II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 174

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„OBSERVER“ Nr. 56
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Ausschnitt aus:
# Je8.
von
in denen kraftvolle Männer und schöne Frauen in Herzog aber zieht beim Schein der jungen Morgen=4
heißer Lust und starker Begierde sich als scrupellose sonne hinaus in den guten Kampf. Seine letzten Worts
Lebenskünstler das Leben herrlich gestalten, in denen enthüllen noch einmal den Kern der Dichtung: Das!
Feuilleton.
sich die Natur der Menschen in ihrer gewaltigsten
Leben ist die Fülle, nicht die Zeit. Und noch der nächste
Größe oder in ihrer tollsten Verzerrung zeigte. Vielleicht
Augenblick ist weit.“
liegt es gerade unserer Zeit, die in junger Kraft das
Zwei Charaktere ragen in dem Drama fast über¬
Recht auf Ausleben der Individualität predigt, besonders
Erst=Aufführung
nahe, auf jene Zeiten zurückzugreifen. Aber Schnitzler
mächtig vor, Filippo und Beatrice. Wer wollte sagen,
genügte es noch nicht jene gluthvolle Epoche zu schildern.
womit Beatrice schuldig ist an all dem Furchtbaren,
von Arthur Schnitzler's Drama
Er thürmte einen Berg auf den andern. Denn er
Das um ihretwillen, geschieht? Ist sie doch nur eine
holdselige, unbewußte Sünderin. „Warst Du nicht,
führt uns nach Bologna an jenem Abend und in jener
„Der Schleier der Veatrice“
Nacht, die dem Tage scheinbar unvermeidlichen Unter= Beatrice, nur ein Kind, das mit der Krone spielte, weil
sie glänzte — Mit eines Dichters Seel', weil sie voll
ganges durch die Heerscharen des Cesar Borgia voran¬
in Breslau.
Räthsel —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir
geht, also in eine Zeit, in der das Leben ein tausend¬
Für 50 Zei
just geschenkt war?“ sucht der Herzog als milder Richter
fach köstliches Gut ist, in der sich die Lebenssehnsucht
Ueber die Erstaufführung des neuesten Dramas
100
ihre Schuld zu begrenzen. Vielleicht war ihre Haupt¬
ins Ungemessene steigert, in der jede Secunde eine
von Arthur Schnitzler „Der Schleier der Beatrice",
200
schuld nur die, daß sie das Leben über Alles liebte.
Ewigkeit bedeutet. Sollen wir aber den Taumel solcher
die am Sonnabend=Abend im Breslauer Lobe¬
500
Was aber konnte sie Filippo sein, dem Dichter, der in
Zeit verstehen, so muß das Schauspiel von solcher
Theater erfolgt, wird uns von dort geschrieben:
„ 1000
ihr eine Welt der Reinheit und Schönheit zu finden!
Gluth und Leidenschaft überströmen, daß es den Hörer!
gehofft hatte? Was kann Filippo die ganze Welt
stürmisch mit fortreitt, und es muß in solchem Glanze
Als die beste Reclame wird von den zeitgenössischen
Im
sein, daß er sie nicht in raschem Entschlusse fortwürfe?
und in solcher Schönheit strahlen, daß es wie
Abonnement
Dramen=Antoren noch immer ein preußisches Censur¬
Nur Der hat nach Filippos Ansicht ein Recht, das
die Verkörperung der Lebenslust und Lebensfreudigkeit
Abonnenten f
verbot angesehen. Zwar sind auch diese Verbote durch
Leben unbeirrt zu genießen der als Herrschernatur
erscheint. Diese Kraft und dieser Glanz finden sich
das allzu liebenswürdige Entgegenkommen der Dumm¬
siegreich hindurchwandelt. Er selbst aber mit seinem
wohl an einzelnen Stellen, dem Drama als Ganzem
räthe und Consorten schon im Course gesunken und
Der
überfeinen Empfinden, das sich an tausend Ecken stößt,
fehlen sie.
