II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 225

Nr. 416
20. September 1902.
Wien, Samstag,
Die Zeit.
Seite 184.
Ja, zu spät habe ich erkannt,
dazu benützt, dem Herzog die Gewissheit zu verschaffen, ob die
Dass um leerer Schönheit Tand
Treue der Herzogin über jede Versuchung erhaben sei. Sehr hübsch
Wie das Leben mir entschwunden,
ist es motiviert, wie Don Juan zuerst ablehnt, dann zustimmt,
So das Ewige entschwand,
dann wieder ableynt und schließlich, nachdem er die Herzogin ge¬
Weil ich mich nicht überwand.
warnt, doch zustimmt, und von dichterischer Schönheit ist die
Schlufsscene, in der die Herzogin, die zuerst entrüstet war, dass Doch wird ihm frei nach Goethes Faust und Ibsens Brand der Trost:
Don Juan eine Warnung für nöthig hielt, nun, unbekümmert um
„Wer auf Erden kämpfte mit redlichem Streben
den heimlich lauschenden Herzog, Don Juan ihre Liebe gesteht und
Und unterlag ihm sei vergeben.“
in seinen Armen den Tod erwartet, der ja wohl den beiden Lie¬
In der Sprache fühlt man überall den Einfluss der „versunkenen
benden zutheil werden wird.
Glocke“, wenn man auch gestehen muss, dass die Nachbildungen
Als ein unerfreuliches Beispiel, wie das Costüm einer be¬
manchmal glücklich sind.
stimmten Zeit oft nur dazu dienen muss, den abgestandensten Lustspiel¬
Das Märchen vom Gevatter Tod bearbeitet Josef Trübs¬
kram frisch aufzumutzen, sei Gustav Klitschers „Frühlingsspiel“
wasser!) in „Chryses“ Aber mit Wehmuth gedenken wir des alten
„Im Stöckelschuh“!) genannt, das „ums Jahr 1743“ spielt. Da ist
sinnigen Märchens, das der Verfasser mit falschem „Geist“ versetzt
die junge Witwe, da sind ihre drei Bewerber, der gelehrsame Ma¬
und dessen Fabel er mit anderen Märchenmotiven zu einem
gister, der lateinische Brocken seiner Rede einverleibt und über das
„Märchendrama“ zusammengeschweißt hat. Der Arzt Chryses ist
Küssen philosophiert, der Junker, der französische Brocken seiner Rede
das Pathenkind des Seneschals am königlichen Hofe und der
einverleibt und als das wichtigste Ereignis ansieht, dass man in
Seneschal ist nebenbei auch der Tod. Wieso der Tod Pathe des
Paris von Lavendel zu Jasmin im Parsum übergegangen ist, und
Chryses geworden ist, erfahren wir ebensowenig, als, warum und
der Leutnant, der — eben ein Leutnant ist, und das Kammer¬
wieso der Tod Seneschal geworden ist. Dafür motiviert der Tod
mädchen, das Doris heißt. Und natürlich hilft Doris dem Leutnant
dem Chryses, weshalb er das ihm überreichte Kraut nur anwenden
und natürlich siegt der Leutnant, und zum Schlufs declamiert
darf, wenn er dem Pathen beim Kranken nicht begegnet: denn
Doris noch einen Epilog.
