II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 302

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14. Der Schleiender Beatrice
S
[Wiener Arthur Schnitzler. Er wählte aber nicht Wien zum Schau¬
Theater und Musik.
— splatz seines Dramas, sondern Bologna, und der Herzog ist ein
Deutsches Theater.
Bentivoglio, der Feind vor den Toren Cesar Borgia. Das Stück ist
vor zwei Jahren im Druck erschienen*), also zu einer Zeit entstanden,
„Der Schleier der Veatrice“. Schauspiel in 5 Akten
da die Renaissance=Dramen beliebt waren. Schnitzler versäumt nicht,
von Arthur Schnitzler. Erste Aufführung am 7. März. Regie: Emil
Lessing.
den Blutgeruch der italienischen Renaissance in breitem Strom üver
die Bühne ziehen zu lassen. Die ganze Stadt ist dem Tode
Arthur Schnitzlers Art hatte von Anfang an etwas Spieleri¬
geweiht, jeder Bürger weiß, daß er nur noch diese Nacht¬
sches, und das verleugnet sich auch nicht in diesem seinem „großen“
zu leben hat. Die Verliebtheit des Dichters Filippi Loschi,
Drama. Wieder handelt es sich um das bewährte Thema von der
des Herzogs Lionardo Ventivoglio, der
Beatrice selbst, der
Liebelei, die zum Verderben führt. Ursache und Wirkung stehen aber
Hochzeitsgesellschaft,
des ganze
Bologna erhält da¬
diesmal in einem so starken Mißverhältnis, daß der Zuschauer den
durch einen bestialischen Zug, der wohl das instinktartige
Kopf darüber schüttelt. Ein junger Dichter liebt ein Mädchen, das ihm
Handeln Beatrices erklären soll, es aber nicht dramatischer macht.
sehr gefällig ist; um ihretwillen kränkt er seine Braut, daß sie wahnsinnig
Die alte Erfahrung bestätigte sich, daß nur solche Handlungen „dra¬
wird, beleidigt er seine Freunde und seinen Herzog; er will sogar seine
matisch wirken“, die aus vernünftiger Ueberlegung hervorgeben. In
Vaterstadt in der Stunde der Gefahr verlassen, um mit der Geliebten
Bentrice waltet weder ein Wille, noch auch nur ein Gedanke. Der
leben zu können. Sie kommt abends in sein Haus und erzählt ihm
Zufall führt sie mit Filippo zusammen und trennt sie von ihm; der
zufällig einen Traum, in dem sie des Herzogs Gemahlin gewesen sei.
Zufall stellt sie dem Herzoge in den Weg, als sie mit einem Dritten,
Da scheint sie ihm plötzlich entweiht, er wendet sich voller Abscheu von
dem Handwerker Vittorino, zum Traualtar geht; ein zufälliges Er¬
ihr. Gleich darauf aber heißt er zwei bei ihm eindringende fremde
innern läßt sie als Herzogin zu Filippo zurückehren, dort ihren
Courtisanen willkommen, mit denen er das festliche, für die Geliebte
Schleier vergessen u. s. w.
vorbereitete Mahl hält. Um Mitternacht sind ihm die fremden Dirnen
Die Schwäche seines Stückes zu verdecken, häuft Schnitzler so¬
auch zuwider geworden und er schickt sie fort. Zur anderen Türe tritt
genannte Stimmungsmotive im Uebermaß aufeinander und läßt gleich¬
seine Geliebte ins Zimmer ein, jetzt im Brautgewand und Schleier.
gültige Nebenhandlungen einen bunten Arabeskentanz aufführen.
Sie ist inzwischen wirklich des Herzogs Gemahlin geworden, der auf der
Auge und Phantasie sollen dadurch berauscht werden. Aber die Ab¬
Straße sich in sie verliebt hatte und sie sich antrauen ließ, da
sicht wird gar zu deutlich, und mehr als einmal lag die Gefahr nahe,
sie ihm anders nicht gehören wollte. Vom Hochzeitsfeste hat sie sich
daß die verwirrende Fülle der Einzelheiten die Stimmung „umschlagen“
fortgestohlen aus Sehnsucht nach ihrem Dichter. Da am nächsten
ließ. Die einfachsten Szenen sind am besten gelungen. Daß sie
Tage der Feind die Stadt einnehmen und alle Bewohner töten wird.
nicht tieferen Eindruck machten, liegt wohl daran, daß sie zu deutlich
will sie in den Armen des Dichters und nicht als Herzogin sterben.
