II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 314

14.
Der Schleiender Beatrice
%7 Deutsches Theater.
„Der Schleier der
(Akthur
chnitzlers'
Baatrise“ wurde nach seiner Vollendung lange durch die Spalten
der Wiener Presse gezerrt.: Der Dichter warf dem Direktor des
Wiener Burgtheaters vor, er habe ses Versprechen, dies Schauspiel
aufzuführen, nicht eingelöst. Direkye= Schleuther abe behauptete,
ein bindendes Besprechen sei nicht gezeben worden. Nun ist dies
heiß umstrittene Stück bei uns erschienen und hat starken Beifall
nach dem zweiten und dritten Alt gesunden. Der Erfolg blieb aber
zum Schluß nicht unbestritten. Schauplatz der an starken Erregun¬
gen und blutigen Thaten reichen Handlung ist Bologna zur Zeit, da
die Vorgias in Italien vor den Madonnenbildern ihre sinnliche
Natur zur wollüstigen Begierde entflammten, da sie vor der Kirchen¬
pforte und in den Palästen ihre Gegner mit Gift und Dolch aus
dem Wege räumten und weite Länderstrecken Italiens durch mörde¬
rische Kriege verheerten. Cesar Borgia belagert Bokogna zu einer
Zeit, da der Herzog dieser Stadt die Bekanntschaft des Dichters
Filippo Loschi machen will. Dieser Poet aber folgt des Herzogs
Einladung nicht, denn er vergißt die ganze Welt über den süßen
Schäferstunden, die ihm mit der verführerischen Beatrice unter den
Rosenbüschen seiner Villa beschieden sind. In den Armen Filippos
aber erzählt Beatrice einen Traum, in dem sie sich als Herzogin!
sah und dies veranlaßt den empfindlichen Dichter, sie mit Verachtung
von sich zu stoßen. Die zu ihrer lasterhaften Mutter und Schwester,
heimkehrende Beatrice wird von einem Freunde ihres Bruders zum
Weibe begehrt, als sie mit diesem zur Kirche geht, bezaubert sie durch
ihre Schönheit den Herzog derart, daß er sit zu seiner Herzogin
macht. In der Brautnacht aber — es ist die Nacht vor dem Ent¬
scheidungskampfe mit dem Belagerungsheer — läuft Veatrice zum
Poeten, der unterdessen mit galanten Florentinerinnen eine Orgie
gefeiert hat. Sie will mit Filippo sterben, als der Dichter sie aber
auf die Probe stellt, schäumt ihre Lebenslust gegen den Todesge¬
danken auf. Filippo schleudert ihr seine Verachtung ins Gesicht und
schlürft selber den Gifttrank. Als er entseelt zu Boden sinkt, flieht
Beatrice mit Hinterlassung ihres Brautschleiers und kehrt ze
Herzog zurück. Der verlorene Schleier verräth ihre Untreue, und
nach gräusigen Verhören und Bedrohungen wird sie vom eigenen¬
Bruder erdolcht. Der Herzog aber hält dem todten Dichter, trotz¬
dem dieser sein Rival war. eine ehrende Nachrede, in der sich em
hoher Respekt vor der Literatur offenbart.
Die schöne Beatrice gehört zu den problematischen Frauen¬
naturen, die zu ergründen sind. Bald ist sie kindlich einfach, bald
verträumt und phantastisch, bald will sie sterben, um Filippos willen,
bald reicht sie einem ungeliebten Manne die Hand. Als dieser Selbst¬
mord um ihretwillen begeht, nimmt sie dies mit äußerster Wursch¬
tigkeit auf. Sie streckt nach der Herzogskrone begierig die Hände,
aus und flieht in der Brautnacht zu ihrem Dichter. Bald will sie
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sterben, bald lustig leben. Ihr Charakterbild wird dadurch nicht ver¬
ständlicher, daß zum Schluß drei widersprechende Urtheile über ihr
Wesen gefällt werden. Der Herzog beurtheilt sie mild, der Bruder
streug und sie selber macht das Schicksal für ihre Flatterhaftigkeit
verantwortlich. Der Dichter hat viel Sdannung in sein Drama durch
die drohende Kriegsgefahr gebracht, der edle Herzog aber bekümmert
Ich wenig um diese; nur zum Schluß hält er heroische Reden. Das
Zeitbild hat der Dichter mit grellen Farben gemalt, die Vorgänge
mechseln so rasch und sprunghaft, wie die Entschlüsse der schleier¬
hoften Heldin. Voll Wohlklang ist die Verssprache Schnitzlers.
Die Darstellung befriedigte wenig. Frl. Triesch konnte
den hohen Anforderungen, die an Veatrice gestellt werden, nicht ent¬
spaechen, allein einige Details waren bestechend ausgeführt. Eine
Italienerin voll Glut und bösen leidenschaftlichen Trieben stellte Frl.
Damont in der Rosina auf die Szene. Herr Rittners
Inszividualität widerstrebte dem excentrischen aber empfindsamen
Poaten. Herr Kayßler besaß als Herzog alle Merkmale einer
destwtischen Natur, allein er schrie, wo er sprechen sollte. Eine feine
anzibhende Gestalt schuf Herr Sauer in dem Cosini. Die Aus¬
stattung der Novität war prächtig und die Villa Filippos, wie die
Gärtzen des herzoglichen Palastes versetzten uns ganz in die genu߬
R. E.
frohe Zeit der Renaissance.