II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 281

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14: Der Schleier der Beatrice
Die Freiheit ist der Liebe Morgenroth! von dem bekannten Bilde Böcklin's hat befruchten lassen sei's bewußt, sei's unbewußt — das eigen
Laß ihren Schimmer deinen Thron umgleiten!“
als von dem Inhalt des Schauspiels. Der Buchschmuck
sancemäßige. So gewaltige Schicksale sie
Hiermit ist das Schlimmste überwunden. Freilich
paßt zu dieser „Susanna“ wie die Faust aufs Auge.
haben, sie wuchsen nicht aus ihnen herau
das Schauspiel in einem Aufzug „Susanna im
kamen von außen an sie heran.
Fast jedes Bild steht zwischen seinen Versen wie eine
Bade“*) von Hugo Salus ist dramatisch auch mi߬
gewollte Persiflage ihres Inhalts.
Ein feines Büchlein sind die „Zwisch
glückt. Soviel ich weiß, handelt es sich in dieser „Su¬
in Versen“*) von L. Ysaye. Hier sche
„Der Schleier der Beatrice"*), Schau¬
sanna“ um den ersten dramatischen Versuch des Dich¬
der Buchschmuck gut zum zarten Inhalte
spiel in fünf Akten, ist ein echer Schnitzler, wenn
ters, der als Lyriker geschätzt wird. Dramatisch ist es
Er stammt von Fanny Zakuska. Die Z
es auch im Bologna des 16. Jahrhunderts spielt. Die
unglaublich kindlich, und allein diese Kindlichkeit im
geben vier kurze Dialogskizzen. Jede
dramatische Art Arthur Schnitzler's ist bekannt. Das
Verein mit den an sich oft hübschen Rhythmen bezeugen,
Drama, in Wirklichkeit aber nur letzte Akte
neue Drama fügt ihr nichts Neues hinzu. Man muß
daß ein Stück Poet in Salus steckt. Ein Andrer würde
ja auch im Drama einmal wieder nach ne#
auch hier wieder sein technisches Geschick, die intimen
sich schwerlich so vergriffen haben. Der Susannen=Stoff
und Inhalten, die uns modernen Mensche
Reize seiner Sprache und manche psychologische Feinheit
war ja bei den gelahrten und bibelfesten Dramatikern
sind, denn kongenial kann man nicht gut sag
bewundern. Schnitzler möchte vor Allem in dem Her¬
des Reformationszeitalters besonders beliebt. Mein
haft wie wir selbst wird auch unsere Produkt
zog, einigen Adeligen und einigen Personen aus dem
erschrockenes Gemüth suchte daher ein wenig Trost bei
hier auch. Dramatische Skizzen. Das soll k
Volk Renaissancemenschen gestalten. Es sind aber im
des wackeren Paul Rebhuhn, Schulmeisters zu
sein, sondern will nur eine Thatsache konst
Grunde doch Alles Wiener vön heute. Und die wilde
Kahla, „Geistlich Spiel von der gottesfürchtigen und
wie unser Leben äußerlich ziemlich aktionsl#
Orgie gegen Schluß ist nicht renaissancemäßig, weil sie
keuschen Frauen Susannen", das 1535, von etzlichen
ist, so auch unser Dichten. Unsere Konfli
mehr aus echt modernem Galgenhumor, als aus dem
Bürgern zu Kahla zum ersten Mal agiret worden. Reb¬
immer mehr rein aus dem Innern, sow
aller Grenzen spottenden Ueberschwang stammt. Die
huhn trägt die Moral reichlich dick auf, aber er sagt auch
soziale Konflikte sind. So verinnerlicht sich
eine Courtisane ist für ihre Zeit sogar übermäßig senti¬
ausdrücklich, was er mit dem Geistlich Spiel bezweckt.
