II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 230

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14. Der Schleier der Beatrige
Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnilt
„OBSERVER“
Nr. 91
dos
Wien, IX/1. Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyelé“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Die Ullschau, Frankfurt a. K.
1707
Die grosse Kunstausstellung des litterarischen
Schaffens hat der Jung-Wiener Dichter Arthur
Schnitzler in diesem Jahre mit zwei kleinen
Studienkopfen und mit einem monumentalen His¬
torienbilde zugleich beschickt. Anspruchslos blich n
die Pertraitskizzen Leutnank Gustl und Fran
Bertha Garlaut) aus ihrem bescheidenen Rahmen.
Weithin aber leuchten und glühen die Farben in
jener Darstellung aus italienischer Vorzeit, im
Schleier der Beatrice“. Fackellicht schimmert mit -
Für
inclusive
Porto.
1) Beide bei S. Fischer, Berlin.
Zahlbar
2) S. Fischer, Berlin.
will mir recht unwahrscheinlich vorkommen. Und
grellem Flackern über einem tollen, wüisten Bac¬
mir dünkt, als ob auch Arthur Schnitzler dies
chanal. Tanzende Paare huschen in wolllistiger,
alles nicht für recht glaubhaft hielte.
Abonn
brünstiger Umarmung über den Rasen. Vorn aber,
Denn Schnitzler giebt sich Mühe, diese ele¬
Abonn
zwischen den Säulen der Schlossterrasse steht eine
mentare, ebenso schnell entflammende wie er¬
bleiche, kindliche Sünderin im bräutlichen Schleier
löschende Raserei durch körperliche, in der Natur
vor ihren Richtern.
des Weibes bedingte Vorgänge zu erklären, die
Inhal
In selch glühend-farbenreichem, plastischem
wiederum mehr den Arzt interessieren können, als
blät
Büde prägt sich Schnitzlers neue Verstragödie,
wollur
den Freund künstlicher Gestaltung. — Die Klein¬
auch ohne die Eselsbrücke des Bühneneindrucks,
des
stadt, in der Frau Garlau lebt, bleibt uns ein Ort;
dem Leser ein. Doch nicht minder deutliche
werde
ohne rechte Physiognomie.. Die Hauptstadt, in die
Spuren, hinterlassen in seinem Gedächtnis die
sie ihre Sehnsucht treibt, ist Wien. Aber wenn
jugendlich-kindlichen Züge des Zeutnanf Gustl
wir statt Volksgarten und Votivkirchen, Hydepark
und die nachdenklichen Züge jener "rau Vertia
und Tower setzen, so könnte es ebensogut London
Garlau, deren beseeltes Bildms der Dichter mit
sein. — Wie blasse Schemen erscheinen die Ver¬
dem allzugewichtigen Titel -Romane in die Welt
wandten und Bekannten, deren engumgrenztes
schickt.
Leben Frau Bertha festhält. Schwager und
Das bedeutendste an der Novelle Zeucnanf
Schwägerin, ein wunderlicher junger Anbeter, ein
Gustl ist zweifellos der Umstand, dass Arthur
resigmerender Krüppel, sie alle tauchen wie aus
Schnitzler, der den Rang eines k. k. Regiments¬
bleichen Nebeln undeutlich auf. Wenn wir ebenso
arztes in der Reserve bekleidete, wegen der Ver¬
spät und ebenso plötzlich wie die Heldin erfahren,
öffentlichung dieser Novelle durch ehrenrätlichen
dass sie Alle doch recht ruppige Charaktere sind,
Spruch dieser Charge verlustig erklärt wurde.
so lässt uns diese Entdeckung kühl bis ans Herz
Zeutnanf Gustis behandelt das Problem der sog.
hinan. Blieben sie uns doch insgesamt fremd und
Ehrennotwehr-; d. h.: ein Offizier hat auf der
fern; fremd wie jene seltsame Frau Kupius, die
Strasse jede Beleidigung sofort mit der Waffe zu
Gattin des Gelähmten, deren geheimnisvolle Liebes¬
rächen. In einer Theatergarderobe gerät Leutnant
abenteuer mit so zwingender, verlockender Gewalt
Gustl in einen Wortwechsel mit einem Bäcker. Als
in Frau Berthas stilles Dasein eingreifen. — Fremd
der Offizier den Degen ziehen will, ergreift der
bleibt auch jener berühmte, verwöhnte Geigen¬
Bäcker seine Hand und hält sie fest, wobei er
virtuos, der einst als Student mit der jungen Bertha
dummer Bube schimpft. Nach dem Ehrenkodex
tändelte und an dessen Seite die reife Frau jetzt
fühlt sich der Offizier verpflichtet, sich eine Kugel
mit übermächtiger Gewalt gerissen wird. — Will
vor den Kopf zu schiessen. Er irrt die ganze
uns Schnitzler wirklich glauben machen, dass diese
Nacht im Prater umher, ohne den Mut zum Selbst¬
ehrbare Witwe und zärtliche Mutter eines blonden
mord zu finden. Morgens geht er noch einmal
Buben sich plötzlich einem eitlen Musikanten ohne
in sein Kaffeehaus frühstücken; dann will er sterben.
alle innere oder äussere Notwendigkeit an den Hals
Da erfährt er, dass den Bäcker bei Nacht der
wirft: — Hier gähnen Klüfte und Abgründe, über
Schlag getroffen habe und unterlässt den Selbst¬
die selbst die feine Kunst eines Poeten von
mord.
Schnitzlers Rang keine Brücken zu schlagen wusste.
Ein Künstler von Arthur Schnitzlers Rang, hat
(Schluss Jolgt.)
auch einmal das Recht, ein unscheinbares Thema
wie das obige aufzugreifen, denn auch so ist er
vor dem Verdacht sicher, dass diese Selbstbe¬
schränkung ein Notbehelf poetischer Armut sei.
Schnitzlers Roman Frau Zertha Garlaue ist
kaum in glücklicher Stunde empfangen worden.
Unser stärkstes zeitgenössisches Talent hat ein An¬