II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 270

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14. Der Schleien der Beatrice
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Gesichte als Wunscherfüllung aus. Empört un
Sorge um das Schicksal der jüngeren Schwester
)
Der Schleier der Beatrice.
gewidert herrscht er sie fort. Beatrice verste
Beatrice, einer holdseligen Sumpfblume. Ehe er dem
alles nicht
— vielleicht geht es Anderen nicht
Kampf, vielleicht dem Tod entgegenzieht, will er sie
In seinen Frescoscenen aus der Renaissance läßt
weil es doch nur ein Traum ist. Filipp
Vittorino Monaldi, dem braven Gesellen des Vaters,
Gobineau den neunundachtzigjährigen Michelangelo
sichert, sie sehe ihn ihm Leben nicht wiede
vermählen. Vittorino, in einem früheren dramatischen
stolzen Abschied nehmen von Welt und Leben: „Wir
lächelt:
Leben Brakenburg genannt, ist ihr in tiefer Neigung
lassen große Dinge hinter uns und große Beispiele.
„Im Leben nicht. — Du sprachst es selber aus
zugethan. Beatrice giebt das Jawort.
Reicher ist die Erde, als sie war, ehe denn wir kamen.
Fühl' ich, daß ich nicht sein kann ohne dich,
Zur selben Stunde führt den Herzog ein nächt¬
Was verschwindet, wird nicht ganz und gar ver¬
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder
licher Spaziergang vor das Haus der Nardi. Jenes
Und nehm' dich mit.“
schwinden ...* Ein rückwärts gewandtes Seherwort,
Gerücht von der Wahl der Schönsten hat ihm manche
geschöpft aus der Erkenntniß unendlich fortwirkender
Schicksalsworte für Beide. Er sagt ihr Leb
freiwillige Esther in den Weg getrieben. Er lächelt
Kraft und Fülle jener einzigen Epoche. Es müßte ein
sie sagt auf Wiedersehen.
über den Einfall. Für Leute von seinem Schlage und in
dankbares Beginnen sein, die Entwicklung der Folge¬
Sie sieht ihn wieder. Der Herzog rüstet zu
seiner Lage gehört die Liebe zu den kleinen Angelegen¬
zeit danach zu werthen, was jede einzelne Generation
glanzvollen Hochzeitfeier. Er sendet Boten du
heiten des Daseins. Er kennt sie kaum, weiß von
von den tausendfältigen Keimen der Renaissance zu
Stadt, um Bologna's Adel ins Schloß zu
Wunsch und Lust und Ueberdruß; das Wunder
Blüte und Frucht gebracht hat; vielleicht ließe sich so
doch soll heute Schönheit Adel sein, nicht Gebur
fühlte er nie. Er soll es bald genug kennen lernen.
bei rechter Methode ein Culturgradmesser gewinnen.
jüngere Beroaldus hat die Hochzeit eines hist
Es tritt eben aus der Thür des nächsten Hauses,
Die Geschichte des Interesses am Individuum wird
Bentivoglio mit Lucrezia von Este geschildert.
leibgeworden in Beatrice Nardi, die mit Bruder und
stets bei einem Zeitalter anzuknüpfen haben, dessen
„nuptiae Bentivolorum“ erzählten von einer ##
Bräutigam zur Kirche geht. Der Herzog spricht sie
Thema die Entdeckung und Erhöhung des Einzelnen
mime, deren Decoration naturgetreu einen Hai
an, und immer stärker gefesselt von der Räthselmacht
gewesen ist und welches nach einem geistreichen Worte
stellte. Die Handlung scheint dürftig, aber vie
ihrer Schönheit, wählt er sie endlich zur Genossin
Kuno Fischers recht eigentlich die „Humaniora“ zu
gewesen zu sein: aus Dianens Nymphenschar
dieser einzigen, weil letzten Nacht. Alle Schätze, die
seinem Gegenstande gemacht hat. So ist es wohl zu
die Schönste in den Schutz der Juno Pronuba, #
dem Sinne der Frauen gefallen mögen, soll sie
erklären, daß die Kunst immer wieder zu dieser histo¬
Venus, einen Löwen zur Seite, sich von einem
haben; dazu noch einen Schleier
rischen Quelle des Individualismus als ihres vor¬
wilder Männer umtanzen läßt. Vielleicht hat Sch
„von so wunderbarer Schönheit,
nehmsten Lebensprincips zurückkehrt. Insbesondere wird,
diese Beschreibung gekannt. Auch sein Bentivog
Wie keiner, den ein Mädchen dieses Land's
wer in künftigen Tagen die deutsche Dichtung des
reitet den Gästen ein üppiges Fest — mit
Und niemals eine Herzogin getragen“.
