II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 266

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14: Der Schleien der Beatrice
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Bruderherz, servus. Hast auch an Kater?“ Feind. Nicht eigentlich in dem Stofflichen selbst liegt
der eigenartige Reiz der Dichtung, sondern vielmehn
Und er drückte den erschrockenen Concipienten
in der fesselnden Ausgestaltung des Hauptmotivs und
fest und treu an sich.
der mit ihm verflochtenen Episoden, in der psychisch
Dies war Maxens erster Proceß!
Gestehen wir nur: es ist auch sein letzter keinen Motivirung, die Schnitler für seine Personen
gefunden bat, sowie insbesondere in der farbensprühen¬
gewesen!...
Widergabe des localen und zeitlichen Hintergrundes.
Die Schilderung der mänadenhaft entfesselten Lust
der Menge in der Hochzeitsnacht des Herzogs gehört
Neue Dramen.
sicherlich mit zu dem künstlerisch stärksten und kühnsten.
[Fulda, Halbe, Hirschfeld, Langmann,
was seit der berühmten analogen Episode in Hamer¬
Möller, v. Osterlob, Schamann, Schnitzler.
lings „Abasver in Rom“ geschrieben worden ist.
„Warum nur bat man das Alles erdacht.
In das Italien des sechzehnten Jarhunderts
„Wenn's nie sich auf Erden begab ...?“
führt uns auch Ludwig Fuldas anmuthiges Lust¬
In einem vor Jahren viel gelesenen Gedicht läßt
spiel „Die Zwillingsschwester".') Fulda hat
Eckstein ein altes Mütterlein seinem Enkelkind „das
sich an die sonnige Seite der großen Epoche gehalten
Märchen vom Glück“ erzählen. Die Alte berichtet
und die entschwundene Zeit wohl überhaupt nur aus
vom verwunschenen Königssohn und der boshaften
dem Grunde gewählt, um für seinen Märchenschwank
Fee und von der lieblichen Fischermaid, die ihn er¬
ein dankbares künstlerisches Colorit zu gewinnen. In
rettet, und die er zu seiner Königin macht. Und als
feingeschliffenen, gefällig pointirten Versen bewegt
dann das Kind mit tiefem Seufzer fragt, warum die
sich das graziöse Spiel von der geistvollen Frau, die
Menschen so wunderbare Dinge erdenken, die sich
den nach Abwechslung verlangenden Gatten in der
doch niemals zugetragen haben, erhält sie die
Maske der Zwillingsschwester aufs neue in ihren be¬
Antwort:
strickenden Bann zwingt. Der harmlose, an sich ja
„Sei stark, Du zitterndes Kinderberz
ganz unmögliche Scherz gehört, ähnlich wie Calderon¬
„Und dränge die Thränen zurück:
Adlers kecke Verwechslungskomödie „Zwei Eisen im
Uns alle hat es belogen,
Freuer“, zu den dankbaren Bühnenstoffen, die durch
„Uns alle hat es betrogen,
die vornehme Versform aus den Niederungen der
„Das sonnige Märchen vom Glück.“
Posse in die vornehmere Region des freien Lustspiel¬
Dieselbe resignirte Lebensanschauung tritt uns —
humors gehoben werden.
in heitere Harmonie ausklingend — in einer liebens¬
In eine Welt voll starker Leidenschaften treten
würdigen Arbeit der Dresdner Schriftstellerin Adele
wir mit Alfred Möllers Drama „Die Tragödie
Osterloh entgegen. Ibrem Versstück „Das
der Liebe".*) Es ist die Zeit am Vorabend der
Märch.n vom Glück“*) liegt der Gedanke zu
Reformation, da die Flagellanten umherzogen, auf
Grunde, daß den Menschen der Vollbesitz des Glückes
ihre fanatische Weise dem Herrn dieneud durch ge¬
nicht erreichbar ist, daß sie sich vielmehr mit einem
waltsame Abtödtung aller Sinnenlust. Das wahn¬
bloßen Scheine des Glückes, mit seinem Abglanz be¬
witzige Treiben der wüsten Gesellen wird in einer
scheiden müssen. In recht sinniger Weise wird das
dramatisch bewegten Scene auf die Bühne gebracht,
Motiv an einem Zauberspiegel symbolisirt, in dessen
und es gäbe sicherlich einen kräftigen Hintergrund
stets wechselnden Bildern die Armen und Beladenen
für die eigentliche Handlung, wenn es mit ihr in
die Gewißheit einer herrlichen Zukunft finden. Durch
einen inneren Zusammenhang gebracht worden wäre.
