II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 271

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Was verschwindet, wird nicht gunz und zur ver hur selden Siunde führt den erten is
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder
licher Spaziergang vor das Haus der Nardi. Jenes
Und nehm' dich mit.“
schwinden ...“ Ein rückwärts gewandtes Seherwort,
Gerücht von der Wahl der Schönsten hat ihm manche
Schicksalsworte für Beide. Er sagt ihr Leben
geschöpft aus der Erkenntniß unendlich fortwirkender
freiwillige Esther in den Weg getrieben. Er lächelt
sie sagt auf Wiedersehen.
Kraft und Fülle jener einzigen Epoche. Es müßte ein
über den Einfall. Für Leute von seinem Schlage und in
Sie sieht ihn wieder. Der Herzog rüstet zu
dankbares Beginnen sein, die Entwicklung der Folge¬
seiner Lage gehört die Liebe zu den kleinen Angelegen¬
glanzvollen Hochzeitfeier. Er sendet Boten durch
zeit danach zu werthen, was jede einzelne Generation
heiten des Daseins. Er kennt sie kaum, weiß von
von den tausendfältigen Keimen der Renaissance zu
Stadt um Bologna's Adel ins Schloß zu
Wunsch und Lust und Ueberdruß; das Wunder
doch soll heute Schönheit Adel sein, nicht Geburt.
Blüte und Frucht gebracht hat; vielleicht ließe sich so
fühlte er nie. Er soll es bald genug kennen lernen.
bei rechter Methode ein Culturgradmesser gewinnen.
jüngere Beroaldus hat die Hochzeit eines histor
Es tritt eben aus der Thür des nächsten Hauses,
Bentivoglio mit Lucrezia von Este geschildert.
Die Geschichte des Interesses am Individuum wird
leibgeworden in Beatrice Nardi, die mit Bruder und
„nuptiae Bentivolorum“ erzählten von einer P
stets bei einem Zeitalter anzuknüpfen haben, dessen
Bräutigam zur Kirche geht. Der Herzog spricht sie
mime, deren Decoration naturgetreu einen Hain
Thema die Entdeckung und Erhöhung des Einzelnen
an, und immer stärker gefesselt von der Räthselmacht
stellte. Die Handlung scheint dürftig, aber vielsch
gewesen ist und welches nach einem geistreichen Worte
ihrer Schönheit, wählt er sie endlich zur Genossin
Kuno Fischers recht eigentlich die „Humaniora“ zu
seinem Gegenstande gemacht hat. So ist es wohl zu dieser einzigen, weil letzten Nacht. Alle Schätze, die gewesen zu sein: aus Dianens Nymphenschar s#
dem Sinne der Frauen gefallen mögen, soll sie die Schönste in den Schutz der Juno Pronuba, wäl
erklären, daß die Kunst immer wieder zu dieser histo¬
Venus, einen Löwen zur Seite, sich von einem
haben; dazu noch einen Schleier
wilder Männer umtanzen läßt. Vielleicht hat Schn
rischen Quelle des Individualismus als ihres vor¬
„von so wunderbarer Schönheit,
diese Beschreibung gekannt. Auch sein Bentivoglig
nehmsten Lebensprincips zurückkehrt. Insbesondere wird,
Wie keiner, den ein Mädchen dieses Land's
reitet den Gästen ein üppiges Fest — mit P
wer in künftigen Tagen die deutsche Dichtung des
Und niemals eine Herzogin getragen“.
mimen. Er ruft sie zu einer orglastischen Nacht¬
letzten Jahrzehnts betrachtet, die unverkennbare Vorliebe
Das alles lockt Beatrice nicht. Es ist nicht zu
Liebesfeier, die alle heißen, wilden Instincte der ##
dieser Periode für Stoffe und Charaktere der großen
wenig, wie der Fürst meint, da sie mit der Antwort
untergangs=Stimmung entzügelt. Carpe noctem
Wiedergeburt zu verzeichnen haben. Freilich formt jede
zaudert, es ist nur nicht das rechte. Sie will
die Losung dieser Massenexplosion des Sexualis
Zeit die Geschichte nach ihrem Bilde; sie nimmt —
nicht, daß man sie am nächsten Morgen Dirne
welchen der Gedanke an das Grauen des nä
und auch hierin ist der Künstler zugleich Diener und
schimpfen darf, und will deßhalb dem Herzog nur
Mörgens — das Grauen im Doppelsinn
Herr seiner Zeit — vom Gewesenen nur das an und auf,
als Herzogin folgen. Die Höflingsschar im Kreise ist
bacchantischer Wuth stachelt. In dem tollen Spu##
was ihrem eigenen Wesen gemäß erscheint. So wird eine
äußerst indignirt. Aber dem Herzog scheint,
Gesster und der Leiber gelingt es der Herzogin Bea
Epoche aufstrebender, zukunftfroher Kräfte in Kunst und
„sie seh'n und hören nicht,
unbemerkt zu fliehen: zu Filippo Loschi natürlich
Leben gern gleiche und verwandte Züge der Vergangenheit
Sonst senkten sie die Knie' vor Beatrice.
