II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 199

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14. Der Schleien der Reatrige
Münchner Rundschau.
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Kunstwerk ohne Ursache und eigenes Erleben nie entstanden. Ein Dutzend solcher
Epigönchen, und die moderne Dichtung wird in verdünnten, verwässerten Dilettanten¬
arbeiten für die „Gartenlaube“ reif. Die Wahl dieses Werkes war ein Mißgriff, für
den wir aber in der jüngst veranstalteten „Nietzsche=Feier“ entschädigt wurden.
Conrad stand auf der Tribüne. Das war eine der interessantesten Bekanntschaften,
die uns je vermittelt wurden. Dieser gerade Mann, aufrecht und wehrfreudig wie kein
Zweiter in Deutschland, sprach über Nietzsche. Im Grunde that er es nicht. Er vertrat
dem Pöbel gegenüber Nietzsche's Stelle. Wuchtig, mit den rechten, offenen Worten, gab
er sein Persönliches zu Nietzsche. Jeder Satz war ein prachtvoller Keulenschlag gegen
den Mob, vor dem er sprach. Er setzte das Nietzsche'sche Werk für seinen Teil in die
That um. Keine Verwässerung, Verständlichmachung, kein Verpöbeln dieses Werkes!
Er wußte ganz prachtvoll die weite Distanz zu halten, nirgends Fühlung zu nehmen,
herunterzusteigen. Und es war voll eigenartigen Humors, diese Betonung seines Thuns
von ihm laur und unzweideutig ausgesprochen zu hören, während ich mir einen
Aristophanes wünschte, der den Jubel dieses eben zusammengehauenen Pöbels über diese
Rede gesehen hätte. Eine groteske Komik liegt darin, daß von diesen sechshundert
Menschen, über die Conrad mit Nietzsche'schem Hohn wetterte, Jeder den Nachbar spöttisch
ansah und Keiner sich getroffen fühlte. Feierlich war die „Feier“ nicht und doch voll
echten Stils. Sie war ein Triumph und eine That, voll von dem Geiste des Großen.
Es war, als sollte man rufen: „Der Prophet ist tot! Nun, Ihr erlesenen und berufenen
Jünger, tragt sein Werk in das Leben hinein.“
Josef Theodor.
S
Münchner Rundschau.
Ach bin den Lesern dieser Zeitschrift eigentlich noch einen besonderen Brief über die
° Münchner Kunst=Ereignisse seit Anfang dieses Jahres schuldig. Wer aber wird
gerne „nachkluppen“ wollen? Ich hoffe zuversichtlich, auch meine gesch. Interessenten
legen mit mir im Grunde mehr Wert auf Aktualität, als auf ein gewissenhaft braves
Nachschleppen; und so will ich denn also frisch in die Vollen gehen und hier beherzt
gleich beim neuen Quartal einsetzen!
Auch das musikalische München wird zusehends „moderner". Drei große,
ganz außerordentliche Konzerte in dieser Saison: zuerst Gustav Mahler, dann Richard
Strauß, und jetzt wieder Max Schillings — ich glaube, die Münchner Musikfreunde
können sich heute wirklich nicht mehr beklagen. Wenigstens war das vor wenigen
Jahren noch ganz anders hierzulande. Wir aber können es Herrn Schillings recht wohl
nachempfinden, wenn er als einer der noch Zurückgesetzten den Drang nach praktischer
Selbst=Bethätigung in sich verspürt hat, schon um einmal auch nach positiver Seite hin.