II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 269

macht ja wohl seinen besten Vorzug aus. Nur vewegt
Wiedergabe einer häßlichen Wirklichkeit weiß sich Philipp
sich Hirfchfeld vielfach in einem gar zu engen Kreis,
Langmann in seinem neuesten Drama „Corporal
den wir durch ein weiteres Gesichtsfeld gern ver¬
Stöhr"*) vollkommen freizuhalten, trotdem auch er
größert sähen. Als ein Bodenständiger dagegen im
uns ein Armelentstück voll ergreifender innerer Wahrheit
besten Sinne tritt uns Halbe in seinem dreiactigen
gibt. Da ist jedes Wort geprägt und selbstverständ¬
Drama „Haus Rosenhagen"*) entgegen. Das
lich, jede Situation durchempfunden, motivirt und
Stück könnte ebensogut „Mutter Erde“ heißen, denn
nothwendig, genau wie im „Bartel Turaser“, mit
der geheimnißvolle Zauber, mit dem uns die heimat¬
dem „Korporal Stöhr“ das Colorit gemeinsam hat.
liche Erde umspinnt, sowie die mächtigen Impulse,
Leider nur schädigt der Dichter den tiefgehenden Ein¬
die wir von ihr empfangen, finden auch in diesem,
druck der ersten zwei Acte durch einen überhasteten,
gleichermaßen von Heimatskunst und Heimatsliebe
einigermaßen äußerlichen Abschluß. Ein junger Glas¬
getragenen Drama kräftigen Ausdruck. Auch das
arbeiter ist nach Ableistung seines Militärdienstes
Milien, das ostpreußische Gut mit seinen frucht=I3
nach Hause zurückgekommen. Eine energische Kraft¬
tragenden Aeckern und dichtraustchenden Wäldern ist
natur gleich seinem Vater, unbeugsam und knorrig
d
dasselbe, und fast scheinen uns auch die Menschen
wie dieser, hat er sich mit ihm nicht recht vertragen
die Gleichen: ein sterbender Vater und ein jungerr
können. Die beiden Hartköpfe geriethen aneinander,
Erbe, den es zur Mutter Erde treibt, ein junges
daß es Funken sprühte, und der Junge ging in Un¬
2
Weib, das es in dieser Enge nicht duldet, ein auf¬
frieden aus dem Hause. Und nun, da er heimgekehrt
geopfertes Geschöpf, das den Muth der Verzweiflung
ist nach langen Jahren, gereift, ein ernster, starker
findet, und eine alte Frau mit klarer Einsicht und
Mann, voll freudigen Muthes, in der Heimat zu
1
lebenskluger Erfahrung. Die Mystik des früheren
wirken und zu schaffen, findet er Alles versumpft
Dramas hat der Dichter diesmal vermieden, aber er
und verrottet. Die Arbeiter, die er zu einer Pro¬
eröffnet uns trotzdem mit großer Kunst aus dem
ductivgenossenschaft vereinigen will, sind theilnahms¬
kleinen, recht nüchternen Motiv tiefere Ausblicke in
los und ohne Verständniß, und die häuslichen Ver¬
eine schöne, offene Weite. Im wesentlichen handelt es
hältnisse treiben ihm den Ekel in die Kehle. Der
sich um einen erbitterten Zwist zwischen dem Guts¬
Tod des Vaters, an dem er trotz allem und allem
eigenthümer von Rosenhagen und seinem Nachbar,
mit Zärtlichkeit hing, ist ihm nicht mitgetheilt wor¬
dem Bauer Voß. Nabezu unumschränkt beherrschen
den, und die bejahrte Mutter tritt ihm mit einem
Rosenhagens die ganze Gegend, aus der sie die klei¬
Bräutigam entgegen, der auf den Verstorbenen ein
neren Besitzer nach und nach verdrängt haben. Nur
Pasquill ist. Die Schwester, sein Augapfel und sein
Voß hält mit der Zähigkeit des an seiner Scholle
Stolz, ist von seinem besten Freunde in die Schande
haftenden Bauern seinen Besitz umklammert. Da
gebracht worden, und sein kaum erwachsener Bruder,
macht der junge Rosenhagen'sche Erbe die Entdeckung,
ein verwahrloster Taugenichts, lebt mit dem Mädchen,
daß eine große Wiese, um die es ihm ganz besonders
mit dem er selbst längst versprochen war. Lukas,
zu thun ist, gar nicht Voß zugehöre, sondern Ge¬
der Korporal, macht schnell reinen Tisch. Den ver¬
meindeeingenthum ist. Trotzdem bietet er jenem eine
späteten Bräutigam seiner Mutter jagt er davon,
ungewöhnlich hohe Kaufsumme. Denn er braucht den
und den Liebhaber seiner Schwester bewegt er, dieser
ganzen Besitz, um für seine Braut einen prächtigen
die Ehre wiederzugeben. Das leichtfertige Ding aber,
Herrensitz mit schöner Aussicht zu errichten. Diese
