II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 295


Filippo's Tod nothwendig ist. Die Raserei wie die
Gnade des Herzogs ist gleich äußerlich und zufällig,
die weichmüthige Sentimentalität an der Leiche des
todten Poeten als Abschluß ist nach all den
grausen Vorgängen und den Kriegsgräueln die
bevorstehen, unmöglich. So schön auch hier und da
ein Vers, so prächtig zuweilen ein Gedanke, im
Ganzen ist dieses Werk doch mißrathen. Nur zu be¬
greiflich, daß es vor Jahr und Tag in Breslau keinen
rechten Erfolg gefunden, und daß gleich dem Wiener
# vor den Coulissen.
Burgtheater auch andere Bühnen die Aufführung
Das „Deutsche Theater“ ist ein Renaissance¬
scheuen.
Theater geworden. Unsere modernste Bühne kommt
Die Darstellung des personenreichen Stückes —
aus den Costümen gar nicht mehr heraus, ganz be¬
der Zettel zählt vierzig handelnde Personen auf —
sonders aber scheint es sich in der farbenreichen Tracht
geht über die Kraft des „Deutschen Theaters“
hinaus.
des Cinquecento zu gefallen. Auf „Monna Vanna“
Die Verse blieben
t ganz un¬
folgte gestern „Der Schleier der Beatrice“
verständlich. Fast nur im Vortrag von Sommerstorff
Wieder sechzehntes Jahrhundert, wieder zwei
und Frl. Triesch ging keine Silbe verloren, sonst war
italienische Staaten, die sich bekriegen, wieder eine
es mitunter schwer, dem Text genau zu folgen. Der
bedrohte, anscheinend dem Untergange geweihte
polternde und unberechenbare Herzog ist keine rechte
Stadt. Diesmal ist's Bologna. Wieder vor den
Aufgabe für Kayßler, wie der Dichter Filippo
Thoren ein mächtiger, tückischer Feind, diesmal ist's
in der Rittner
die
nicht
Aufgabe
Cesar Borgia mit seinem Heer. Wieder ein Weib,
Ton
sein bestes
Können entfalten kann.
das sich vordrängt in der Stunde der Entscheidung.
und Erscheinung, Auffassungs= und Ausdrucks
Nur der Maeterlinck fehlte und der große Erfolg.
weise des Künstlers sind dieser Tasso=Gestalt
Auch in seinem theatralischsten Stücke ist eben Macterliuck
fremd, für die Rittner nur die feine Durchdringung
ein größerer Poet, und auch die wärmste Sympathie,
des Textes, das gute Verständniß beisteuerte. Mit
die unsere Theater=Gesellschaft allem Wienerthum
aller Würde gab dagegen Herr Sauer die Antonio¬
überhaupt, dem prächtigen Dichter der „Liebelei" und
Rolle des Geheimschreibers. Frl. Triesch war mit
des Anatol=Cyklus aber ganz besonders widmet, konnte
Glück bemüht, der Beatrice das Leben zu verleihen,
den „Schleier der Beatrice“ nicht vor dem Schicksal
das ihr der Dichter nicht einhauchte. Als ein
bewahren, zerrissen zu werden.
[Kind gab sie diese Beatrice, als ein Kind,
Artbur Schnitzler gehört zu den Lieblingen des
das in einer Art traumhafter Verwirrung
„Deutschen Theaters“ und mit gutem Grund. Er
handelt, das echt empfindet und wie schlafwandelnd
hat uns nicht nur ohne Musikbegleitung das echtelfehlt. Die Todesangst kam zu erschütterndem Aus¬
Wienerthum gezeigt und die Kraft gezeigt, es in druck. Dabei sah Frl. Triesch vortrefflich aus. Herr
seinem Denken und Fühlen treu darzustellen, er hat
[Sommerstorff war würdig und edel in
nicht nur in einigen Gruppen von Einactern Eigenart,
der Laertes=Rolle. Der junge Bruder Beatricens,
scharfe Satire, feine Beobachtung bewiesen, er hat auch
der Bologneser mit der Römer=Moral, der
nach Auschauungsweise und Darstellung etwas vom echten
schließlich die Schwester ersticht, ist keine Auf¬
Dichter, er ist eine richtige Künstlernatur. Diesmal!