jedes Erdenwesen muss seines Lebens Schuld mit Tod bezahlen.“
Nach Behandlung der letzten Ausläufer der historischen Dramen,
Das Kraut hat aber nicht die Bedeutung für den Jüngling, die
jener Stücke, die bloß „Costümstücke“ sind, führt der Weg natur¬
es im Märchen für ihn hat, dass es ihn der Königstochter nahe¬
gemäß zu jenen dramatischen Dichtungen, die sich das Gebiet des
bringt, er kennt diese vielmehr schon lange, hat auch ihre Gegen¬
Märchens und der Sage erwählt haben. Nur mit einer gewissen
liebe erworben und sogar im Kampf mit einem Nebenbuhler, der
Reserve kann ich von Walter Heymels Einacter „Der Tod des
ihm die Krone und die Geliebte streitig machen möchte, mit Hilfe
Narcissus"') sprechen. Denn wenn Narciss bei Heymel die Oreade
einer zauberkräftigen Krone gesiegt, ohne des Kräutleins irgendwie
„Echo“ fragt „hast je von Herzen du dich selbst geküsst? Hat
zu bedürfen. Das Kraut wird für die eigentliche Handlung erst von
deine Seele nie im süßen Kusseswechsel mit dir selbst geherzt?" und
Belang, da sein Nebenbuhler auf die Idee kommt, Chryses möge
wenn er schließlich sein Spiegelbild im Wasser bewundert, küsst
doch an dem erkrankten König seine bewährte Heilkunst üben. Auf
und liebkosen will, bis es sich seiner Phantasie endlich in Aphrodite
diesen Gedanken war bisher seltsamerweise niemand verfallen. Da
verwandelt, die zu umfangen er in die Fluten stürzt, so müssen
nun Chryses verdächtigt wird, er wolle den König nicht heilen,
wir hiebei unwillkürlich an eine Symbolisierung jenes Lasters
weil ihm als Thronfolger sein Tod bequemer sei (echt märchen¬
denken, das Richard Dehmel („Aber die Liebe“) bei der Geliebten
haft!), und die Prinzessin dem Chryses einredet, der Pathe werde
so reizvoll findet. In seltsamer Weise mischt Griechenthum und den
schon verzeihen, rettet er den König, obwohl sich der Tod an dessen
Orient der Khalifen das „Märchenspiel“ „Mnesis“ von Felix
Lager gezeigt hat, und stirbt dafür mit der Geliebten. „Zwei kleine
Eger.?) Aber es ist das Werk eines Dichters, der, wenn er auch
Flammen erscheinen über den beiden Häuptern, die einander näher
heute noch ersichtlich den Spuren des „Meisters von Palmyra“
kommen“ und, während die Sterbenden sich küssen, „ineinander¬
folgt, doch die Hoffnung erweckt, dass er noch auf eigenen Pfaden
fließen“. Bei dieser Art des Abschlusses ist die dem ersten Aete
uns zu schönem Ziele führen wird. Das mehr phantastische als
eingefügte Seene mit den Lichtstümpschen reines Derbrationsmoment.
märchenhafte Drama führt uns in dem Arzte „Mnesis“ den großen
Als Proben der Diction seien angeführt: „Eines Königs Tochter
Gott des Rückerinnerns vor, den der Meister Tod den Todgeweihten
schlägt ihre Augen niemals unter sich“ (!) sagt einmal der mit
sendet und der auch dem sterbenden Sultan Almansor ein Bild
Chryses concurrierende Fürst zur Prinzessin; ein Hofherr gebraucht
seines Lebens und Wirkens entrollt. Von schöner Einfachheit ist das
die kühne Figur: „Das Volk... rollt die Augen" und Chryses
Lied, das Aspasia singt: „Im Felde blaue Blumen stehen ...“
klagt einmal: „Menschenleben werden hingeschlachtet wie wilde
Bei den Germanen geht die Sache natürlich mit den Asen
Thiere.“
an. Die ganze germanische Göttersage scheint A. G. Alten in
Märchenartigen Charakter hat auch „Mutter Maria“ von
einer Ixologie, Die Götterdämmerung“, von der bisher der erste
Ernst Rosmer.“) Die Dichterin nennt es „ein Todtengedicht in
Theil „Baldur") vorliegt, behandeln und den Lesern verekeln zu
fünf Wandlungen“ (1). Es ist in Wahrheit eine mystische Dichtung,
wollen. Einige Sprachproben mögen genügen. Mimir nennt die
in der die Sage von den Saligen, die den Wanderer hinauflocken
Sprache der Nornen „der Dunkelschwestern Quark“ Loki vergleicht
in die Firnen, um ihn dort in den Abgrund zu stürzen, verquickt
sich mit einem Wechselwanst" und Baldur sagt einmal: „Ich
ist mit Mariencult, mit der Geschichte einer Mutter, die mit dem
will mich Loki nicht im Frieden seiten, wir scheiden uns durch un¬
Tode um ihr Kind ringt, und mit allerlei anderen Reminiscenzen.
