20. September 1902.
Seite 183.
Die Zeit.
Wien, Samstag,
Nr. 416.
trunken, fasst sie gar bald Entsetzen, und da Filippo, angewidert
Eisenbahn zwischen Budapest und Fiume anregt. Von Kossuth stammt
von ihr, sich wirklich vergiftet, ruft sie es dem Todten zu, was sie
die in Ungarn weitverbreitete Definition der Politik als einer
wollte: „leben“ mit ihm. Und „leben“ will sie, da schon das Ver¬
„Wissenschaft der Exigentien“; auch sein Lieblingsausdruck, „die
derben sich über ihr zusammenzieht. Ihre Abwesenheit war bemerkt
Logik der Thatsachen ist Gemeingut geworden. Dem Grafen
worden und in ihrer hastigen Flucht hat sie auch noch den Schleier.
Stephan Szechenyi hat zum erstenmale Kossuth den Namen des
bei dem Todten vergessen. Und doch scheint ihr noch Rettung zu
„größten Ungarn“ gegeben, unter welchem er heute in der Geschichte
winken, denn der Herzog verspricht ihr Verzeihung für alles, was
Ungarns bekannt ist, allerdings geschah dies schon 1840, also zu
immer sie gethan, wenn sie ihn dahingeleitet, wo sie den Schleier
einer Zeit, in welcher die Gegensätze zwischen Kossuth und Szechenyi
gelassen hat. Nach heftigem inneren Kampfe führt sie den Herzog
noch nicht so scharf ausgeprägt waren. In einem denkwürdigen
in das Gemach, in dem er den Schleier der Beatrice und die Leiche
Moment, als er am 11. Juli 1848 im Reichstag die Aushebung
Filippos findet. Der Herzog hält wohl sein Versprechen, sie
von 200.000 Mann vorschlug und als sich unter dem Eindrucke
schonen, aber der eigene Bruder tödtet sie. Schave um sie. Sie
seiner Rede der ganze Reichstag wie ein Mann erhob und mit zum
hätte noch eine ganz gute Herzogin abgegeben. Und wenn der Herzog
Schwur erhobenen Händen ausrief: „Wir bewilligen sie!“ sprach
wirklich am nächsten Tage im Kampfe gegen Cesare Borgia fiel.
Kossuth die Worte: „Ich falle in den Staub vor der Größe der
was ich, offen gestanden, nicht weiß, würde sie gewiss ihren Separut¬
Nation!“ — Worte, die seither viel gebraucht und auch missbraucht
frieden mit dem Borgia geschlossen und „offene Arme“ bei ihm ge¬
werden. Ein anderes denkwürdiges Wort sprach er aus, als er die
funden haben.
Umgestaltung Ungarns in modernem Geiste urgierte und dem Adel
„Savonarola“ hat sich Wilhelm Uhde') zum Titelhelden eines
zurief: „Wir werden die Reformen durchführen, wenn es geht,
Schauspieles erwählt. Der erste Act gibt uns ein wohlgelungenes
mit Euch und durch Euch, wenn es aber sein muss, auch ohne
Bild des geistigen Lebens am Hofe der Medici und erweckt die
Euch, ja selbst gegen Euch!“ Bekannt ist auch das Wort, das er
schönsten Hoffnungen. Leider werden dieselben bald zunichte. Der
gesprochen hat, als er am 24. September 1848 in Czegléd Honvéds
Dichter zerstört selbst unser Interesse an seinem Helden, indem er
warb, doch ohne viel Erfolg. Entmuthigt sagte er: „Eine lange
ihn zu einem Schwindler macht. In dieser Gruppe von Dramen
Knechtschaft gebiert keine Helden,“ und sein Wort war bald in
ist auch zu nennen das Fragment Hugo v. Hofmannsthal's
ganz Ungarn auf aller Lippen.
„Der Tod des Tizian"?), aufgeführt als Todtenfeier für Boecklin.