gabe für Bassermann. In Italien wachsen
wollte er aber über sich selbst hinauswachsen. Erlseine Lorbeern nicht, wenigstens nicht im Renaissance¬
wollte über den eigenen Schatten springen und ist Italien. Die kleine Valentin=Rolle, mehr noch an
dabei gepurzelt. Zu dem verwegenen Stück großer
den Gonnod'schen als an den Goethe'schen Valentin
und kühner Renaissance, das ihm da vorschwebte, fehlt
erinnernd, giebt Bassermann zu wenig Anlaß, die Fein¬
ihm denn doch die Kraft.
heit seiner reichen, erfinderischen Charakterisirungskunst
Ein wirrer dramatischer Fiebertraum ist dieses
zu entfalten. In einer kleinen, an sich ihrer Eigenart
Bild oder diese Galerie von Bildern aus Italiens
fremden Rolle zeigte Frl. Dumont Schärfe der Auf¬
großen Tagen. Ein wüster Traum, in den
fassung und Geschick. In unbedeutenden Rollen
sich auch Gestalten aus anderen Ländern, Zeiten,
thaten sich Herr Fischer, Fr. v. Poellnitz, Herr
Literaturen mischen. Da begegnen uns, mitten im
Schwaiger, Herr Mewes, ein junger Debütant
alten Bologna Goethe's Valentin und sein Braken¬
von guten Mitteln und guter Schule, hervor.
burg, da treffen wir Shakespeare's Laertes, der aus
Pauli widmet alle ihre große Gewandt¬
Fr.
der Ferne kommt, den Verrath an seiner zum Wahn¬
etwas
heit der unmöglichen Figur einer
sinn getriebenen Schwester zu rächen, da ist wilden Courtisane.
Die Ausstattung war reich

Desdemona's Taschentuch zu einem Schleier aus¬
und charakteristisch, das Zusammenspiel recht
gewachsen, da ist Kleist's Todesangst=Scene des flott, obwohl der Oberregisseur Lessing in den letzten
Prinzen Homburg, da klingt in dem Potpourri auchfTagen ernstlich erkrankt war. Ohne rechte Antheil¬
etwas von Grillparzer's „Jüdin von Toledo“ an. Ausfnahme folgte man den fünf Acten und der Beifall.
all den Stückchen wollte aber kein Stück werden. der den Darstellern galt, wie der berechtigten Sym¬
In der Nacht vor dem Ansturm von Borgia's pathie für den mehrfach erschienenen Verfasser, be¬
Uebermacht auf Bologua, denkt der Landesherr just gegnete doch auch heftigem Zischen. Und ein Schleier
daran, das schönste Mädchen der Stadt zu sich aufs
ist so leicht wegzublasen.
J. L.
Schloß zu führen. Es ist im Grunde nicht seine Idec,
er hört nur, daß man sich dergleichen erzähle und sagt
sich: das ist ja ein guter Gedanke. Man kennt
die alte Anekdote vom Gedankenleser, der einem Herrs
sagt, er denke daran, die Zahlungen einzustellen.
„Ich habe zwar nicht daran gedacht, aber Sie bringeh
mich auf eine gute Idee“. Als diese Schönste wählt
der Herzog Beatrice, die gerade, von ihrem Egmont
verstoßen, mit Brakenburg=Vittorino zum Altar gehen
will. Sie ist denn auch bereit, ihm zu folgen — aber
nur als Herzogin.
Der Herzog geht auf die Forderung ein. Die
Hochzeit wird sogleich gefeiert, und eine Festnacht
bietet der Fürst in seinem Schloß und Park allem
was jung und verliebt ist. Das alles könnte uns
ein Dichter glaubhaft machen. Wir können uns gar
wohl in der Renaissancezeit einen Landesherrn
denken, der vor dem wahrscheinlichen Untergang
seiner Stadt sein Volk zu einem tollen Bacchanal
ladet. Arthur Schnitzler hat uns aber weder den
Mann noch die Vorgänge glaubhaft gemacht. Sein
Herzog, der zunächst einige Züge von Größe zeigt,
wird bald schlechtweg zum polternden Trottl. Nichts
an der ganzen Handlung hat Zusammenhang, nie
und nirgends ergiebt sich irgend eine Wendung als
natürliche, logische Folge dessen, was vorhergegangen.
In Zickzack=Sprüngen, ganz nach der schwankenden
Willkür des Versassers, purzeln die Ereignisse durch¬
einander, ohne irgend eine Spur psychologischer Ein¬
heitlichkeit sind die Charaktere. Automaten, die durch
einen sinnreichen Mechauismus sprechen oder sich
bewegen, wie der Drähtezieher hinter der Scene