II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 188

#n — er wäre ihnen mit jedem immer wieder
Eine zweite, eine dritte Christine, eine
Schlager=Mizzi ... anerkannte Marke ...
in hoc signo..! Viele machen's ja
kinmal in einem bestimmten Genre Glück
ewiß praktisch, sich nach eigenem Muster
r allerdings ist es, sich zu entfalten und
hat sich Schnitzler auf dem Stoffgebiet,
ersten Erfolge wuchsen, nicht behaglich
zwang seine Kräfte nicht, die Wiener
bebauen, blos weil da in Sommern, die
seine Ernte ergiebig gewesen. Als es ihn
hrt. Aus Wien, aus der Gegenwart und
geschulten Prosa. Sein „Schleier der
Bologna, zur Zeit der Renaissance, und
ben.
ilippo Loschi in Bologna, jung, genial
der Schwester seines Freundes Andrea,
resina Fantuzzi verlobt. Andeca weilt
ogs von Bologna zu Gast bei den Bor¬
schen hat es sich ereignet, daß Filippo,
am Krankenlager ihrer Mutter wachte,
seiner Leidenschaft hingerissen, Teresina
ählung zu besitzen verlangt. Ein Liebes¬
ung, geschürt vom Zauber einer milden
sina hat ihn zurückgewiesen und Filippo
begung davongestürmt, hinaus vor die
eben ein Volksfest gefeiert wird, das
ing mit aller Lust umgibt, die er nur
t findet er Beatrice Nardi, die junge,
chter eines tollen Wappenschneiders.
en Abend ist sie sein. Filippo ver¬
er nie gekannten, trunkenen Seligkeit.
n dem Stück voraus. Wenn der Vor¬
wir Filippo wieder der Geliebten harren.
vergessen Andrea und all' die köst¬
affens, Genießens und der Liebe, die
Menschen knüpften. Filippo erwartet
es Andere ist nicht von Wichtigkeit.
ist da, vor drei Tagen noch ein theurer
veil Beatrice kommen wird. Agostino
po's componirt, aber Filippo erkennt
ieb er dies Gedicht? „Noch keinen
no — und Filippo, der großen Ver¬

murmelt: „Noch nicht drei Tage!“
det meinem Heut' dies gestern,
Aug' in Aug' gestellt,
erkennen, Brüdern gleich,
dunkler Straße sich begegnen.“
iebesverse zum Preis der Teresina. So
Verona einst Romeo an Rosalinden, als
kein auch draußen, in Bologna ist viel
en. Cesare Borgia zieht mit Uebermacht
zu belagern. Der Herzog Bentivoglio,
dt gehalten, ist über Nacht und heimlich
n Andrea, der Freund, der Bruder der
Und Teresina's Mutter starb diesen
hi aber hat nicht Ohren für die Noth
nert das bedrohte Bologna nicht, das
utt
und Asche fallen kann. Bologna
er bestellt Pferde, um mit seiner
Mögen Andere für das Vaterland
er hat Beatrice und will leben. Ihn
Teresina's Mutter starb, daß er sein
Andrea zurück ist und Rechenschaft
Schuld? Im Herbste fallen Blätter,
ießen and're! Sagt Ihr d’rum,
ig ward?“
et zu ihm. Andrea hat auf der Reise
n Bentivoglio vorgetragen. Nun ist der
ungen Dichter kennen zulernen, ihn an
Filippo schickt den Boten heim. Was
so bewunderte Herzog? Er hat nicht
en. Und endlich, endlich ist er allein.
trice, zärtlich, plaudernd, schwatzend.
po fliehen soll, regt sie nicht auf.
