II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 229

u Urithsbe. — i Bürseauet sich.
bis endlich furchtbare Todesdrohung sie vermag, den fürst¬
lichen Gemahl zu der Stätte zu führen, wo sie den Schleier
zurückgelassen. So findet der Herzog die Leiche des von
ihm so hochverehrten Dichters. Er ist erschüttert über das
Verhängniß, das den Herrlichen durch die Hand dieses
Mädchens in den Tod getrieben. Doch während er noch
über Schuld und Sühne grübelt, macht Francesco, der
Bruder Beatrice's, allem ein Ende. Er tötet die Schwester,
da er die Schmachbeladene nicht mehr unter den Lebenden
wissen mag. Der Herzog aber befiehlt, daß man den Dichter
und seine Geliebte im Grabmal der Bontivoglio beisetze.
Dann verläßt er das Haus des Schreckens, um sein Bologna
gegen Cesare Borgia zu vertheidigen. —
So läuft die Handlung auf verschlungenen Pfaden zu
eihrem Schluß, diese seltsame Geschichte vom Herzog, Dichter
#und Mägdlein. Der Herzog: ein Charakter, fest in sich
geschlossen, ein Wille, dem die Kraft entspricht, ein fröhlich
rücksichtsloses Gemüth ohne Skrupel, ohne Reue, ständig im
chseinfühlig bis zur Krankhaft
leit und dabei egoistisch bis zur Brutaliät. Un
Mägdlein ausgestattet mit allen Reizen, die Jugend, Au
und Schönheit verleihen, unwissend und doch vielleichnicht
mehr ganz unschuldig in ihren Gedanken, zur Liebe
sgeschaffen und doch ohne die Kraft, ihr das höchste Opfer,
sich selbst, zu bringen. Vor allem aber noch nicht reif dazu,
die Geliebte eines genialen Dichters, die Gattin eines voll¬
kräftigen Herrschers zu sein. Der Herzog kennzeichnet sie
richtig am Schluß des Stückes in folgenden Versen:
„Warst Du nicht, Veatrice, noch ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von aus wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!“
Zur Charakterisirung dieser Persönlichkeiten hat Schnitzler
viel feine Züge ersonnen. Und es ist ihm auch nicht so übel
gelungen, den Herzog und die jugendliche Beatrice zu zeichnen,
wenn auch beide etwas romantische Gewänder tragen und in
einer Handlung dargestellt werden, die aus dem Rahmen des
Gewöhnlichen markant heraustritt. Weniger deutlich wird
uns die Figur des Filippo. Ist es möglich, daß ein solches
Schwanken von Extrem zu Extrem vorkommt, daß sich eine
so übersensitive und impulsive Art, wie sie sich im Verhalten
des Künstlers zu Veatrice zeigt, mit einer solchen Indolenz
und Brutalität paart, wie sie Filippo seiner Vaterstadt und
seiner ehemaligen Braut, der unglücklichen Teresina gegen¬
über bewiesen? Wir erkennen viel wahre Einzelheiten
in dem Bilde, aber das Ganze erscheint uns künstlich
konstruirt und innerlich unwahr. Vor allem aber weist
es den Fehler so vieler Dramen= und Romaufiguren
auf: der Dichter hat es nicht verstanden, in ihm
die geistige Größe zu verkörpern, die ihm vorschwebte.
Daß Filippo Loschi ein genialer Dichter war, hören wir
zwar aus manchem Munde. Wir haben aber nicht die
geringste Ursache, selbst an sein Genie zu glauben. Wir er¬
kennen in ihm nur einen exzentrischen und haltlosen Menschen,
der uns alles andere als die Liebe und Nachsicht seines
Fürsten und seiner Mitmenschen zu verdienen scheint. Wir
werden das Gefühl nicht los, als würde von den Empfind¬
samkeiten dieses Herrchens, der nichts für seine bedrohten
Mitbürger, der nichts für seine von ihm moralisch mi߬
handelte Braut empfindet, denn doch gar zu viel Wesens
gemacht. Er erinnert beinahe an jene Sorte von Aestheten,
die Otto Ernst in seiner „Jugend von heute“ lächerlich
macht, jene Empfindsam=Brutalen, „die sich dazu stellen, wenn
ein Mensch von einer Maschine in hundert Stücke zerrissen
wird, und die Farbenefsekte bewundern“.
Durch die merkwürdige Charakteristik des Filippo be¬
kommt die ganze Handlung etwas Geschrobenes. Wir ver¬
stehen nicht recht die Liebe, die Beatrice an diesen Kanz
bindet, wir begreifen nicht recht die Verehrung, die ihm ein
Bentivoglio zollt. Auch sonst fahren die Fäden der psycho¬
logischen Entwicklung etwas wirr hin und her. Und manches
Wort und manche That der Episodenfiguren bleiben uns
unverständlich.
Was aber das Drama interessant macht, ist die kecke
und eigenartig-farbige Darstellung des Hintergrundes, dieser
Renaissance=Welt mit ihrer Genußfreudigkeit und Sinnlich¬
keit, ihrem geistigen Raffinement und ihrem Aberglauben,
ihrer feinen Kultur und ihrer kalten Grausamkeit. Die
Volksszenen sind immerhin charakteristisch, wenn auch Kleriker
und Bettler in dem Bilde fehlen; die Szenen in den Gärten
des Bentivoglio sind mit echtem Künstlergeist geschaffen: in
kräftigen Tönen, abwechslungsvoll und lebendig. Sie sind
vielleicht das Beste in dem Stück, ein Beweis dafür, daß
Schnitzler die Kraft hat, ein fernliegendes Milieu dramatisch
wirksam zu verwerthen. Größere Einfachheit und Schlichtheit
in Handlung und Charakteristik würden das Stück wesentlich
gehoben haben. Aber freuen wir uns seiner auch so, da es
uns zeigt, daß sich ein talentvoller Dramatiker auf neuen
Bahnen versucht und uns allen Grund giebt, an einen späteren
uneingeschränkten Erfolg zu glauben.
A G.