die Dramatik. Und da Ysaye mehr gefi
mental ausgefallen. Auch Filippo Loschi, der Dichter,
Es soll dabei nämlich der Jugend gute Zucht und Lehre
sah länger die Donau als den Reno. Dagegen ist Bea¬
thatkräftig ist, sind es auch seine Zwischenst#
mit Lust eingehn, und sie soll durch solche kurzweilige
trice, die dem Geschlechte der „Renate Fuchs“ von
Spiele zum Guten entzündet werden. Trotz der faust¬
Und nun habe ich noch die Freude, von
Wassermann nahe verwandt ist, wieder außerordentlich
dicken Moral steckt Leben, sogar dramatisches Leben in
als Dramatiker noch Unbekannten sprechen
fein und zart. Der Bau als Ganzes zeugt von großer
des alten Rebhuhn Stück, namentlich in den Gestalten
dessen Tragödie in fünf Akten „Sebasti
Klugheit. Viel Kunst und Können ist in Allem, aber
der beiden alten, lüsternen Sünder. Wie blaß und matt
hält und noch mehr verspricht. Sie stamm
nicht genug lebendige Fülle. Man bewundert oft, aber
ist dagegen Alles bei Salus! Das bischen Charakteristik
Geucke. Es ist ein historisches Drama, de
wird selten warm. Die starke Steigerung von Akt
der beiden Richter und der beiden Schergen hat Reb¬
sischen Geschichte entnommen, seiner ganze
zu Akt hat ihren Grund mehr in der überaus geschickten
huhn auch. Damals war es eine Leistung. Aber was
aber so deutsch, daß die portugiesischen Nam
und wirksamen Technik als in der inneren Gestalt der
bedeutet es jetzt, nachdem wir Shakespeare, Goethe,
direkt störend wirken. Sebastian ist ein
dargestellten Menschen und ihrer Entwicklung. Mit alle¬
Kleist, Ludwig und Hebbel gehabt haben. Außer diesem
Mensch —
das Drama trägt die Widm
dem soll natürlich nicht bezweifelt werden, daß Schnitz¬
bischen Charakteristik ist aber nichts Dramatisches in
Königen der Erde“. Die Kämpfe und Leiden
ler einer der wenigen zeitgenössischen Dramatiker ist,
dem Salus'schen Schauspiel. Ist das am Ende Absicht?
liegen und Siegen eines solchen Menschen
die eigne Physiognomie und große Reize besitzen. Aber
Wollte uns Salus kindlich kommen wie seine Vorgänger?
stellt, und damit ein Stück von unser aller
Blut hat er zu wenig. Nach meiner unmaßgeblichen
Denn Rebhuhn hat er wahrscheinlich gekannt. Ich kann
Kämpfen, Siegen und Unterliegen, soweit
Meinung sind die Renaissancemenschen überhaupt die
es nicht glauben, denn ich traue Salus zu, daß er es
engherzigen Philister sind und nur zufällig
dramatisch ungefähr undankbarsten, unergiebigsten
dann besser gemacht hätte. Und dieser Daniel, der „reine
schenseele in einem Leibe auf zwei Beinen 1#
Menschen. Sie waren viel zu sehr aus einem, harten
Thor“ im Schauspiel! Leibhaftiger und ungenirter ist
wir selbst zweibeinige Eltern gehabt haben.
Guß, viel zu sehr ohne seelische Risse und innere Kon¬
noch selten ein Deus ex mächinà in einem Drama
meine Menschliche ist mir das Wichtigste and
flikte. Und wenn auch fast alle Dramatiker von heute
herumspaziert, um alle Knoten zu lösen, kaum daß sie
denn grade hierdurch vor Allem überragte
einmal diesem Lichte zuflattern, so versengen sie sich
geknüpft sind. Der Buchschmuck von Wilhelm Schulz
chnittsproduktion unserer Theaterdichter b
doch nur die Flügel oder nehmen jenen Menschen —
zeigt, daß sich die Phantasie seines Verfassers mehr
*) Wien, Wiener Verlag, 1901.
*) Berlin, S. Fischer, 1901.
*) München, Verlag von Albert Langen, 1901
**) Berlin. Hermann Walter, 10000.