Sie siadet ihn in wirrstem Gemüthszustande.
suchen. Und es kann eben darum kein Zufall sein,
Und flehten ihres unbedachten Worts
hat mit Courtisanen und Musikanten ein i#
Zur rechten Zeit Vergessen und Verzeih'n!...
daß die Kunst unserer Tage sich gerade von den blassen
Du, Beatrice, reiche mir die Stirn!
Gelage gehalten. Sein Freund, der Bildhauer
Farben der welkenden Renaissance, von dem Ver¬
Ich nehme dich zum Weib, wie du verlangst“!
Mmnussi, kommt dazu und erzählt als die
rauschen des großen Thatensturmes erregen läßt. Auch
In einer Stunde soll Trauung sein. Die Herzogs¬
Netigkeit ausführlich eine Geschichte, wie man Her¬
Arthur Schnitzlers dramatisches Gedicht „Der
braut steht regungslos lächelno da. Vittorino ist ins
wird. Die Gesellschaft bricht auf, um an dem 9#
Schleier der Beatrice“ spiegelt die müde Renaissance;
Haus zurückgegangen. Dort wird er gefunden, den
fest im Schlosse theilzunehmen. Filippo bleih
auch er hat sich aus dem wandlungsreichen Antlitz
Dolch in der Brust. Er hat sich gut getroffen.
höchster Erregung zurück. Er überdenkt die 2
jener Zeit eben die Linie eingeprägt und angeeignet,
Diese Beatrice Nardi ist sechzehn Jahre alt, hat also
leistung Beatricens:
die der Besonderheit seines literarischen Naturells am
„Von nir
natürlich schon eine Vergangenheit. Die Werbung des
lebendigsten entgegenkam. Das Stück hat bekanntlich
Geht sie nach Hause, läßt von Vittorino
Herzogs ist nicht das erste, kaum das größte ihrer.
ein Vorspiel vor dem Theater gehabt, gleich un¬
Zur Ehe sich bereden, geht mit ihm
Erlebnisse an diesem mit Geschehen gesättigten Tage.
(erfreulich für alle nothwendig oder freiwillig Be¬
Zur Kirche, trifft ’nen Andern auf dem Weg,
Ein paar Stunden, ehe Lionardo Bentivoglio sie
Der Herzog ist, und läßt mit ihm sich trauen,
theiligten. Nun liegt es gedruckt vor als einzig
heimführt, hat ihr Geliebter, der Dichter Filippo
Indeß der And're stirbt — ich aber warte!
beweiskräftige Urkunde in dem rasch zum Grund¬
Sie, jenen Sternen gleich, die einen Himmel
Loschi, sie davongejagt. Er hat sein Verlöbniß
sätzlichen emporgediehenen Streit. Es wird hoffentlich
In einem Augenblick durchmessen, jagt
mit der edlen Teresina Fantuzzi gebrochen und wirft
auch um seiner selbst willen gelesen und mehr
Durch eine ganze Welt, seit Abend wurde —
sich nach seinem eigenen Wort an eine weg, die
Und ich warte!“
auf die dramatischen als auf die maturgischen
völlig anderer Art. Sie kennen und lieben sich seit
Nicht vergebens. Beatrice erscheint. Er weis
Wirkungen geprüft werden.
drei Tagen. Der Poet will mit seinem Musenkinde
In der furchtbarsten Räthselgestalt der italienischen
hinweg:
noch diese Nacht die Stadt verlassen, denn über den
Renaissance, in dem „Raubmenschen“ Caesar Borgia
„Wie dunkle Schleier liegt um dich
Dächern Bologna's schwebt der Tod. Schon sind
Der letzten Stunden Räthsel, schwer gefaltet!