stehen unter pari, aber eine gewisse Sensation machen
Inhaltsangal
ist keine Herrschernatur. Und darum empfindet er
sie immer noch. Das neueste Schnitzler'sche Drama
blätter
Das als Unrecht, was er sonst als sein Recht betrachtet
Selbst die ausführlichste Inhaltsangabe würde
hatte das Glück, daß ihm eine viel eigenartigere
wodurch eine
haben würde, seine Schuld seiner Braut, der Gräfin
wohl nicht sonderlichen Werth haben; denn durch eine
Reclame als Sensationserzeugerin vorausgegangen
des In- und
Teresina, gegenüber, die er erst mit zügellosen Worten
war: die bekannte Wankelmüthigkeit des Wiener
Erzählung von dem Gange der Ereignisse pflegt man
werden in Wi
stürmischem Begehrens entehrt und dann um Beatricens!
Burgtheater=Directors Dr. Schlenther und der drollige
am wenigsten den eigentlichen Inhalt eines Dramas
willen verlassen.
zu erschöpfen, das das innerste Wesen der Menschen
Ukas der Wiener Kritiker über die Gerechtsame der
zu entschleiern sucht. So sei nur Einiges flüchtig
Theater=Directoren, wie manches Andere, was damit
„So Einer möcht ich sein,
angedeutet.
Filippo Loschi, ein großer herrlicher
zusammenhing. Schnitzler hat ja selbstverständlich der¬
Der festen Schritt's und lächelnd vorwärts wandelt,
Dichter, liebt die junge, holde, eben erblühte Beatrice,
Derselbe aufsteht und zur Ruh' sich legt,
artige Reclame nicht nöthig; er darf sicher sein, daß
Nicht heute Gott und morgen Affe ist.
die Tochter eines alten, verrückten Wappenschneiders.
jedes seiner Werke selbst von Gegnern seiner Schaffens¬
Den, der heut' seine Hochzeit feiert, neid' ich
Aber in der zarten Feinheit seines Empfindens, in
art ernsthaft gewürdigt wird; aber immerhin wird ees
Um Bentivoglio, der an jedem Tag
seiner Sehnsucht nach Schönheit, die zugleich Wahrheit
ihm nicht unlieb gewesen sein, daß das sonst ein
Sein Leben trinkt aus tausend klaren Quellen,
und Reinheit ist, stößt er die Geliebte voll inneren
wenig spröde Breslauer Publicum das Theater bei
Und jede weckt den Durst und jede löscht ihn...
Grauens als unrein und entweiht von sich, als sie
geräumtem Orchester bis auf den letzten Platz gefüllt
Wär ich wie Der und wär ich über Meuschen,
ihm in naiver Unschuld erzählt, daß sie im Traume
hatte, daß namhafte Kritiker und Theater=Directoren
Wie über feuchtes Gras hinweggeschritten,
die Herzogin, die Gattin des Bentivoglio gewesen
Daß mir der Fuß vom Than des Lebens dampft,
aus allen Orten zu der Première nach Breslau
Das ich zertrat, so wär' ich ohne Unrecht ...“
und der Herzog sie liebend umfangen. Sie kehrt
gekommen waren und daß die große Schar seiner
nach Hause zurück und läßt sich von ihrem Bruder
Breslauer Freunde und Verehrer vollzählig erschienen.
Die vereinzelten Proben, die aus dem Werke im
bereden, den jungen Vittorino ihren Jugendgespielen.
Trotzdem darf nicht geleugnet werden, daß aber selbst
Wortlaut mitgetheilt wurden, seien zugleich ein Beweis
in diesem in jeder Beziehung gut besetzten Hause der zu heiraten, nicht aus stürmischer Leidenschaft, sondern
für die Schönheit der Sprache, die an vielen Stellen
als Schutz in den Wirren kriegerischer Zeiten. Auf
Beifall nicht übermäßig stark war, ja, daß selbst
das Schauspiel auszeichnet. Leider nicht an allen; denn
dem Wege zur Kirche, zum Traualtare, tritt ihr der
Widerspruch nicht fehlte. Und wenn Schnitzler sich im
zuweilen fehlt doch der erforderliche Glanz Glanz aber
Herzog entgegen. Das scheinbar Undenkbare geschieht:
Ganzen drei Mal zeigen konnte, so bedeutet Das immer
ist Das, was dem Werke auch in der Wiedergabe am
ihr Traum wird Wahrheit, denn der Herzog beschließt
noch eher einen schwachen als einen starken Erfolg.