das sich mit seinem Bruder eingelassen hat, bringt
aber, eine gefeierte Weltdame, die es in dem Schatten
er in einer an eine Scene aus Anzengrubers „Vier¬
der dichten Wälder fröstelt, auf den flachen Feldern
tem Gebot“ anklingenden Unterredung dazu, den
langweilt und in der Enge des Dorfes verstimmt,
Burschen freizugeben. Seine feste, auf das Ehrbare
setzt dem Liebsten zu, mit ihr hinauszuziehen in die
und Solide gerichtete Art, die für sich selbst so gar
glänzende Buntheit des Lebens. Er sträubt sich heftig,
nichts übrig hat, macht einen tiefen Eindruck auf das
sie lockt und zieht und schmeichelt und verwirrt ihn,
Mädchen. Eine Umkehr von ihrem der Schande ver¬
aber schließlich unterliegt sie in dem Kampfe gegen
fallenen Leben ist ihr nicht möglich, deshalb wirft sie
die heimatliche Mutter Erde. Sie gibt ihn auf und
es von sich. Ihre Eltern jammern, daß ihre beste
rüstet zur Abreise. Er aber, in höchster Aufregung,
Erwerbsquelle versiegt ist, der leichtsinnige Liebhaber
kündigt den hartnäckigen Nachbar, der nicht verkaufen
findet sein befseres Selbst wieder, und Ko oral Stöhr
will, denkampf auf Leben und Tod an. Voß, der
verläßt an der Seite einer braven Frau die Heimat
es nicht ertragen kann, daß ein Fremder auf seinem
für immer.
Boden hause, kommt nächtlicher Weile heran und
Sowohl Schamann als auch Langmann lassen
erschießt den letzten Rosenhagen aus dem Hinterhalt.
ihre Stücke in Mähren spielen; der erstere in der
Landeshauptstadt, der zweite in einem Dorfe. Wäh¬ Die allerlösende, Ruhe und Frieden spendende Mutter
Erde hat ihr Kind zu sich berabgeholt.
rend aber in dem Drama des Erstgenannten nichts
Dr. Arnold Grünberger.
weiter specifisch zu sein scheint als allenfalls die
Mundart und die Redeformen, steigt aus „Korporal
Stöhr“ allerdings jener besondere Duft empor, der
Literatur.
die Eigenart eines besonderen Kreises, einer beson¬
F. A. Neues Leben. Dichtungen von Karl
deren territorialen oder wohl auch culturellen Pro¬
Heuckell. Zürich und Leipzig, Verlag von Karl!
vinz kennzeichnet. In noch weit stärkerem Grade
Henckell & Co.) Erst vor zwei Jahren hat Karl
aber ist diese eigene Prägung den neuesten dramati¬
Henckell die Auslese seiner Dichtungen in einem
schen Erzeugnissen von Max Halbe und Georg
Sammelbande vereinigt; stürmische Trutzgesänge gegen
Hirschfeld aufgedrückt. In Hirschfelds Li¬
die Zwingburgen der Menschheit, die mit ihrem düstern
teratenkomödie „Der junge Goldner““ wohl
Drohen in unsere neue Zeit ganz so finster hinein¬
kaum zum Nutzen der theatralischen Gesammtwirkung.
ragen wie ehemals. Es that wohl, den kecken, frischen
Das an Ibsen'schen Einfluß gemahnende Grund¬
Ruf zu hören und mit ihm durch dick und dünn zu
motiv des Stückes ist das durch keinerlei Rücksicht zu
gehen, dem jugendlichen, frohen Ruser zum Streit.
hemmende Eintreten für die Wahrheit und Ehrlichkeit
Aber Heuckel hat sich an den überströmenden Klängen
in den Kunstanschauungen wie in den Lebens¬
„von der Zinne der Partei“ nicht genügen lassen. Er
principien, der stoffliche Inhalt ist das Zurückweichen
ist gereist und hat auf weichere Töne horchen gelernt
eines zum Theaterdirector avancirten Kunstrichters
und versteht nun auch das Glück zu genießen und zu
vor der Opportunität gelegentlich der Zurückweisung
halten. Die Erhöhung des Daseins, die ihm seine
eines zur Aufführung bereits bestimmten Theater¬
junge Ehe gebracht, klingt und singt aus seinem jüng¬
stücks. Die Richtigkeit der Annahme, daß damit die
sten Gedichtbande „Nenes Leben.“ Die Einleitung
seinerzeit viel erörterte Behandlung des Verfassers
des farbenfrischen Buches bilden Stanzen, in denen
des „Schleiers der Beatrice“ seitens der ersten Bühne
er sich mit gerader Festigkeit gegen den Vorwurf ver¬
seiner Vaterstadt verspottet werden sollte, mag dahin¬
theidigt, als ob er das Ideal seiner Jugend aufge¬
geben, und klarlegt, daß er nur von erhöhterem
*) Stuttgart, J. G. Cotta'sche Buchhandlung
Nachfolger.
*) Berlin, Georg Bondi.
Berlin, S. Fischer, Verla###