II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 282

B
box 20/3
14: Der Schleier der Seatrice
Hauptmann und Sudermann wollten und wollen ja Stürmen nicht lassen kann. „Der Lie
fruchten lassen; sei's bewußt, sei's unbewußt — das eigentlich Renais¬
auch Großes. Nur kommt im „Sebastian“ zum Wollen nicht verschwenden“ und muß es doch
er Buchschmuck sancemäßige. So gewaltige Schicksale sie oft gehabt
sich nach Menschen sehnt, die ihn ver
st aufs Auge. haben, sie wuchsen nicht aus ihnen heraus, sondern
ein gut Stück Können, und in einer Sprache, die fül finden. Mit Recht erwidert ihm Einer
ersen wie eine
kamen von außen an sie heran.
mein Empfinden nur ein= zweimal, namentlich S. 68, trägt, „als Mensch zum Menschen zu
Ein feines Büchlein sind die „Zwischenspiele
empfindlich stört, weil sie aus dem Ton des Ganzen Sprache ist von allen die schwerste.
in Versen"*) von L. Ysaye. Hier scheint mir auch
herausfällt. Die Sprache hat Fülle, sie ist nicht arm Mutter: „Dein Geist ist stark und t#
e**), Schau¬
der Buchschmuck gut zum zarten Inhalte zu stimmen.
sondern reich. Sebastian kann für das Königliche im reit.“ Aber fast nur Einsamkeiten
itzler, wenn
Er stammt von Fanny Zakuska. Die Zwischenspiele
Menschen, das so oft schweigt, schläft und wie todt liegt Leben tragen, vermag schon der könig
ts spielt. Die
geben vier kurze Dialogskizzen. Jede in nuce ein
Worte und Gestalt gewinnen. So gebärdet er sich Man denke z. B. an Nietzsche und M
bekannt. Das
Drama, in Wirklichkeit aber nur letzte Akte. Wir suchen
denn nicht nur als der geniale, königliche Mensch — Naivetät des Genius hält Sebastian
u. Man muß
ja auch im Drama einmal wieder nach neuen Formen
solch kläglich Schauspiel sehen wir ja schon oft genug — Menschen und hält fest an diesem Gle
k, die intimen
und Inhalten, die uns modernen Menschen kongruent
sondern er ist es wirklich, wie sein Reden und Thun zu bluten. Aber auch in sein Lebs
gische Feinheit
sind, denn kongenial kann man nicht gut sagen. Skizzen¬
ausweist. Es ist lange her, daß sich derlei in einem
in dem Her¬
Lebens Trüberin, die Lüge“ eingesch
haft wie wir selbst wird auch unsere Produktion. So istes
Drama fand. Dieser königliche Mensch wird nun aber
onen aus dem
er abgefallen von sich selbst, der
hier auch. Dramatische Skizzen. Das soll kein Vorwurf
auch thatsächlich, im gewöhnlichen Sinne des Wortes; Menschenloos ja garnicht immer sich
sind aber im
sein, sondern will nur eine Thatsache konstatiren. Und
Und die wilde
ein König. Sein Freund, der rechtmäßige König, recht kann. Und so stirbt denn der köni
wie unser Leben äußerlich ziemlich aktionslos geworden
mäßig, weil er fürstlichen Blutes ist, sieht ihm so ähnlich
näßig, weil sie
bastian im tiefsten Grunde an sich sell
ist, so auch unser Dichten. Unsere Konflikte kommen
daß beide, die beide Sebastian heißen, äußerlich nicht
als aus dem
gegen sich selbst, ohne die nun einma
immer mehr rein aus dem Innern, soweit es nicht
von einander zu scheiden sind, Dieser rechtmäßige König
stammt. Die
Sterben kommt. Wie aber der Kör
soziale Konflikte sind. So verinnerlicht sich denn auch
bermäßig senti¬
wünscht, daß sein Freund ihm völlig gleich gerustet mit Grunde gehen muß, und an welchen
die Dramatik. Und da Ysaye mehr gefühlsstark als
i, der Dichter,
in die Schlach zieht, denn wenn der rechtmäßige König ich des Raumes willen nicht erzähle
thatkräftig ist, sind es auch seine Zwischenspiele.
gegen ist Bea¬
fallen sollte, will er, daß der Freund ohneweiters an Drama einige epische Längen, und sol
Fuchs“ von
seine Stelle trete. Der rechtmäßige König fällt, und der „ft ist, sie ist zu wenig individualisirt.
