II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 245

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Der Schleier der Beatrice
öl, obwohl das Stadthaus elektrisches Licht persönlichen Günstlinge des Sultuns, die Vor= ein aus verschiernen
lagen der Minister gewöhnlich nach eigenem umschlag — eines der Stücke war in der Totenkammer
hat. Noch gelungener ist aber ein Antrag des
und eines in einem Mauerloche mit Geld gefunden
Ermessen änderten, so konnte von einer ver¬
zweiten Vicepräsidenten Opportun. Als letztes
worden — und Tintenflecken auf dem Hemdärmel
antwortlichen staatsmännischen Thätigkeit der
Jahr der neugewählte Gemeinderat sein Amt
Brierres, von denen man annahm, sie rührten von
Pforte überhaupt keine Rede sein. Vor allem
antrat, kündigte man als eine der von ihm
einem umgeworfenen Tintenfaß in der Kammer her.
aber war es dem Finanzminister völlig unmög¬
Was als Hauptbeweggrund des Verbrechens angegeben
geplanten Reformen auch die Verzichtleistung
worden war, sein Verlangen nach der Heirat mit einer g#
auf die Diäten von 6000 Fr. jährlich an, die lich gemacht, die Einnahmen und Ausgaben
minutiös deutlich geschildert, alles greift so geschickt
Denn dieser war ein Bote ausgesandt,
bloß ein großmäuliger Dilettant und Prahler? — haben
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
ineinander, daß, so lange wir uns im Banne der
wir hier einen wirklichen Künstler vor uns, dessen
Lebendig jeder neuen zu bestellen
Dichtung befinden, nicht der leiseste Zweifel an
Name auf aller Lippen ruht, einen gottbegnadeten
Und hinzuwandeln über allen Tod!“
der Wahrscheinlichkeit des Ganzen aufkommen kann.
Schaffenden, an dessen Thun und Lassen man nicht
Das ist es eben, was dieser Romantiker von heute
Was aber an dem Beatrice=Drama am meisten
mäkeln darf, weil er durch seine Kunst geheiligt ist.
vor den Romantikern von Anno 1800 voraus hat: er
imnoniert, das ist die Ueberlegenheit des Dichters, seine
„Ihr, Cosini“, sagt der Herzog zu einem seiner
kennt die Bühne so gut, wie nur sehr wenige unter
seltene Souveränität über dem Stoffe, die wir immer
Höflinge
den zeitgenössischen Dramatikern. Er hat es in seinen
wieder bewundern müssen. Er häuft Geschick auf Geschick,
„Ihr, Cosini,
frühern Stücken bewiesen, vor allem in dem kleinen,
Situation auf Situation, immer kommt etwas anderes,
Und Euresgleichen könnt nicht ganz verstehn,
geradezu als Muster dramatischer Technik dastehenden
So klug Ihr seid was solche Menschen treibt,
als der Leser erwartet hat. Und gerade das ist es, was
Einakter: „Die Gefährtin“. Die größten Schwierig¬
Den Kopf zu schütteln oder „ja“ zu nicken,
Goethe an Byron so sehr bewunderte. „Dasjenige,
Wie erst so vieles andre! Mir ist manchmal,
keiten weiß er zu überwinden. Und dieser außerordent¬
was ich die Erfindung nenne“ sagte Goethe einmal zu
Als ahnt' ich das Geheimnis solcher Seelen!“
lichen Vertrautheit mit der Bühne, die er sich in seinen
seinem getreuen Eckermann, „ist mir bei keinem Menschen
Und geradezu berauschend schön ist das Hohelied,
am realistischen Drama zugebrachten poetischen Lehr¬
in der Welt größer vorgekommen als bei ihm. Die
jahren erworben, verdankt er es, daß er auch bei dem
das ihm der Herzog am Schluß des Stückes singt.
Art und Weise, wie er einen dramatischen Knoten löst,
Solchen begeisterten Ausbrüchen der Bewunderung für
kühnsten Aufflug seiner Schaffenskraft niemals den
ist stets über alle Erwartung und immer besser, als
die Kunst, als das in der Vergänglichkeit alles Seins
festen Halt unter den Füßen verliert. „Wahrscheinlichkeit
man es sich dachte.“ Und es ist, als wenn Schnitzler
ist die Bedingung der Kunst, aber innerhalb des Reiches
allein Verharrende, begegnet man selten.
selbst an dieser Luntheit der Gestalten, an dieser
der Wahrscheinlichkeit muß das Höchste geliefert werden,
„Geschäh' ein Wunder,
Wirrnis der Situationen sich voll Entzückung weidete,
Und würfen wir den Borgia in den Staub
was sonst nicht zur Erscheinung kommt.“ Mich dünkt,
als wenn er geradezu mit Behagen all' die seltsamen
Und brächten Freiheit unserer Stadt und zwängen
nicht oft dürfte man einer Dichtung begegnen, die
Geschicke eines nach dem andern aufrollte, als wenn
Zehn, hundert andere — dieses ganze Land,
diese weisen Worte Goethes in solchem Maße befolgen
er uns zurufen wollte: „Schaut, wie reich ich bin,
Uns zu gehorchen, und ein Reich erstünde,
würde, wie es „Der Schleier der Beatrice“ thut.
schaut, was ich alles kann!“ Und er kann es.
So mächtig und geeint, wie's Rom gewesen,
Und wenn man nun bedenkt, daß Kritik, Theater¬
Und dann: wir wissen ja, das alles ist reine
Und jenes fernste, dessen Schritt wir sahn',
direktoren und Publikum sich gegen diese mächtige
Phantasie des Dichters, er spielt mit uns, gerade so
Und wenn's durch tausend Jahre herrlich blühte:
Schöpfung eines unserer begabtesten Dichter geradezu
wie es ein Tieck in seinen Dramen thut. Diese Fülle
Einmal fiel's doch in Trümmer, wie die andern.
verschworen zu haben scheinen, nur weil sie weder ein
Ein Lied von Dem, verwehts der Zufall nicht —
von Ereignissen, diese Menschen mit ihrem seltsamen
Ist ew'ger als der kühnste unserer Siege,
modisches Problemstück, noch ein Märchenstück, noch ein
Wesen und ihren wunderbar verschlungenen Schicksalen,
Der wieder nur Vergängliches erringt!
Salonlustspiel ist, und wenn man anderseits sieht, wie
dieses Auf und Nieder von Gefühlsemotionen, diese
Dran werden Menschen einer späten Zeit,
die Capricen eines Blumenthal täglich in spaltenlangen
geheime Macht der Lebensgewalten — und all das
Der unsre Thaten nichts als Worte sind,
Abhandlungen breitgetreten werden, so muß man sich
zusammengedrängt wie in einem Zauberkasten, wo wir
In kühlen Stein gegraben zum Gedächtnis,
sagen, daß wir es auf diesem Punkte im Grunde nicht
eine Ewigkeit in wenigen Minuten durchmessen! Und
Wie wir, die Mitgebornen, sich erfreun
doch das einzelne ist so realistisch glaubhaft, so viel weiter gebracht haben. als vor hundert Jahren. da ##
Mit gleiche— Lächeln und mit gleichen Thränen.