Pferd am Zügel führen, das muß
Sonst hat sie Angst. Ja, und von zu
ichtig, auch von der kommenden Be¬
viele Menschen jetzt auf der Straße
uder sich hat anwerben lassen, und, bald
sie hat den Herzog gesehen und der
hwester Rosina, die den Herzog liebt,
er der Herzog sah nur sie, Beatrice!
da geärgert hat! Und noch was: sie
te, sie sei des Herzogs Gattin. Wie
manchmal Träume sind. Filippo aber
nangel verspätet.
mslo dringende Worte einwilligte, ihn zu ver¬
lassen, wie sie in ihrer völligen Passivität in Alles willigt.
Schon will sie mit dem überglücklichen Vittorino zum Trau¬
altar, da begegnet sie dem Herzog. Bentivoglio hat eben die
Nachricht erhalten, daß der von ihm verehrte Dichter Filippo
seine Einladung ausgeschlagen, er hat eben vernommen, was
das Volk sich erzählt, von dem schönsten Mädchen Bolognas,
das heute auf's Schloß soll — und er sieht Beatrice. Von
ihrer Schönheit ergriffen, bleibt er stehen. Ward ihm der eine
Wunsch, einen bewunderten Mann kennen zu lernen, aus
unbegreiflichen Gründen verwehrt, so wird ihm vielleicht der
andere, ein schönes Weib in dieser Nacht, die möglicherweise
die letzte seines Lebens ist, zu umarmen, erfüllt. Und er ladet
Beatrice zu sich auf's Schloß. Diese aber, von ihrem Traum
befangen, sagt kühn: „Die herzogliche Schwelle betret' ich
nur als Herzogin!“ Und Bentivoglio, der Jugendliche, der
Freie, der das Seltsame und das Freie liebt, nimmt Veatrice
zum Weibe. Cesare Borgia wartet draußen vor dem Thor
mit zehnfacher Uebermacht. Wenn es morgen kein Bologna
und keinen Bentivoglio mehr gibt, was liegt dann noch daran,
wer eine Nacht lang Herzogin gewesen. Der arme Vittorino
aber, so nah' am Ziel, vom Glück getäuscht, stößt sich einen
Dolch in's Herz.
Filippo hat den Abend mit Dirnen verjubelt. Gleich
nachdem Beatrice fort war, sind die beiden Florentiner
Dämchen in sein Haus gedrungen. Da liegen sie nun ein¬
geschlafen, wie die Musikanten, die zum Mahle aufgespielt
haben. Filippo weckt sie. Er will sie los haben: „Heisse
Trunkenheit, Musik, Umschlungensein von weichen Armen.
Was blieb zurück? Nichts als befreites Athmen, daß es vor¬
bei, und Sehnsucht nach Alleinsein!“ Ohne es selbst zu wissen,
wartet er auf Beatrice. Scheidend, sprach sie: „Fühl' ich,
daß
ich nicht sein kann ohne Dich. Und hab'
zu sterben Lust, so komm' ich wieder und nehm'
Dich mit!“ Jetzt klammert er sich nur mehr noch an diese
Worte, die er doch nicht ernst nimmt. Da tritt Ercole, ein
Freund, in's Zimmer. Er sieht die Damen und Filippo's
Wunsch, sich ihrer zu entledigen. Das trifft sich gut. Sie
wollen mit ihm auf's Schloß. Der Herzog hat ganz Bologna
geladen, seine Hochzeit zu feiern mit Beatrice. Mit welcher
Beatrice? Nun, mit Beatrice Nardi! Einer Bürgerlichen.
Er nahm sie, als sie eben mit einem Anderen zum Trau¬
altar gehen wollte. Morgen ist doch Alles vorbei! Ercole zieht
mit den Florentinerinnen ab. Auf den Straßen wird's lebendig.