letzten Jahrzehnts betrachtet, die unverkennbare Vorliebe
mimen. Er ruft sie zu einer orgiastischen Nach
Das alles lockt Beatrice nicht. Es ist nicht zu
dieser Periode für Stoffe und Charaktere der großen
Liebesfeier, die alle heißen, wilden Instincte der
wenig, wie der Fürst meint, da sie mit der Antwort
Wiedergeburt zu verzeichnen haben. Freilich formt jede
untergangs=Stimmung entzügelt. Carpe nocten
zaudert, es ist nur nicht das rechte. Sie will
Zeit die Geschichte nach ihrem Bilde; sie nimmt ¬
die Losung dieser Massenexplosion des Sexual
nicht, daß man sie am nächsten Morgen Dirne
und auch hierin ist der Künstler zugleich Diener und
welchen der Gedanke an das Grauen des n
schimpfen darf, und will deßhalb dem Herzog nur
Herr seiner Zeit — vom Gewesenen nur das an und auf,
Morgens — das Grauen im Doppelsinn
als Herzogin folgen. Die Höflingsschar im Kreise ist
was ihrem eigenen Wesen gemäß erscheint. So wird eine
bachantischer Wuth stachelt. In dem tollen Spi
Epoche aufstrebender, zukunftfroher Kräfte in Kunst und
Gesster und der Leiber gelingt es der Herzogin Be
„sie seh'n und hören nicht,
Leben gern gleiche und verwandte Züge der Vergangenheit
unhemerkt zu fliehen: zu Filippo Loschi natürli
Sonst senkten sie die Knie' vor Beatrice
suchen. Und es kann eben darum kein Zufall sein,
Sie findet ihn in wirrstem Gemüthszustander
Und flehten ihres unbedachten Worts
daß die Kunst unserer Tage sich gerade von den blassen
Zur rechten Zeit Vergessen und Verzeih'n!....
hat mit Courtisanen und Musikanten ein
Du, Beatrice, reiche mir die Stirn!
Farben der welkenden Renaissance, von dem Ver¬
Gelage gehalten. Sein Freund, der Bildhauer
Ich nehme dich zum Weib, wie du verlangst“!
rauschen des großen Thatensturmes erregen läßt. Auch
Manussi, kommt dazu und erzählt als die
In einer Stunde soll Trauung sein. Die Herzogs¬
Arthur Schnitzlers dramatisches Gedicht „Der
Netigkeit ausführlich eine Geschichte, wie man H#
braut steht regungslos lächelno da. Vittorino ist ins
Schleier der Beatrice“ spiegelt die müde Renaissance;
wird. Die Gesellschaft bricht auf, um an dem
Haus zurückgegangen. Dort wird er gefunden, den
auch er hat sich aus dem wandlungsreichen Antlitz
fest im Schlosse theilzunehmen. Filippo ble
Dolch in der Brust. Er hat sich gut getroffen.
jener Zeit eben die Linie eingeprägt und angeeignet,
höchster Erregung zurück. Er überdenkt die
Diese Beatrice Nardi ist sechzehn Jahre alt, hat also
die der Besonderheit seines literarischen Naturells am
leistung Beatricens:
natürlich schon eine Vergangenheit. Die Werbung des
„Von mir
lebendigsten entgegenkam. Das Stück hat bekanntlich
Geht sie nach Hause, läßt von Vittorino
Herzogs ist nicht das erste, kaum das größte ihrer
sein Vorspiel vor dem Theater gehabt, gleich un¬
Zur Ehe sich bereden, geht mit ihm
Erlebnisse an diesem mit Geschehen gesättigten Tage.