Kein zweiter Staatsmann Ungarns hat die Phantasie des
Ohne jegche Bedeutung ist die „Hölle" von Wanda
Volkes so anzuregen verstanden, als Kossuth. Die volksthümliche
v. Barteis*), ein Schauspiel, in dem uns Dante vorge¬
Idee, die er vertrat, sein glänzendes rednerisches Talent, seine ver¬
führt wird, der in Florenz, das sich ihm infolge der Kämpfe der
hältnismäßig niedrige Abkunft aus einer armen Adelsfamilie —
Cerchi und der Donati und der Gräuel der Pest als „Hölle“ dar¬
all das mag dazu beigetragen haben, dass sich ihm die Liebe des
stellt, die Anregung zu seinem „Inferno“ empfängt. Von gleichem
Volkes besonders ganz zuwandte. Sein Name wird heute in
Wert ist auch ein in Presa geschriebener prosaischer „Wilhelm
einer Reihe mit Fürsten genannt und leuchtet noch immer in hellem
Shakespeare“ von Wilhelm Schäfer.“ Shakespeare erhält da von
Glanz, wie vor fünfzig Jahren. Dieser Glanz kann mit der Zeit
einem jüdischen Geldwechsler und „Bucherer aus Venedig“ den
vielleicht erblassen, erlöschen kann er nicht mehr.
Stoff zum „Kaufmann von Venedig“ tceibt mit Bacon, Burbadge,
G. Betta.
Budapest.
Green, Marlowe, Ben Jonson und Anveren Literaturgeschichte und
macht uns mit seinem Vater, seiner Gattin, seiner Geliebten und
der Königin von England bekannt.
Die dramatische Literatur der Theatersaison
Ganz den Charakter des „Versspieles“ hat schon „Gondoly“
von Rudolf v. Delius.?) Das Stück könnte ebenso zur Zeit
1900—190s.
Napoleons als zur Zeit der Renaissance spielen. Gondoly ist eine
III.
Kaufmannstochter aus Messina, die zuerst sehr ungehalten ist, dass
—sich die Männer „niemals denn vom Thier befreien“ können,
Jel Besprechung der histortschen Dramen wurden die in der Re¬
schließlich aber „doch sehen“ möchte, wie die Sache ist, und sollte
— naissancezeit spielenden übergangen, weil sie sich in der Regel
ihr „der Schlamm bis zur Gurgel steigen“ und sie „einsam irgendwo
den frei erfundenen „Reimspielen“ nähern oder zu den „Künstler¬
verrecken“. Nach einigen Irrfahrten geräth sie auch vor die richtige
dramen“ hinüberleiten. Wohl das bedeutendste „Renaissancestück“,
Schmiede und erfährt, was ihr zu wissen noth thut. So gut hat
das seit einer Reihe von Jahren geschrieben wurde, ist Arthur
es der Leser des „dramatischen Gedichtes“ „Der Sieger“ von Otto
Schnitzlers: „Schleier der Beatrice".!) Es ist bisher nur in
Falckenberg°) freilich nicht. Die Dichtung berichtet uns zunächst
Breslau aufgeführt worden. Das Drama führt uns die Stimmung
von dem Ruhme, den ein venetianischer „Fürst“ gewann, weil er
von Menschen vor, die mit ziemlicher Sicherheit den Untergang vor
einen gefürchteten Seeräuber auf dessen eigenem Schiff „Mann
Augen sehen. Aber nicht gewöhnlicher Menschen von der philisteriösen
gegen Mann“ erschlug. Doch eben in diesem Kampfe hatte er dem
Art, von der heute die Menschen sind, sondern von Menschen der
Piraten gegenüber empfunden: „Du bist der Größere, ich fühl' es
Renaissancezeit, das ist von Menschen, die an sich eine lebhafte
tief in letzter Noth, dein Wille weckt, was dämmernd in mir schlief,
Neigung haben, ihr Leben auszuleben und nun, den Tod im An¬
den Tod . . . du bist der Sieger.“ So variiert er denn nunmehr
gesicht, auch die letzten Zügel schwinden fühlen, mit denen Sitte
den Gedanken des Selbstmordes, um schließlich das Mädchen, das
und Herkommen sie noch geleitet hatten. In der Mitte der Hand¬
ihn schon lange liebend umkreiste, unmittelbar nachdem er es zu
lung steht die schöne Beatrice Nardi, die Tochter eines Wappen¬
seiner Geliebten gemacht, zu erdolchen. Die Motivierung sollen
schneiders; ihr zur Seite sind zwei „Helden“ der Herzog von
offenbar die tönenden Worte enthalten, die der Fürst am Lager der
Bologna und der Dichter Filippo Loschi. Filippo ist es, den sie
schlafenden Geliebten spricht, bevor er sie ermordet:
liebt und dem sie sich liebend hingibt, der Herzog ist es, dem sie
„Du gabst mir mehr, als je ein Weib noch gab,
ihre Hand reicht. Schon im Traume hatte sie sich als Gattin des
Du bist ein Quell der Ewigkeit entflossen —
Herzogs gesehen und seine Umarmung empfunden und nun, da der
Wer einmal einen Trunk aus dir genossen
Herzog in toller Laune eines Todtgeweihten, den Untergang Bo¬
Wird ewig leben — oder sinkt ins Grab.
lognas durch den heranrückenden Cesare Borgia im Auge, das
Du setztest eine Krone mir aufs Haupt,
schönste Mädchen in Bologna sich als Genossin der letzten Nacht
In der die ganze Welt sich funkelnd spiegelt,
erkiesen will und Beatrice, auf die seine Wahl fällt, erklärt, nur
Die letzten Pforten hast du mir entriegelt,
als seine Gattin würde sie ihm angehören, lässt er sich wirklich
Weil ich an deine Wunderkraft geglaubt.
Einmal, ich fühl es, kann dies Wunder werden,
sofort mit ihr trauen und Beatricens Traum hat sich erfüllt.
Das sonnenstark all uns’re Kräfte reift,
Freilich hatte schon der bloße Traum sie von Filippo getrennt, da
Wer toll zum zweitenmale danach greift,
dieser sie nach ihrer Erzählung des Traumes entrüstet von sich stieß,
Der wird zum ärmsten Bettler hier auf Erden.
die „als Dirne ihres Traums“ zu ihm gekommen war. Filippo
Wer seinen Königstraum zu Ende träumt,
war streng. Vielleicht zu streng. Ja, wenn sie von dem Wappen¬
Der hat sein Reich und seine Welt versäumt.“
schneidergesellen Vittorino derlei geträumt hätte, mit dem sie sich
Wie hoch stehen die bescheidenen „fünf Scenen“ „Die Prüfung
dann in den paar Stunden zwischen der Absage Filippos und der
der Herzogin“ von Friedrich von Haas') über derlei sich als Tief¬
Werbung des Herzogs verlobte, das wäre etwas anderes gewesen.
sinn gebendem Unsinn. Das kleine Schauspiel spielt im Staatsge¬
Aber bei Prinzen oder gar bei regierenden Herzogen handelt es
fängnis zu Venedig. Sein Held ist Don Juan, den der Rath der
sich um wohlerworbene Rechte in loyalen Gefühlen erzogener junger
Zehn zum Tode verurtheilt hat, weil er bei einer seiner Don¬
Mädchen, die auch der scrupuloseste Bräutigam respectiren sollte.
Juanerien einen Nebenbuhler erstochen hat. Der Herzog will ihn
Beatrice hat Filippo geliebt und sie liebt ihn noch, darum eilt sie
begnadigen, wenn Don Juan „die Macht, die er besitzet über Herzen“,
als frischgetraute Herzogin, noch angethan mit dem kostbaren
Schleier, den ihr Gatte ihr geschenkt, zu dem Geliebten. Mit ihm
Leipzig, C. Reißner 114 S.
zu sterben kam sie, sagt sie, und sie glaubt es wohl selbst. Aber es
Berlin, Schuster u. Löffler. 22 S.
Leipzig, H. W. Th. Dieter. 94 S.
ist ihr nicht innerer Ernst mit ihren Todesgedanken, denn da Filippo
Zürich, Selbstverlag. 102 S.
ihr sagt, sie habe in dem Becher, den er ihr credenzt, den Tod ge¬
Braunschweig, R. Sattler. 85 S.
München, D. Fr. Rundschau. 58 S.
7) Wien, C. Konegen. 55 S.
1) Berlin, S. Fischer. 215 S.
