II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 201

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14. Der Schleier der Reatrice
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Die verdienstvollste und einzig geglückte dieser Ausnahmen, die
rungen. Vorführung von Karl Hauptmanns schlesischem Bauernstück „Ephraims
Breite“ in dessen Wiedergabe das in treuherzig derben Rollen sehr
gut verwendbare Frl. Gabri, Herr Johow und Höfer sich hervorthaten,
fällt noch ins Jahr 1899. Der im Herbste 1900 mit Karl Haupt¬
manns „Waldleuten“ unternommene Versuch wäre auch bei minder ver¬
kehrter Besetzung fehlgeschlagen, denn dem Dichter gelang es nicht,
durch nachträgliche Verbesserungen das von Haus aus verunglückte Werk
lebensfähig zu machen. Dagegen theilen sich in die Schuld des vollstän¬
digen Scheiterns der bedeutendsten Erstaufführung der ganzen Löwe'schen
Directionszeit der Regisseur (Runge) und unsere Theaterleitung. Arthur
Schnitzlers „Der Schleier der Beatrice“, der nach der Zurückweisung
seitens des Burgtheaters und zweier Berliner Bühnen am 1. December
1900 in unserem Lobetheater seine erste, und zur Unehre unserer
Theaterdirectoren bis jetzt einzige Aufführung erlebte, ist nicht bloß ein
Drama voll mächtiger Bühnenwirkung, sondern auch das poesievollste
Schauspiel, das im letzten Jahrzehnt oder länger in Deutschland ver¬
öffentlicht w. ede. Es trägt aber zum Theil den Charakter Shakespen¬
re'scher Draumtik und stellt mit seinen prunkvollen Massenscenen an-tie
Bühnen ganz andere Anforderungen als „Liebelei“ und „Der grüne
Kakadu“. So konnte es die für die Beatrice vor anderen berufene
Frau Sorma weder auf ihre große Gastspielfahrt mitnehmen, noch finden
sich für die beiden großen Rollen des Dichters und des Ilerzogs so
leicht geeignete Darsteller. Die letztere war bei uns durch Herrn
Jessen allerdings aufs beste vertreten, aber für die Aufgabe des phantasie¬
vollen Dichters erwies sich selbst Lettinger nicht ausreichend, oder
vielmehr erlahmte aus Mangel an einer helfenden Mitspielerin auch
seine eigene Kraft. Zwarg hätten auch Frl. Illing oder Wendt dem
wundersamen Charakter des traumbefangenen, naiv-sinnlichen Bologneser
Mädehens nicht voll zu entsprechen vermocht, immerhin hätten sie einen
Theil der Rolle zur Geltung gebracht. Statt dessen fügte man einer in
ihren Grenzen ganz gut verwendbaren Schauspielerin das Unrecht zu.
sie in einer Rolle, der wohl nur Frau Sorma in jüngeren Jahren ganz
gewachsen gewesen wäre, bloßzustellen. Schnitzlers Renaissancedrama
fordert prächtige Ausstattung, und unser Schanspiel vermag nicht einmal
das Nothdürftigste, ein annehmbares Bild oder für einen Reitergeneral
ein Paar Sporen, zu liefern; nicht das Geringste geschah, um die durch
Ubernahme der Erstaufführung eines solchen Werkes eingegangene Ver¬
pflichtung zu erfüllen. Eine seltene Gelegenheit, dem Breslauer Theater
Ruhm zu erwerben, führte nur dazu, ihm eine empfindliche Niederlage
Enzubringen.
Es wäre nicht gerecht, Publicum und Kritik für die im Gange dieser
Versicht gerügten Missstände verantwortlich zu machen, wie andererseits
#uch Mie vielen Verdienste unseres Bühnenleiters durch ihre Hervorhebung
keineswegs verdeckt werden sollen. Das Breslauer Publicum weiß gute
Leistungen und mit wenigen Ausnahmen, wie seiner schwer erklärlichen
Abneigung gegen Anzengruber, auch gute Stücke zu würdigen. Es hat
dem Versuche, aus dem Lobetheater ein Possentheater zu machen