Und nun habe ich noch die Freude, von einem mir
außerordentlich
geborene König wird König. Mit tiefer Ironie zeigt Dramas reden die Sprache Sebaf
als Dramatiker noch Unbekannten sprechen zu dürfen,
igt von großer
Geucke, daß der geborene König leider nichts ist, wenn er das aber einmal nicht der Fall, sha
dessen Tragödie in fünf Akten „Sebastian"**) viel
nAllem, aber
nicht zufällig auch rechtmäßig, ahnenmäßig König ist. stark. Der Ausgang der Tragödie
hält und noch mehr verspricht. Sie stammt von Kurt
ndert oft, aber
Hier liegt wieder ein Konflikt, der zur Gestaltung Meinung darunter, daß er zu viel
Geucke. Es ist ein historisches Drama, der portugie¬
rung von Akt
kommt. Es war ein guter Griff, aus dem königlichen der Tragödie Jesu von Nazareth su
sischen Geschichte entnommen, seiner ganzen Art nach
Menschen auch wirklich einen König zu machen und die
kraus geschickten
aber so deutsch, daß die portugiesischen Namen zuweilen
dene zu breit betont. Es ließe sich nch
allgemein menschlichen Konflikte mit den aus seinem
ren Gestalt der
direkt störend wirken. Sebastian ist ein königlicher
setzen. Man sieht, ich bin nicht b
widerrechtlichen Königthum erwachsenden zu verbinden.
Klung. Mit alle¬
Mensch
das Drama trägt die Widmung: „Den
gegenüber. Vielleicht glaubt man
Dadurch gewinnt das ganze Werk an Gegenständlichkeit,
n, daß Schnitz¬
Königen der Erde“. Die Kämpfe und Leiden, das Unter¬
die mehr innerlichen Konflikte an konkreter Anschaulich= mehr, daß wir, auf das Ganze geseh#
Dramatiker ist,
liegen und Siegen eines solchen Menschen wird darge¬
keit und bühnengemäßer Aktionskraft. So tritt das haben, das in der That werthvoll ist
be besitzen. Aber
stellt, und damit ein Stück von unser aller Leiden und
Menschliche und rein Seelische kräftig nach außen. Das schon lange Zeit nach freierer, rein
unmaßgeblichen
Kämpfen, Siegen und Unterliegen, soweit wir keine
Werk verliert sich nicht in psychologischen Spitzfindig. Höhenluft sehnen, finden sich hoffentl
überhaupt die
die, schon weil sie das wissen werd
engherzigen Philister sind und nur zufällig eine Men¬
keiten, sondern entfaltet sich äußerst kompakt und reau¬
unergiebigsten
dem „Sebastian“ versuchen.
schenseele in einem Leibe auf zwei Beinen tragen, weil
Ich sehe darin den starken Bühneninstinkt des Dichters,
einem, harten
Schließlich sei noch erwähnt,
wir selbst zweibeinige Eltern gehabt haben. Dies allge¬
und innere Kon¬
was nur erfreulich ist, weil damit nach all den technischen
„Manfred“*) in einer neuen, sch
meine Menschliche ist mir das Wichtigste an dem Drama,
Mätzchen einmal wieder ein gesunder Weg betreten wird.
tiker von heute
liegt, die Ludwig Wüllner eing
denn grade hierdurch vor Allem überragt es die Durch¬
Das Theater ist ja nicht nur ein Orpheum für psycho¬
ersengen sie sich
Tiemann mit meist sehr passenden
schnittsproduktion unserer Theaterdichter bei weitem.
logische Excentriks. In den fünf Akten durchleidet nun
en Menschen—
sehen hat. Das Deutsch dieser Aus
Sebastian jedes Vollmenschen Leiden, „ein Sonnen¬
Wien, Wiener Verlag, 1901.
Wesentlichen mit dem, was Adolf
sturm, verstreifend über Disteln“, der aber doch das
**) Berlin, Hermann Walter, 1##
Zeit bot. Diese Rhythmen wirken die
was den Inhalt angeht, so versteht
larmé einmal sagen konnte: „len
c’est le livre.“
*) Leipzig, Hermann Seemann Nag