meisten noth thut. Die Breslauer Aufführung zeichnete
in unbezwinglicher Leidenschaft an diesem Vorabend
Freilich trug die wenig stimmungsvolle Darstellung
sich, außer in der Besetzung der Rolle des Filippo
der gefahrvollen Entscheidungsschlacht sie zur Herzogin
und die geradezu schlechte Verkörperung der Hauptrolle
durch Herrn Lettinger und des Herzogs durch
zu machen, da sie als seine Dirne ihm nicht folgen
zu der Minderung des Erfolges bei. Aber die Haupt¬
Herrn Jessen, die Figuren voll warmen Lebens und
will. Der arme Vittorino ersticht sich. Beatrice aber
schuld trug nun einmal das Stück selbst das vieles
voll zäher Leidenschaft schufen, durch den gänzlichen
schleicht sich noch in der Nacht während des bacchantischen
Schöne enthält, dem aber doch eine gewisse Kraft der
Mangel an Glanz aus. Das Schlimmste war daß
Trubels der Hochzeitsfestlichkeiten fort zu Filippo, zu
Einheitlichkeit fehlt. Schnitzler ist hinter dem Ziele, das
die Beatrice selbst einer Künstlerin anvertraut war,
dem sie heiße Sehnsucht zieht. Wenn sie nicht mit
er sich steckte, zurückgeblieben.
der es nicht nur an der nun einmal für diese Rolle
ihm leben kann, will sie mit ihm sterben.
Doch
unentbehrlichen Holdseligkeit fehlte, sondern auch an
Filippo überzeugt sich, daß sie mit dem Tode nur so
Es liegt nahe, eine Parallele zwischen dem neuesten
jedem Verständniß für das innere Wesen der Beatrice,
spielt, wie mit dem Leben, daß das Leben selbst ihr
Drama Schnitzler's und einem früheren, dem ein¬
diese seltsame Mischung von Keuschheit und Begierde.
aetigen „Grünen Kaladu zu ziehen. In dem „Grünen doch das Höchste bleibt. So weist er sie zum zweiten
Es ist nicht unmöglich, daß das Drama mit seinen
Male mit Abschen von sich; er selbst aber leert den
Kakadu“ hat Schnitzler gezeigt, daß er es versteht, in
vielen schönen und interessanten Einzelheiten an
Giftbecher. Beatrice kehrt in den Palast zurück, sucht
den kleinen Erlebnissen der Menschen das Wesen der
anderen Orten, wie in Hamburg, die eine glänzende
Zeit widerzuspiegeln und wiederum aus der Zeit
ihr Ausbleiben durch ein ganzes Lügengewebe zu
Aufführung ermöglichen, einen wesentlich stärkeren
selbst das Wesen der Menschen zu erklären; denn
erklären, wird aber schließlich von dem Herzog
Erfolg zu verzeichnen hat, als es ihm in Breslau
wenn wir jene wilderregten wirren Seenen in der gezwungen, ihn an die Stätte des Todes, in den
beschieden war. Aber selbst dort wird es mehr eine
kleinen Pariser Spelunke „Zum grünen Kakadu“ sehen,
Palast Filippos zu führen, in dem sie ihren Schleier,
Gabe für literarische Feinschmecker, als für die große
so glauben wir den gellen Klang der Sturmglocken der
das kostbarste Hochzeitsgeschenk des Herzogs, zurück¬
Menge sein.
Hermann Hamburger.
Revolution zu hören, den dumpf rollenden Donner zu
gelassen. Erschüttert steht der Herzog an der Leiche
vernehmen und den brausenden Sturm der großen
des großen Dichters. Aber während er selbst um
weltgeschichtlichen Ereignisse. Auch im „Schleier der
dieses Großen willen, der sie durch seine Liebe und
Veatrice“ schildert Schnitler eine große sturmbeweate durch seinen Tod geadelt, Beatrice verzeiht, wird;
Beir; er schildert Italien zu den Zeiten der Vorgia, nie von ihrem eigenem Bruder niedergestochen. Der!