Seite 183.
Die Zeit.
Wien, Samstag,
Nr. 416.
trunken, fasst sie gar bald Entsetzen, und da Filippo, angewidert
Eisenbahn zwischen Budapest und Fiume anregt. Von Kossuth stammt
von ihr, sich wirklich vergiftet, ruft sie es dem Todten zu, was sie
die in Ungarn weitverbreitete Definition der Politik als einer
wollte: „leben“ mit ihm. Und „leben“ will sie, da schon das Ver¬
„Wissenschaft der Exigentien“; auch sein Lieblingsausdruck, „die
derben sich über ihr zusammenzieht. Ihre Abwesenheit war bemerkt
Logik der Thatsachen ist Gemeingut geworden. Dem Grafen
worden und in ihrer hastigen Flucht hat sie auch noch den Schleier.
Stephan Szechenyi hat zum erstenmale Kossuth den Namen des
bei dem Todten vergessen. Und doch scheint ihr noch Rettung zu
„größten Ungarn“ gegeben, unter welchem er heute in der Geschichte
winken, denn der Herzog verspricht ihr Verzeihung für alles, was
Ungarns bekannt ist, allerdings geschah dies schon 1840, also zu
immer sie gethan, wenn sie ihn dahingeleitet, wo sie den Schleier
einer Zeit, in welcher die Gegensätze zwischen Kossuth und Szechenyi
gelassen hat. Nach heftigem inneren Kampfe führt sie den Herzog
noch nicht so scharf ausgeprägt waren. In einem denkwürdigen
in das Gemach, in dem er den Schleier der Beatrice und die Leiche
Moment, als er am 11. Juli 1848 im Reichstag die Aushebung
Filippos findet. Der Herzog hält wohl sein Versprechen, sie
von 200.000 Mann vorschlug und als sich unter dem Eindrucke
schonen, aber der eigene Bruder tödtet sie. Schave um sie. Sie
seiner Rede der ganze Reichstag wie ein Mann erhob und mit zum
hätte noch eine ganz gute Herzogin abgegeben. Und wenn der Herzog
Schwur erhobenen Händen ausrief: „Wir bewilligen sie!“ sprach
wirklich am nächsten Tage im Kampfe gegen Cesare Borgia fiel.
Kossuth die Worte: „Ich falle in den Staub vor der Größe der
was ich, offen gestanden, nicht weiß, würde sie gewiss ihren Separut¬
Nation!“ — Worte, die seither viel gebraucht und auch missbraucht
frieden mit dem Borgia geschlossen und „offene Arme“ bei ihm ge¬
werden. Ein anderes denkwürdiges Wort sprach er aus, als er die
funden haben.
Umgestaltung Ungarns in modernem Geiste urgierte und dem Adel
„Savonarola“ hat sich Wilhelm Uhde') zum Titelhelden eines
zurief: „Wir werden die Reformen durchführen, wenn es geht,
Schauspieles erwählt. Der erste Act gibt uns ein wohlgelungenes
mit Euch und durch Euch, wenn es aber sein muss, auch ohne
Bild des geistigen Lebens am Hofe der Medici und erweckt die
Euch, ja selbst gegen Euch!“ Bekannt ist auch das Wort, das er
schönsten Hoffnungen. Leider werden dieselben bald zunichte. Der
gesprochen hat, als er am 24. September 1848 in Czegléd Honvéds
Dichter zerstört selbst unser Interesse an seinem Helden, indem er
warb, doch ohne viel Erfolg. Entmuthigt sagte er: „Eine lange
ihn zu einem Schwindler macht. In dieser Gruppe von Dramen
Knechtschaft gebiert keine Helden,“ und sein Wort war bald in
ist auch zu nennen das Fragment Hugo v. Hofmannsthal's
ganz Ungarn auf aller Lippen.
„Der Tod des Tizian"?), aufgeführt als Todtenfeier für Boecklin.
