II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 259

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14. Der Schleier der Beatrice
Notizen und Besprechungen.
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worden ist. Sie versucht, durch Lüge zu verhehlen, wo sie gewesen ist.
Schließlich aber wird sie doch gezwungen, den Herzog zu des todten
Filippo Hause zu führen. Der Herzog erkennt, was geschehen ist und
warum es so geschah. Er versteht und verzeiht:
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Kione spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
In diesen Versen dürfte wohl der Schlüssel der ganzen verschlungenen
Geschehnisse zu suchen sein. Ich verzichte darauf, dieser Verschlungenheit
weiter nachzugehen. Die Haupthandlung wird von allerlei Nebenhandlungen
begleitet und gekreuzt. Das Grundmotiv, der Gegensatz zwischen Tod und
Leben, wird mehrfach aufgenommen und variirt. Die Personenfülle ist
erschreckend groß: mehr als fünfzig Nummern weist das Verzeichniß auf.
Leider bedeutet diese Personenfülle kein Gestaltenfülle, obwohl aller Wahr¬
scheinlichkeit nach Schnitzler vor Allem in die Figuren der beiden Gegen¬
spieler, des Herzogs und des Dichters, etwas Besonderes hineingelegt zu
haben wähnen dürfte. — Ich wiederhole nochmals: mit willkürlicher
Phantasie ließe sich wohl in das Drama viel hineinlegen, und ich traue
mir abstrakt konstruktive Begabung genug zu, um auch in diesem Falle
alles Verschlungene und scheinbar Verworrene als in schönster Ordnung
und von innerster Einheit darzustellen. Aber es lohnt nicht. Ich be¬
zweifle auch gar nicht, daß der Dichter selber in Allem Sinn, Plan und
Absicht sieht. Und ich glaube sogar zu wissen, welche Absicht ihn hier ge¬
leitet hat. Die Sehnsucht, aus den Niederungen des Naturalismus emporzu¬
kommen zu einer großzügigen Höhenkunst, haben wir Alle. Wir wollen
Kraft und Leidenschaft, reine, elementare Leidenschaft. Da kann nur
Shakespeare Vorbild sein. Auf Shakespeare's Spuren ist nun auch
Schnitzler gegangen. Mit vollem Bewußtsein hat er eine Fülle neben
einander laufender Handlungen erfunden. Mit vollem Bewußtsein hat er
mehr als fünfzig Personen aufgeboten. Mit vollem Bewußtsein hat er
auch Personen nach Art Shakespeare's sich geberden und sprechen lassen.
Man nehme z. B. die Szenen zwischen Autonio und Tito einerseits und
den Courtisanen Isabella und Lucrezia andererseits, und man höre, wie
Tito redet: „Und diese hier sind junge Mädchen aus Florenz. Sie sind
nach Bologna gekommen, um zehn oder zwölf lustige Tage mit uns zu
verbringen. Für die Lustigkeit haben wir bestens gesorgt, nur die Zahl
der Tage steht nicht bei uns. Jeden ihrer Wünsche haben wir ihnen