messbare Weiten.“ Das Erhebendste ist aber der Gesang der Asen,
Da das Drama von Ernst Rosmer ist, finden wir natürlich auch
mit dem sie offenbar dramatische Dichter von Missethaten in der
sprachliche Neuschöpfungen. Da gibt es Eis, das den Tod der Ewig¬
Art der „Götterdämmerung“ ebenso wohlmeinend als vergeblich ab¬
keiten „niederkältet“. Augen, welche „sonnenblau“ sind, ein Gras,
zuhalten sich bemühen:
das „im Thale spitzt“ (die Ohren?) ein Wesen, das ein anderes
Wachet beständig
Wesen mit seinem Gruße „überblüht“, ein Zeitwort „lenzen“ für
Ueber unbändig
„Frühjahr werden“, ein „Satansmißgedüft“, Wendungen wie „dass
Böse Begierde der Brust!
ich in meine Deineaugen sehe“ 2c.
Kämpfet getreulich
Unter den schwankartigen Sagenstoffen hat besonderen Anwert
Gegen die gräulich
bei den Dramatikern der Lügenfreiherr Münchhausen gewonnen.
Versuchende Lust!
Herbert Eulenburg hat in seinem „deutschen Schauspiel“ „Münch¬
Den Melusinen=Stoff behandeln ein Drama „Melusine“ von
hausen"?) versucht, den „Gaukler“ Münchhausen, der die „Welt
Josef Schneider?) und eine dramatische Dichtung „Das rothe
belacht", „zum Menschen“ zu machen. Es ist ein feiner Zug der
Horn“ von Albert Eisert*), letztere, offenbar zum Textbuch einer
Dichtung, dass der große Lügner, dem die Gattin des Freundes
Oper im Stile Richard Wagners bestimmt, die Art des Dichters des
ihr Herz geschenkt hat, diesen Freund nicht zu belügen und be¬
Ringes des Nibelungen äußerlich nachahmend. Wir lesen aber nicht
trügen vermag und dass er schließlich den Tod dem Verrath an der
nur Wagnerianismen, wie „Schweige die Angst“ sondern auch Ge¬
Freundschaft vorzieht. Recht störend aber ist die gezwungene, stelz¬
schmacklosigkeiten, wie „Elender Wanst! So lösch ich das Feuer (?)
beinige Nachahmung Shakespeares in den komisch sein wollenden
elender Lügen Dir im stinkigen (!) Hals!“ Da fehlt nicht mehr
Scenen der Diener. Shakespeare nachzuahmen ist immer gefährlich,
viel bis zum „Stinkbauch“ der Exkneipe. Einen „Merlin“ hat Max
selbst wo man ihn mit Recht bewundert. Diese Diener reden aber
Kirschstein?) geschrieben. Der Zauberer Merlin wird hier seinen
wirklich ebenso geschraubt und gewunden und ihre Witze sind genau
den Traditionen der „Zauberer“ wenig entsprechenden Bemühungen
so bei den Haaren herbeigezogen und langweilig, wie dies alles in
um die Menschheit und seiner Gattin Magdalena entzogen durch
so vielen Rüpel-Scenen bei Shakespeare der Fall ist. Freilich ist es
die Liebe zu der Elfe Viviane. Schließlich übermannt ihn aber die
heute Mode, Shakespeare auch dort zu bewundern, wo er nur dem
Macht der Erinnerung und er klagt:
schlechten Geschmacke seines Publicums geopfert hat, und manche beugen
sich auch gegen ihre bessere Ueberzeugung vor dem Gezeter jener
)Berlin, Fischer und Franke. 123 S.
Partisane verstorbener Dichter, die sich als ihre sichtbaren Stell¬
Berlin, Schuster und Löffler. 50 S.
Berlin, G. H. Meyer. 51 S.
Dresden, E. Pierson. 136 S.
1) Dresden, E. Pierson. 113 S.
Dresden, E. Pierson. 94 S.
)Berlin, S. Fischer. 96 S.
E. Klotz 100 S.
)Magdeburg,
1) Berlin=Paris, Joh. Sassenbach. 120 S.
7) Dresden, E. Pierson. 62 S.