Kein zweiter Staatsmann Ungarns hat die Phantasie des
Ohne jegche Bedeutung ist die „Hölle" von Wanda
Volkes so anzuregen verstanden, als Kossuth. Die volksthümliche
v. Barteis*), ein Schauspiel, in dem uns Dante vorge¬
Idee, die er vertrat, sein glänzendes rednerisches Talent, seine ver¬
führt wird, der in Florenz, das sich ihm infolge der Kämpfe der
hältnismäßig niedrige Abkunft aus einer armen Adelsfamilie —
Cerchi und der Donati und der Gräuel der Pest als „Hölle“ dar¬
all das mag dazu beigetragen haben, dass sich ihm die Liebe des
stellt, die Anregung zu seinem „Inferno“ empfängt. Von gleichem
Volkes besonders ganz zuwandte. Sein Name wird heute in
Wert ist auch ein in Presa geschriebener prosaischer „Wilhelm
einer Reihe mit Fürsten genannt und leuchtet noch immer in hellem
Shakespeare“ von Wilhelm Schäfer.“ Shakespeare erhält da von
Glanz, wie vor fünfzig Jahren. Dieser Glanz kann mit der Zeit
einem jüdischen Geldwechsler und „Bucherer aus Venedig“ den
vielleicht erblassen, erlöschen kann er nicht mehr.
Stoff zum „Kaufmann von Venedig“ tceibt mit Bacon, Burbadge,
G. Betta.
Budapest.
Green, Marlowe, Ben Jonson und Anveren Literaturgeschichte und
macht uns mit seinem Vater, seiner Gattin, seiner Geliebten und
der Königin von England bekannt.
Die dramatische Literatur der Theatersaison
Ganz den Charakter des „Versspieles“ hat schon „Gondoly“
von Rudolf v. Delius.?) Das Stück könnte ebenso zur Zeit
1900—190s.
Napoleons als zur Zeit der Renaissance spielen. Gondoly ist eine
III.
Kaufmannstochter aus Messina, die zuerst sehr ungehalten ist, dass
—sich die Männer „niemals denn vom Thier befreien“ können,
Jel Besprechung der histortschen Dramen wurden die in der Re¬
schließlich aber „doch sehen“ möchte, wie die Sache ist, und sollte
— naissancezeit spielenden übergangen, weil sie sich in der Regel
ihr „der Schlamm bis zur Gurgel steigen“ und sie „einsam irgendwo
den frei erfundenen „Reimspielen“ nähern oder zu den „Künstler¬
verrecken“. Nach einigen Irrfahrten geräth sie auch vor die richtige
dramen“ hinüberleiten. Wohl das bedeutendste „Renaissancestück“,
Schmiede und erfährt, was ihr zu wissen noth thut. So gut hat
das seit einer Reihe von Jahren geschrieben wurde, ist Arthur
es der Leser des „dramatischen Gedichtes“ „Der Sieger“ von Otto
Schnitzlers: „Schleier der Beatrice".!) Es ist bisher nur in
Falckenberg°) freilich nicht. Die Dichtung berichtet uns zunächst
Breslau aufgeführt worden. Das Drama führt uns die Stimmung
von dem Ruhme, den ein venetianischer „Fürst“ gewann, weil er
von Menschen vor, die mit ziemlicher Sicherheit den Untergang vor
einen gefürchteten Seeräuber auf dessen eigenem Schiff „Mann
Augen sehen. Aber nicht gewöhnlicher Menschen von der philisteriösen
gegen Mann“ erschlug. Doch eben in diesem Kampfe hatte er dem
Art, von der heute die Menschen sind, sondern von Menschen der
Piraten gegenüber empfunden: „Du bist der Größere, ich fühl' es
Renaissancezeit, das ist von Menschen, die an sich eine lebhafte
tief in letzter Noth, dein Wille weckt, was dämmernd in mir schlief,
Neigung haben, ihr Leben auszuleben und nun, den Tod im An¬
den Tod . . . du bist der Sieger.“ So variiert er denn nunmehr
gesicht, auch die letzten Zügel schwinden fühlen, mit denen Sitte
den Gedanken des Selbstmordes, um schließlich das Mädchen, das
und Herkommen sie noch geleitet hatten. In der Mitte der Hand¬
ihn schon lange liebend umkreiste, unmittelbar nachdem er es zu
lung steht die schöne Beatrice Nardi, die Tochter eines Wappen¬
seiner Geliebten gemacht, zu erdolchen. Die Motivierung sollen
schneiders; ihr zur Seite sind zwei „Helden“ der Herzog von
offenbar die tönenden Worte enthalten, die der Fürst am Lager der
Bologna und der Dichter Filippo Loschi. Filippo ist es, den sie
schlafenden Geliebten spricht, bevor er sie ermordet:
liebt und dem sie sich liebend hingibt, der Herzog ist es, dem sie
„Du gabst mir mehr, als je ein Weib noch gab,
ihre Hand reicht. Schon im Traume hatte sie sich als Gattin des
Du bist ein Quell der Ewigkeit entflossen —
Herzogs gesehen und seine Umarmung empfunden und nun, da der
Wer einmal einen Trunk aus dir genossen
Herzog in toller Laune eines Todtgeweihten, den Untergang Bo¬
Wird ewig leben — oder sinkt ins Grab.