Bologna jubelt. Filippo aber kann nicht fassen, was geschah. Da
tritt Andrea ein. Er kommt erwünscht. Nun ist Filippo bereit,
Genugthuung zu geben, den Treubruch mit dem Leben zu
bezahlen. Der edle Andrea aber mag den nicht tödten, den
er einst hoch geehrt, mag keinen Bologner morden in der
Nacht, die Bolognas Fall vorausgeht. Filippo soll mit
ihm, dem Feind entgegen, dort auf dem Feld der Ehre
fühnen. Und Loschi ist willig, ist begeistert, daß dieser
Schluß ihm noch gewährt wird. Da ruft es draußen seinen
Namen. Beatricens Stimme. Die Stimme seiner Ge¬
liebten, die Stimme der Braut des todten Vittorino,
die Stimme der Herzogin von Bologna. Rasend drängt
Filippo den Andrea hinaus. „In diesem Augenblick
geschieht so Ungeheures, daß alles Andere nichts
wird!“ Beatrice ist
gekommen. Von der Hochzeit
fort, von Sehnsucht getrieben, ihr Wort zu halten, mit
Filippo zu sterben. So brav ist sie und möchte auch nun die
Belohnung: „So nimm' mich doch in Deine Arme.“ Filippo
stellt sie auf die Probe. Er gibt ihr Wein und sagt, es
sei Gift gewesen. Beatrice verzweifelt vor Angst, und
er, der nun zum zweitenmale durch Beatrice sein Wort,
seines Lebens Ehre an Andrea verloren, trinkt den
Giftbecher. Entsetzt flieht Beatrice von der Leiche
und läßt ihren Schleier zurück. Sie kehrt in's Schloß
zurück, wo das Bacchanal tobt, wo Boten von den
belagerten Mauern kommen, Gefangene eingebracht werden.
Sie kehrt in's Schloß zurück, wo der Herzog sie längst ver¬
mißt und sucht, wo die eifersüchtige Rosina den Argwohn
gegen die eigene Schwester stachelt, wo die Höflinge gegen
die unebenbürtige Herzogin wüthen. Wo sie war? In der
Kirche San Petron, für Bologna beten. Wo ist ihr Schleier
geblieben? Wohl dort, in der Kirche! „Die Herzogin
lügt!“ ruft ein Höfling. Er hat die Kirche selbst ver¬
schlossen. Nun soll sie den Herzog dorthin führen, wo
der Schleier geblieben, dann ist ihr Alles verziehen, was es
auch sei! Aber um nichts will sie an den Ort des
Schauderns, den sie verlassen, zurückkehren. Da verstößt sie
der Herzog. Ein rasches Gericht verurtheilt sie zum Tode,
und das Schwert fast schon im Nacken, schreit sie in höchster
Angst auf. Ja, sie will den Herzog führen, und sie geht
mit ihm in dasselbe Zimmer, darin sie den Schleier
gelassen und wo Filippo todt liegt. Der Herzog hält die
Leiche für einen schlafenden Nebenbuhler und beschimpft den
Todten, bis er den fürchterlichen Irrthum erkennt. Das Ge¬
folge tritt ein. „Wo bin ich?“ fragt der Herzog, und da er's
erfährt:
erwähnten Formel declinirt werden: Schnitzler=Vorstadt¬
süßes Mädel“. Der ganze Ideenkreis, der Anatol und seine
Mädchen, der die Christine der „Liebelei“, der alle die kleinen
und großen Dialoge, Novellen und Stücke Schnitzler's er¬
füllt, erfüllt auch dieses Drama. Anatol, der ästhetisirende
Liebhaber, bezaubert von der unbewußten Grazie eines Vor¬
stadtmädels, melancholisch durch Eifersucht auf Vergangen¬
heit und Gegenwart, nachdenklich über die Räthsel des
Liebesverkehrs, und manchmal im chambre separée sum¬
marisch: „So ist das Leben!“ Filippo Loschi trägt seine
Züge. Aber statt der kleinen Abenteuer erlebt er das große
Abenteuer seines Lebens. Die endgiltigen Erkenntnisse
schließen sich ihm auf, die schmerzlichen Räthsel der Liebe
lösen sich vor ihm. Beatrice, das Vorstadtmädel, süß, natürlich,
sehr süß, hinreißend in ihrer inneren Naivetät, berauschend
in ihrer stets bereiten Weiblichkeit, und sie geht den
Weg der Vorstadtmädel. Der junge Mann aus ihrem
eigenen Kreis, der sie heiratet, der junge Cavalier, der
sie zu seiner Geliebten macht, und, wenn sie Glück hat,
der Herzog, der sie dann wirklich zum Weib nimmt. Es ist
derselbe Ideenkreis, aber ein= für allemal ausgeschöpft und
zu
Ende gedacht. Es sind dieselben Menschen, aber dem
Gegenwärtigen entrückt, in's Allgemein=Menschliche erhoben.
In Beatricen erscheint daß „süße Mädel“ nicht mehr als
nur
verlogen, treulos, lieblich und verdorben dabei.
Sie begeht Treulosigkeiten, sie lügt und wird als ver¬
dorben gescholten. Aber der Dichter sagt zu ihr: „Du bist
„Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist Du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und daß Du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendlich Vielen fanden,
Hat nie mit tiefem Schauer Dich erfüllt,
Und daß Dein Vater toll, füllt nicht mit Bangen,
Daß Vittorino starb, der Dich geliebt,
Nicht mit dem fürchterlichsten Grau'n Dein Herz.
Und daß Du Fürstin von Bologna bist,
Macht Dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück' auf Deine Handsetzt,
Und wenn Gespenster aus dem Grabe kämen,
Ich weiß, sie schreckten Dich, wie Fledermäuse,
Doch auch nicht nehr und nicht auf and're Art.“
Und der Herzog sagt zu ihr:
„Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und Jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!“
Zum erstenmale wird das Weib von dieser Seite ange¬
sehen. Vorurtheile von „Sünde", „Schlechtigkeit" und
Laster“ zerstieben unter diesen Worten, und die falsche
Wichtigkeit, die dem Geschlechtsverkehre zugemessen ward,
schwindet. Ebenso wie die Gestalt der Beatrice, wie die
Gestalt des Herzogs, ist die künstlerische Intuition Schnitzler's
zu bewundern, der für sein Drama eine Zeit gewählt, in
welcher hohe geistige Entwicklung mit ungeheueren Gescheh¬
nissen zusammenging, in welcher Fürsten lebten, die, mitten
auf dem Schlachtfeld ruhend, sich Verse geliebter Dichter
vorlesen ließen. Beziehungsreich ist dem Dichter der Herzog
gegenübergestellt, dem Mann der Wünsche und der Träume
der Mann der Thaten und des Wirkens, und daß Einer
nach dem Anderen sich sehnt, Einer den Anderen beneidet,
ist ein tief poetischer Zug. Ein tief poetischer Zug ist es
auch, wie Schnitzler alle die bunten Vorgänge dieser fünf
Acte vom Abend bis zum Morgen spielen läßt, wie er die
Liebesgeschichte Beatricens, Filippo's, des Herzogs in das
Fieber einer Nacht taucht, die vielleicht ihre letzte Nacht
sein kann, und eben deshalb allen Möglichkeiten
offen steht.
Dieses Werk ist vorerst nur an einer Bühne gegeben
worden. Mit unzulänglichen Darstellern und mit einem un¬
zulänglichen Apparat. Seine Wirkungskraft hat es damit
allerdings erprobt. Daß es für das Theater lebendig werden
kann, steht nunmehr außer Zweifel. Aber, reich an Gedanken,
an verborgenen und blühenden Schönheiten, wie es ist,
kommt es dem Alltagsbedürfniß nur wenig entgegen, auch
dem Alltagsverständniß. So wird es wohl nur langsam
seinen Weg machen, wird sich erst allmälig vermöge seines
eigenen Gewichtes durchsetzen, und es werden Jahre vergehen,
ehe das abschließende Urtheil über den „Schleier der
Beatrice“ gesprochen ist. Die Zeit lauft dem Dichter nicht
davon — sie holt ihn ein.
Felix Salten.