II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 294

Will ich das heutige steratische Wien ganz frz chulsl¬
terisiren sollte, einfach durch die Nennung einiger hervorstechen¬
der Namen, so würde ich sagen: Hugo v. Hofmannsthal, J. J.
David, Arthur Schnitzler. Hofmannsthal ist der künstlerisch am
meisten durchbildete von den Dreien, in J. J. David verkörpert
sich so etwas wie eine klassische Tradition, bei Schnitzler
Für
ist das Wienerthum am reinsten ausgeprägt. Er hat in einenive
kleineren Schauspiel, „Liebelei“ dem Besten, was er bisher der
Bühne gegeben hat, das wienerische Wesen in glücklicher Weisear
eingefangen, er hat ein Buch Dialoge, reich an der entzückend= aus.
sten wienerischen Grazie, geschrieben, und auch in seinen No¬
velletten zeigt sich dieser feine, prickelnde Geist, der an Lannerschet das
Abl Walzer denken läßt und an süße, ein bischen sentimentalischeis den
Abe Liebe. Diese kleinen, leichtfüßigen, poetisch verklärten Sachen
sind Schnitzkers Stärke. Nun aber kommt er uns plötzlich
pathetisch. Der Ruhm Hofmünnsthals hat ihn vielleicht nicht d die
Int schiafen lassen. Er hat sich in die großen historischen Stimmmis gen¬
gen der italienischen Renaissance zurückversetzt und uns ein ung")
wo langes, allzulanges Drama, „Der Schleier der Beatrice", ge= tliche
schrieben. Das Stück ist nicht mehr ganz jung. Es ist schon vor Mit¬
Lel
zwei Jahren in Buchform erschienen und wurde uns schon in der
the
vorigen Saison auf der Bühne des Deutschen Theaters ver¬
sprochen. Nun endlich, da auch diesmal schon die richtige Pre¬
mierenzeit eigentlich vorüber ist, ist es über die Szene gegangen.
Herr Brahm scheint keine großen Hoffnungen auf dieses Stück
gesetzt zu haben, und, wie es scheint, mit Recht. Das Publikum
nahm das Drama unter ziemlich heftigem Widerspruch hin,
wenn auch der Freunde des Dichters genug waren, so daß sich
der Dichter mehrfach an der Rampe verbeugen konnte.
Was
1den Inhalt anlangt, so ist er unendlich seltsam, verzwickt und!
e: Verlag und Druch: D—
im Grunde recht wenig sympathisch. Wir sind in Bologna, zu
Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Stadt wird von den
Herren des Cesar Borgia bedroht; an der Spitze der Stadt steht
Herzog Lionardo Bentivoglio. Ein Dichter, Filippo, dem Herzog
befreundet, und verlobt mit einem bologneser Edelfräulein, lernt
plötzlich ein schönes Bürgerkind, die Beatrice, kennen, und wird
von so heftiger Liebe zu ihr ergriffen, daß er die Braut bedenken¬
los preisgiebt. Beatrice besucht ihn in seinem Garten, ohne daß
ein Anderer es ahnt; aber da sie am dritten Tage zu ihm kommt,
Lerzählt sie ihm in einer so überirieben schwärmerischen Weise von
einem Traume, in dem sie die Gattin des schönen Herzogs war,
daß Filippo, über die Oberflächlichkeit ihrer Gefühle plötzlich auf¬
geklärt, sie gehen heißt, auf Nimmerwiedersehen. Sie geht,
weinend, und da ein Jüngling, der schon lange vergebens um sie
geworben, an diesem Tage sie noch einmal bittet, sein Weib zu
werden, sagt sie Ja und will ihm umgehend in die Kirche zur
Trauung folgen, denn Borgka ist mit unermeßlichen Truppen vor
1die Stadt erückt, und wer weiß, ob man den folgenden Tag noch
erleben wird. Auf dem Gange zur Kirche begegnet das Paar
dem Herzog Lionardo. Das Mädchen ist sprachlos vor Entzücken,
da sie den schönen Helden ihres Traumes erblickt, und auch den
Herzog überkommt es wie ein Rausch bei ihrem Anblick.
Er will sie zu seiner Geliebten machen,
aber
sie verlangt kühn, daß er sie zur Herzogin erhebe.
Er thut es, ihr Bräutigam ersticht sich in Scham und Schmerz,
und die Trauung findet umgehend statt. Nun kommt das
Wunderbare. Während ganz Bologna feiert, schleicht sich
Beatrice aus dem festlich durchschwärmten Parke ihres jungen
Gatten heimlich fort zu Filippo, zu dem sie plötzlich eine namen¬
lose Sehnsucht überkommt. Sie will mit ihm sterben, da kein
anderer Ausweg ist, aber sie ist zu feig dazu. Er nimmt Gift
(man merke wohl:
er ist ein Dichter und verschwärmt die
Beatrice) und stirbt vor ihren Augen. Sie flieht zurück in die
Arme ihres Gatten Lionardo (1), verliert aber dabei ihren kost¬
baren Schleier in Filippos Gemach. Lionardo vermißt den
Schleier; sie versucht erst, zu lügen, aber da er sie mit dem Tode
bedroht, vor dem sie eine kindische Angst offenbart, und ihr bei
Vermeidung der gräßlichsten Marter befiehlt, sie an den Ort zu
führen, wo sie den Schleier verloren habe, geht sie mit ihm in die
Wohnung des Filippo, wo sie nun gemeinsam den Schleier und
die Leiche des Dichters finden. Das Volk drängt nach. Unter
ihm ist der Bruder Beatrices. Er stößt der verruchten Schwester
den Dolch ins Herz. Das ist das Ende.
Man sieht,
wie fanatisch und in hohem Grade unwahrscheinlich diese
Geschehnisse sind. Diese Heldin ist nichts als Wankel¬
muth, Eitelkeit, Feigheit und Schwäche. Sie hat gewiß nichts
Sympathisches an sich, aber auch die Möglichkeit einer solchen
Figur ist stark zu bezweifeln, und gewiß ist diese Beatrice keine
Gestalt für die Bühne. Man weiß nicht, was man aus ihr
machen soll. Soll sie das Weib an sich darstellen, etwa wie die
Luln in Wedekinds Erdgeist? Dazu sind die Umrisse nicht stark
genug, dazu ist das Typische nicht genügend betont. Es ist eine
Gestalt, die in der Luft schwebt, die man nicht zu preisen weiß
und die mitunter geradezu peinlich berührt. Mit Filippo steht
es nicht viel besser, wenn auch hier schon etwas mehr wie ein
Charakter vorhanden ist. Aber auch er ist stark von Wankelmuth
und Launen beherrscht (man muß immer wieder betonen, er
ist ein Dichter) und im Grunde nicht viel mehr
sals ein Schemen.
So mußte man das Theater,
wenn man auch einige schöne und
stark
be¬
wegte Szenen gesehen hatte, mit getheilten Gefühlen
verlassen, und mit dem aufrichtigen Wunsche, daß Schnitzler
wieder zu seiner alten Note zurückkehren möge. Er soll sich be¬
scheiden. — Gespielt wurde im Allgemeinen gut. Rittner und
Fräulein Triesch (besonders diese) thaten sich in den Hauptrollen
hervor. Herr Kayßler gab den Herzog mit Anstand und Würde.
Erwähnt sei Herr Meinhard, der die Episodeurolle eines alten
Giftmischers ganz vorzüglich verkörperte.