erfreulich für alle nothwendig oder freiwillig Be¬
Zur Kirche, trifft ’nen Andern auf dem Weg,
Ein paar Stunden, ehe Lionardo Bentivoglio sie
theiligten. Nun liegt es gedruckt vor als einzig
Der Herzog ist, und läßt mit ihm sich trauen
heimführt, hat ihr Geliebter, der Dichter Filippo
Indeß der And're stirbt — ich aber warte!
beweiskräftige Urkunde in dem rasch zum Grund¬
Sie, jenen Sternen gleich, die einen Himmel
Loschi, sie davongejagt. Er hat sein Verlöbniß
sätzlichen emporgediehenen Streit. Es wird hoffentlich
In einem Augenblick durchmessen, jagt
mit der edlen Teresina Fantuzzi gebrochen und wirft
auch um seiner selbst willen gelesen und mehr
Durch eine ganze Welt, seit Abend wurde —
sich nach seinem eigenen Wort an eine weg, die
auf die dramatischen als auf die dramaturgischen
Und ich warte!“
völlig anderer Art. Sie kennen und lieben sich seit
Wirkungen geprüft werden.
Nicht vergebens. Beatrice erscheint. Er wei
drei Tagen. Der Poet will mit seinem Musenkinde
In der furchtbarsten Räthselgestalt der italienischen
hinweg:
noch diese Nacht die Stadt verlassen, denn über den
Renaissance, in dem „Raubmenschen“ Caesar Borgia
„Wie dunkle Schleier liegt um dich
Dächern Bologna's schwebt der Tod. Schon sind
hat Schnitzler sich eine Art Teufel aus der Maschine
Der letzten Stunden Räthsel, schwer gefaltet!
Pferde beschafft, Alles zur Flucht bereit, da hat
Lass' sie zur Erde gleiten, gleich wie den,
geschaffen. Der blutige Condottiere tritt nicht auf
Beatrice den unglücklichen Einfall, ihrem Geliebten
Der dir das Haupt umhüllt!“
die Bühne, aber er lenkt ihre Vorgänge. Sein Heer
einen Traum zu erzählen. In diesem „Traum eines
Der Schleier finkt zu Boden. Es ist eine
liegt vor Bologna, seine Schützen und Reiter um¬
Sommernachmittags“ hat sie sich als Herzogin geschaut,
klammern in immer engerem Kreise die Stadt, deren
Symbolik in dieser Scene, leider nur zu bah
als Gemahlin des Lionardo Bentivoglio; sie hörte
Gebieter, Herzog Lionardo Bentivoglio, mit knapper
gelöst und verwischt durch gewaltsame Ueberspan
ihn ihren Namen flüstern, sah des Herzogs Augen
Beatrice ist bereit, mit ihrem Geliebten, dem
Noth durch das feindliche Lager den Weg von Rom
leuchten, fühlte seine Lippen nah den ihren. Sie nennt
und wahr Geliebten, den Weg zu gehen „an der
in seine Residenz zurückgefunden hat. Nun rüstet er
das ohne alles Vorgefühl einen „wunderlichen Traum“.
der keine Rückkehr schenkt". Da Filippo ihr die Sch
zur Schlacht; er weiß, daß auf der Welt für ihn
Filippo findet den Ausdruck etwas gelinde. Er hat
und Caesar Borgia nicht Raum genug ist. Dumpfe
und Räthsel des Todes malt, hat sie die rühr
plötzlich seine ganze Renaissance verlernt und ist
Erwartung brütet in den Straßen der belagerten
Antwort: „nimm mich in Deine Arme!“ Sic
moderner Nervenmensch geworden, Selbstsecirer und
Stadt. Seltsames Gerücht geht von Mund zu Mund,
nicht einmal von der Möglichkeit einer Rettung
=sekkirer, Anatol des Cinquecento. Er kann Beatrice
die Angst wirkt ihre märchenzeugende Kraft. So er¬
Sterben will sie, darum kam sie her. Filippo er
zählt einer vom Borgia, daß er die Gabe hat, an zwei nur mehr mit Schmerz, Grauen, Ekel sehen. Denn
seist bereit. Ee danft ihr: