II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 194

box 20/2
14. Der Schleier der Beatrice
wunderbare wohllautende Sprache und treffliche Charakterschilderung tragen dazu noch
bei, das Stück als eines der besten der Gegenwart.
Leider stand die Darstellung nicht auf der Höhe des Werkes. Fräulein Konrad
zeigte uns nicht eine der vielen Seiten die Beatrice gekennzeichnet. Dagegen war es
ein wahrer Hochgenuß Herrn Jessen (Herzog) und vor allem Herrn' Lettingen (Loschi)
sprechen zu hören. Diese beiden retteten die schönen Verse. Unter den übrigen Mit¬
wirkenden traten noch die Damen Stägemann, Nolewska, die Herren Scholz,
Stange und Lehrmann hervor. Herr Runge hatte einen schweren Stand als
Regisseur des Abends, brachte aber doch das Allgemeine mit Sicherheit.
Mar Holzer¬
Prager Theaterbrief.
Jeit her, traun, kam sie des Weg's, die Londoner Konzerisängerin Blanche
949 Marchesi, um in Prag ihre ersten Bühnenschritte zu wagen. Die Möglich¬
keit, daß diese Bühnenschritte der Anfang seien zu einer rühmlichen
Bühnenlaufbahn erlaube ich mir anzuzweifeln. Die Wolanstochter Brünhilde ist
zum Versuchskaninchen degradiert worden. Frau Marchesi will nämlich Wagnersängerin
werden. Vor der Hand besitzt sie hierfür nebst der imposanten Erscheinung nicht um
vieles mehr, als den guten Willen. Die Stimme klang im zweiten Akte gepreßt und
reizlos, im dritten hingegen eiwas freier, auch dramatisch belebter. Alles in Allem
aber kann das Debut als sehr überflüssig angesehen werden. Unsere Bühne hat einen
viel zu guten Klang, als daß man sie zur Übungsbühne für auswärtige Sänger herab¬
setzen dürfte; geschieht das dennoch, so suche man nicht durch ungeheure Reklamen über
die Unbedeutendheit derartiger „Gäste“ hinwegzutäuschen. Die Prager haben genug
des selbständigen Urteils, um sich .zu fragen, weshalb ihnen denn durchaus der
Enthusiasmus aufactroyiert werden soll? Angesichts der letzten „Wunschmaid“ hätte
das Publikum entschieden andere und berechtigte Wünsche gehabt!
Als Neueinstudierung brachte die Oper jüngst Spontinis „Fernando Cortez“.
Seit dem 9. September 1813 gehört das Werk der hiesigen Bühne an. Carl
Maria von Weber hat mit der Leitung des „Cortez“ sein Engagement als Kapell¬
meister in Prag angetreten. Er schrieb damals an Gänsbacher: „Cortez ging vor¬
trefflich, und gefiel, so wie etwas diesen kalten Prager Seelen gefallen kann.“ Vor¬
trefflich gegangen ist die Oper diesmal wohl auch; aber der jetzigen Generation der
„kalten Prager Seelen“ wollte sie doch nicht mehr recht gefallen. Diese applaudierten
am meisten der Frau Klaus und Herrn Elsner, am wenigsten Gasparo Spontini.
Die letzte Schauspielpremière bildete Hartlebens „Rosenmontag“. Man vergebe
mir die litterarische Sünde, wenn ich vor Dornen die Rosen der Dichtung nicht
entdecken kann. Ich begreife nun einmal nicht, was einen in dieser fünfaktigen
Offizierstragödie so sehr interessieren und aufregen sollte; die einzelnen Gestalten in
der Kaserne sind mehr oder minder Schablone; nur zwei der jungen Krieger sind ganz
appart und zwar in ihrer — Ehrlosigkeit. Lieutenant Rudorf hat gelogen und be¬
trogen, es bleibt ihm somit nur der Tod. Seine beiden Herren Vettern kommen
aus Lüge und Betrug gar nicht heraus, was sie indes nicht geniert weiter zu leben
und sich für überaus ehrenvoll zu halten, und — was noch seltsamer ist, von den
meisten der Berufsgenossen für ehrenvoll gehalten zu werden. Wo steckt da die Logik?
Und das Liebespaar, um dessentwillen sich der ganze Spektakel vollzieht, ist am aller¬