einen Zufall wird der Spiegel zerbrochen und tausend
Als lose eingefügte Episode aber nimmt es einen zu
Hände bemächtigen sich der Splitter, um sie, Trost
breiten Raum ein. Die mangelnde Vertraulichkeit
und Schönheit spendeno, durch die weiten Lande zu
mit der Theaterpraxis zeigt sich ferner darin, daß die
tragen.
gut angelegte Figur eines deutschen Don Jnan, dessen
Hat die Verfasserin des hübschen Märchens einen
brutales Glück bei den Frauen den Fond des Stückes
dieser Zaubersplitter gefunden, der uns die schaffende
bildet, sich nicht plastisch auslebt, sondern etwas
Phantasie des Dichters versinulicht, so scheint Arthur
schemenbaft bleibt. Uibel angebracht und zeitwidrig
Schnitzler auf geheimnißvolle Weise in den Besitz
ist ferner die umständliche Art, mit der sich der
eines unversehrten neuen Sviegels gekommen zu sein.
Mönch, eine infernalische Incarnation des bösen
Denn was wir in dem Stücke der Dresdner Dichterin
Princips, dem Publicum als ein aufgeklärter Teufel
vermissen: die blühende Pracht des Verses, den Reich¬
mit durchaus modernen Alluren zu erklären beliebt.
tbum der Auschauung, sowie die in nere Glaub¬
Diesen Mängeln steben der Vorzug einer buntbeweg¬
würdigkeit des Märchens — das alles finden wir
ten Handlung und eine sichere Empfindung für
in reichem Maße in Schnitzlers neuestem Drama
typische Tragik gegenüber. Ein ehrbares Weib ver¬
wieder. „Der Schleier der Beatrice"*)
läßt um eines rohen Frauenjägers willen Mann und
zeigt uns den Verfasser der „Liebelei“ wieder, und
Kind. Nach kurzem Rausch sieht sie sich beiseite ge¬
nicht nur als vortrefflichen Dramatiker, sondern zu¬
schoben und tödtet den Verführer. Jabrelang zieht
gleich auch als originell und kraftvoll gestaltenden
sie ruhelos umher, eine Beute ihrer unersättlichen
Poeten und zwar als einen glänzenden Vertreter der
Lüste und Qualen, bis die Nachricht von dem Tode
neuromantischen Richtung. Schnitzler hat seine
ihres Kindes das müde gebetzte Weib zu der Schwelle
Dichtung ein „Schauspiel“ genannt, doch dürfte sie
des Gatten treibt, in dessen Armen die Reuige stirbt.
prägnanter als historisches Märchen zu bezeichnen
Noch ein anderes, in der letzten Zeit entstandenes
sein. Das Stück spielt in Bologna zu Beginn des
Drama trägt das kleine Wörtlein an der Stirn, das
16. Jahrbunderts, in jener Zeit also, in der helle
mit dem Hunger zusammen die Welt regiert. Nur
Schönseitsfreude und blutige Greuelthaten, be¬
spielt es in einer ganz anderen Welt. „Liebe“,
geisterungsfroher Kunstfinn und lasterhafte Uppigkeit
Volksstück von Franz Schamann,"") ist vor allem
gemeinsam herrschten. Aus diesem, vom Dichter mit
ein durchaus realistisches, ein Wirklichkeitsstück, das
intuitiver Phantasie festgebaltenen, schwülen Milieu
seine nahe Verwandtschaft mit Dörmanns Sitten¬
wächst die Handlung wunderlich und wundersam zu¬
komödie „Ledige Leute“ nicht verleugnen kann, obne
gleich bervor, gleich einem Grüßen aus entschwundener
darum die eigene Physiognomie preiszugeben. In
Welt. Sie erzählt uns von Beatrice Nardi, die,
beiden, aus der Hefe des Volkes herausgeholten
halb ein Kind noch von einem großen Dichter ge¬
Stücken treffen wir eine von Gemeinheit triefende
liebt wird, die auf dem Wege zu Trauung mit einem
Alte, die sich von der Schande ihrer Kinder mästet,
wackeren Burschen den Herzog bezaubert, der sie noch
dort wie hier geräth ein unerfahrener Junge in die
in derselben Stunde zum Weibe nimmt. Die junge
Schlingen der gemeinen Sippschaft, aus der er seine
Herzogin aber eilt vom Hochzeitsmahle weg zu ihrem
vermeintlich von dem Schlamme unbeschmußt ge¬
Dichter, um nach genosfener Seligkeit vereint mit
gebliebene Blume für sich retten will. Die Blume
ihm zu sterben. Im letzten Augenblicke aber flieht
entpuppt sich in beiden Stücken als eine Gistpflanze
sie ins lachende Leben zurück, wabrend jener dem