hat Schnitzler sich eine Art Teufel aus der Maschine
Pferde beschafft, Alles zur Flucht bereit, da hat
Laff' sie zur Erde gleiten, gleich wie den,
geschaffen. Der blutige Condottiere tritt nicht auf
Der dir das Haupt umhüllt!“
Beatrice den unglücklichen Einfall, ihrem Geliebten
die Bühne, aber er lenkt ihre Vorgänge. Sein Heer
einen Traum zu erzählen. In diesem „Traum eines
Der Schleier sinkt zu Boden. Es ist eine
liegt vor Bologna, seine Schützen und Reiter um¬
Sommernachmittags“ hat sie sich als Herzogin geschaut,
Symbolik in dieser Scene, leider nur zu bald
klammern in immer engerem Kreise die Stadt, deren
als Gemahlin des Lionardo Bentivoglio; sie hörte
gelöst und verwischt durch gewaltsame Ueberspann
Gebieter, Herzog Lionardo Bentivoglio, mit knapper
ihn ihren Namen flüstern, sah des Herzogs Augen
Beatrice ist bereit, mit ihrem Geliebten, dem ek
Noth durch das feindliche Lager den Weg von Rom
leuchten, fühlte seine Lippen nah den ihren. Sie nennt
und wahr Geliebten, den Weg zu gehen „an den
in seine Residenz zurückgef den hat. Nun rüstet er
das ohne alles Vorgefühl einen „wunderlichen Traum“.
der keine Rückkehr schenkt“. Da Filippo ihr die Schn#
zur Schlacht; er weiß, iß auf der Welt für ihn
Filippo findet den Ausdruck etwas gelinde. Er hat
und Räthsel des Todes malt, hat sie die rühre
und Caesar Borgia nicht Kaum genug ist. Dumpfe
plötzlich seine ganze Renaissance verlernt und ist
Antwort: „nimm mich in Deine Arme!“ Sie
Erwartung brütet in den Straßen der belagerten
moderner Nervenmensch geworden, Selbstsecirer und
nicht einmal von der Möglichkeit einer Rettung h
Stadt. Seltsames Gerücht geht von Mund zu Mund,
=sekkirer, Anatol des Cinquecento. Er kann Beatrice
Sterben will sie, darum kam sie her. Filippo erk
die Angst wirkt ihre märchenzeugende Kraft. So er¬
nur mehr mit Sa, nerz, Grauen, Ekel sehen. Denn
sie ist bereit. Er dankt ihr:
zählt einer vom Borgia, daß er die Gabe hat, an zwei
„Träume sind Begi#den ehne Muth,
„Ränn' unser Leben weiter,
Orten zugleich zu sein — eine Geschichte, die bekannt,
Sind freche Wünsche, die das Licht des Tags
Den Schmutz der letzten Stunden brächten wir
aber nicht eben bolognesisch klingt. Auch geht die
Zurückjagt in die Winkel uns'rer Seele,
Nie wieder fort; und die Gewißheit nur,
Rede, daß der Herzog heut, in der letzten Nacht vor der
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen.
Daß unser Ende nah' ist, macht uns rein
Entscheidung, das schönste Mädchen von Bologna in sein
So wenig warst du mein, daß, schlossest Du
Wie Kinder. Komm', lass’ uns des hohen Glücks
Die Augen, Deine Seel' auf Abenteuer
Auch ganz genießen!... Komm', wir wollen trinken
Schloß führen wird. Niemand lauscht der Kunde
Ausfliegen konnte, und ich war Dir nur
gieriger als Rosina, die Tochter des alten halbblöden
Es geschieht, und Filippo macht Beatrice
Von Tausend Einer, kniete wie die Andern
Wappenschneiders Nardi. Sie liebt den Herzog seit
Vor Dir und war Dir nichts und bin Dir nichts.“
ruhig“ die Mittheilung, daß sie den Tod getru
lange bis zur Raserei. Ihr Bruder Francesco —
habe. Da fassen sie die Schauer der Vernichtung
Quellenkritische Literatur=Betrachtung wird anzu¬
früher einmal hieß er Valentin — steht bei des
die Instincte des Lebens. Sie fragt: wozu Bet##
merken haben, daß Schnitzler hier in geistreicher und
Herzogs Truppen. Er kommt, um Abschied zu nehmen
ich kam doch, um zu sierben. So wollt' ich's n
interessanter Wendung, die Traumlehre des Wiener
vom Elternhause, in dem es übrigens um den Ver¬
so ist's, wie ein Morden aus dem Hinterhalt, tü
Arztes Siegmund Freud vorträgt, der in einem reich¬
stand des Vaters so schlimm steht wie um den An¬
und feig. Filippo, dem die Stimmung wieder ein
documentirten Buche das Wünschen als primäre Thätig¬
stand der Mutter. Den jungen Krieger quält die
umschlägt, findet es nun „genug des eklen Jammi#
keit des Unbewußten und den unbewußten Wunsch als
und weist Beatrice ins Leben zurück, da sie
Triebkraft des Traumes nachzuweisen versucht hat.
) „Der Schleier der Beatrice", Schauspiel in fünf
nur eine solche war es — nicht
Acten von Arthur Schnitzler. Berlin, S. Fischer, 1901. Auch Filippo Loschi legt Beatricens Nachmittags= Probe —