an Gestalten und Situationen anderer Dramen erinnerten. Der
Der Geliebte stellt sie auf eine harte Probe. Er trinkt mit ihr und
Schleier der Beatrice als Eifersucht weckender Gegenstand hat in
sagt ihr dann, im Weine sei Gift gewesen, sie müßten beide sogleich
Desdemonas Tascheutuch sein Gegenstück: Beatricens Todesfurcht ge¬
sterben. Da weint, stöhnt und schreit sie vor Todesangst, und der
mahnt an den Prinzen von Homburg; Beatricens Bruder gleicht dem
Dichter verachtet sie zum zweiten Male.
Aus nicht ersicht¬
Valentin, ihr Bräutigam dem Brakenburg, Filippos Braut hat einen
lichem Grunde vergiftet er sich und stirbt vor ihren Augen.
Donna 6 mobile,
Bruder, den man Laertes nennen möchte; die Feindseligkeit der Um¬
sie eilt zu ihrem Herzoge zurück, läßt
gebung des Herzogs gegen Beatrice wiederholt Motive aus der Jüdin
aber den Brautschleier bei dem Toten liegen. Auf dem Hochzeits¬
von Toledo. Alle diese Aehnlichkeiten waren so groß, daß man nicht
feste ist sie vermißt worden. Sie versucht ihre Abwesenheit durch
darüber hinwegsehen konnte.
eine Lüge zu entschuldigen, die aber durchschaut wird. Der Herzog
Leider war auch das „Deutsche Theater“ ein schlechter Bundes¬
will ihr alles verzeihen, wenn sie ihn an den Ort führt, von dem sie
genosse des Dichters. Verse kann man da nicht sprechen. Nur bei
kommt. Aber die Angst vor dem Leichnam des Dichters ist zu groß:
Frl. Irene Triesch und Herrn Otto Sommerstorff klangen sie, wie sie
sie kann sich nicht entschließen, sein Gemach wieder zu betreten. Man
gedacht und empfunden waren. Das Instrument, auf dem das
verurteilt sie zum Tode. Da erst entschließt sie sich, den Herzog
nnancenreiche Werk vorgetragen wurde, war böse verstimmt. Herr
dahin zu führen, wo ihr Schleier liegt. Er findet den Leichnam und
Rittner als Filippo hatte sich zwar eine recht schmachtlappige
errät alles. Alles verstehen heißt bei ihm: alles verzeihen¬
Maske gemacht, zeigte aber sonst nichts von der sensitiven Art des ver¬
wenigstens im Punkt der Liebe. Er. gibt ihr die Freiheit mit
sonnenen Lyrikers. Herr Kayßler als Herzog konnte ebenso wenig
den Worten:
überzeugen; nur bei seinem ersten Auftreten (2. Akt) gab er
„Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind
einen reinen Klang
und erweckte die besten Hoffnungen.
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
nachher ließ er sehr
gleichgültig.
Fräulein Irene Triesch
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
verlieh der Beatrice einen krankhaft=nachtwandlerischen Zug,#
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
der die von diesem Weibe ausgehende sinnliche Wirkung in ihr?
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Gegenteil verkehrte und eine schauerlich perverse Stimmung über die
Und leidens nicht, und jeder von uns wollte
Liebesszenen breitete. Zu recht unbedeutenden Nebenrollen hatte man
Nicht nur das einz'ge Spielzeng sein — nein mehr!
Frl. Dumont, Frau v. Pöllnitz und Herrn Otto Sommer¬
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Tun
storff verurteilt; für Herrn Bassermann war die Valentin=Rolle
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!“
das reine Straf=Exerzitium.
Beatrice mag nun aber doch lieber nicht mehr leben. Sie ist
Der Beifall war nicht übermäßig groß, wurde aber durch vieles
von alledem so müde, daß nichts mehr in ihr ist als die Sehnsucht,
und lautes Zischen immer wieder angefacht, so daß der Verfasser vom
dazuliegen wie der tote Dichter und fertig zu sein. Sie bittet den
zweiten Akte an öfter vor den Vorhang treten konnte.
M.=F.
Herzog um einen Stich mit seinem Dolche. Als der Herzog ihr diese
Gnade weigert, tölet sie ihr eigener Bruder.
*) Berlin, S. Fischer Verlag.
Man erkennt aus dieser Haudlung wohl deutlich genug den