lognas durch den heranrückenden Cesare Borgia im Auge, das
Du setztest eine Krone mir aufs Haupt,
schönste Mädchen in Bologna sich als Genossin der letzten Nacht
In der die ganze Welt sich funkelnd spiegelt,
erkiesen will und Beatrice, auf die seine Wahl fällt, erklärt, nur
Die letzten Pforten hast du mir entriegelt,
als seine Gattin würde sie ihm angehören, lässt er sich wirklich
Weil ich an deine Wunderkraft geglaubt.
Einmal, ich fühl es, kann dies Wunder werden,
sofort mit ihr trauen und Beatricens Traum hat sich erfüllt.
Das sonnenstark all uns’re Kräfte reift,
Freilich hatte schon der bloße Traum sie von Filippo getrennt, da
Wer toll zum zweitenmale danach greift,
dieser sie nach ihrer Erzählung des Traumes entrüstet von sich stieß,
Der wird zum ärmsten Bettler hier auf Erden.
die „als Dirne ihres Traums“ zu ihm gekommen war. Filippo
Wer seinen Königstraum zu Ende träumt,
war streng. Vielleicht zu streng. Ja, wenn sie von dem Wappen¬
Der hat sein Reich und seine Welt versäumt.“
schneidergesellen Vittorino derlei geträumt hätte, mit dem sie sich
Wie hoch stehen die bescheidenen „fünf Scenen“ „Die Prüfung
dann in den paar Stunden zwischen der Absage Filippos und der
der Herzogin“ von Friedrich von Haas') über derlei sich als Tief¬
Werbung des Herzogs verlobte, das wäre etwas anderes gewesen.
sinn gebendem Unsinn. Das kleine Schauspiel spielt im Staatsge¬
Aber bei Prinzen oder gar bei regierenden Herzogen handelt es
fängnis zu Venedig. Sein Held ist Don Juan, den der Rath der
sich um wohlerworbene Rechte in loyalen Gefühlen erzogener junger
Zehn zum Tode verurtheilt hat, weil er bei einer seiner Don¬
Mädchen, die auch der scrupuloseste Bräutigam respectiren sollte.
Juanerien einen Nebenbuhler erstochen hat. Der Herzog will ihn
Beatrice hat Filippo geliebt und sie liebt ihn noch, darum eilt sie
begnadigen, wenn Don Juan „die Macht, die er besitzet über Herzen“,
als frischgetraute Herzogin, noch angethan mit dem kostbaren
Schleier, den ihr Gatte ihr geschenkt, zu dem Geliebten. Mit ihm
Leipzig, C. Reißner 114 S.
zu sterben kam sie, sagt sie, und sie glaubt es wohl selbst. Aber es
Berlin, Schuster u. Löffler. 22 S.
Leipzig, H. W. Th. Dieter. 94 S.
ist ihr nicht innerer Ernst mit ihren Todesgedanken, denn da Filippo
Zürich, Selbstverlag. 102 S.
ihr sagt, sie habe in dem Becher, den er ihr credenzt, den Tod ge¬
Braunschweig, R. Sattler. 85 S.
München, D. Fr. Rundschau. 58 S.
7) Wien, C. Konegen. 55 S.
1) Berlin, S. Fischer. 215 S.