunde der blutigen Kämpfe, die das grause Papst=Geschlecht
der Borgia gegen die kleinen Machthaber Italiens führte. Von der Borgia¬
Intrigue, die den Fürsten Bentivoglio, Herzog von Bologna, in seinem
Besitzstande bedroht, ist oft im Stücke die Rede, breite Episoden (z. B. die
Folterung des Borgia=Spions) sußen auf ihr, aber nirgends tritt sie grof
und gebieterisch in die Erscheinung. Der Gedanke, alle diese Ereignisse
durch die nervöse Hast einer furchtbaren Nacht, der letzten vor dem wahr¬
scheinlichen Untergang eines Fürstengeschlechts, zu jagen, ist an sic
glänzend, nur kommt eben die Furchtbarkeit des bevorstehenden Ver¬
zweiflungskampfes nicht mächtig genug heraus. Sö erscheint diese Seit¬
des Werkes mehr als das Ergebniß technischen Compositionsgeschickes
denn als integrirender Theil des dramatischen Erlebnisses.
Im Wesentlichen concentrirt sich die Entwickelung des Dramas auf
folgende Züge. Loschi, der gefeiertste Poet Bolognas, wird der gräflichen
Braut untreu, weil das schöne Bürgerskind Beatrice Nardi sein Herz
fesselt. Untreue wird alsbald durch Untreue bestraft, denn Beatrice kann
in den Armen Loschis einen Traum nicht vergessen, in dem der junge
Herzog von Bologna ihr näher war, als es sich selbst mit der lockeren
Moral eines Poetenliebcheus verträgt. Da sie naiv oder frech genug ist,
von diesem Traum zu plaudern, stößt Loschi sie von sich. Nun ist Beatrice
bereit, dem Rath ihres wackeren Bruders zu folgen und den bescheidenen!.
Anbeter Vittorino mit ihrer Hand zu beglücken, aber zwischen Haus und
Kirche witt der Held iner Träume, der Snen Pentivoalio selbstg um