II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 315

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Theater und Mulik.
Deutsches Theater. „Der Schleier der
Beatrice“ von Arthur Schnitzler wurde gestern
(Sonnabend) vor einer kämpfenden Hörerschaft
dargestellt. Die, Klatschenden (sie waren die
Besseren) riefet den Dichter nach fast allen Akten
und dankten itz 4fkir ein Werk, das vieles Mensch¬
liche enthält und die Züge seines Wesens zu¬
sammenfaßt. Als dramatische Leistung ist es an¬
fechtbar; unter seinen Dichtungen bleibt es viel¬
leicht die bedeutendste. Das kindhafte Wesen des
denksam und tragisch verkörpert. Auf der anderen
Seite steht der Mann, der Mißtrauende, aus dem
genus irritabile vatum; einer von uns; ein Dichter.
(Herr Rittner gab irrtümlich einen Hoboisten.) Auf der
dritten Seite — denn es ist das dramaturgische
Verhängnis dieses Stückes, drei Seiten zu haben
steht der Herzog; ein Bezwinger des Lebens:
ein Gefestigter; ein innerlich Ueberlegener. (Herr
Kayßler gab ihn fast nur als Eisenzahn.) Als
einzig Bedeutende erschien an diesem Abend Irene
Triesch. Sie griff in manchem Augenblick an die
Seele. Sie schien das Stück verstanden zu haben.
Altred Kerr.
* Renaissancedramen. Schnitzlers Drama
„Der Schleier der Beatrice", das morgen (Sonn¬
abend) in Berlin seine Erstaufführung erlebt, ge
hört zu den Renaissancedramen, die reich an Hand¬
lung sind. Diese bewegte Handlung ist keines¬
wegs den Renaissancedramen eigen, im Gegenteil,
möchte man sagen. So bewegt und reich an Gegen¬
sätzen jene Periode war, die wir als Renaissance
zu bezeichnen pflegen, so wenig eigentlich spiegelt
sich diese Bewegung und dieser Reichtum an wirk¬
samen Gegensätzen in den Renaissancedramen
wider, fast als wollten die Dichter einer bewegten
Handlung, die zugleich voller Spannung wäre,
aus dem Wege gehen. Der stoffliche Reiz dieser
Zeitperiode für die Dramatiker scheint weniger durch
wirkungsvolle Begebenheiten als durch bekannte
und berühmte Persönlichkeiten gegeben zu werden.
Wenigstens beweisen das die Renaissancedramen
der letzten Jahre. Es ist sehr begreiflich, daß eine
so interessante Persönlichkeit wie die des Pietro
Aretino die Dramatiker gefesselt hat. Nicht nur,
daß er ein bedeutendes Talent war, als Tragiker
genannt, der außer seinen zügellosen Sonetten,
Satiren und Lobgedichten auch Komödien schrieb,
in benen er fern von allen Regeln und allem
Muster die Fehler der menschlichen Natur wahr
und scharf schilderte, sondern auch sein Leben war
wechselvoll genug und endete abenteuerlich, wie es
gewesen. So haben denn den genialen Satiriker
in verschiedener Weise dichterisch zu verwerten ge¬
sucht und uns menschlich näher zu bringen Rudolf
Gottschall im „Götzen von Venedig“ Widmann
in der „Muse des Aretino" und Eduard Strauß
in seinem nach diesem vielseitigen Talent genannten
Drama. Bühnenglück haben diese Dramen aller¬
dings nicht gehabt, und das lag wohl nicht an dem
schwierigen Stoff allein. Erfolg hatte auch nicht
viel mehr Hugo von Hoffmannsthals „Tod des
Tizian“, ein Drama, das so wenig an Handlung und 1
Spannung gibt wie die andern dieses jungen Wieners.
Daß die großen Künstler der Renaissance, wie
Raffael und Michelangelo, zur dramatischen Be¬
handlung reizten, braucht kaum hervorgehoben zu
werden; daß aber eins dieser Dramen wirklichen
Erfolg auf der Bühne errang, ist nicht zu melden.
Bekanntlich hat auch Hebbel einen Michelangelo
geschrieben, ein kleines, satirisches Drama, das eine
Selbstbefreiung bedeutet, in dem Hebbel seine
Poesie gegen die Gegner, die ihm mit der Klassik
auf den Leib rückten, und die bloßen Neider ver¬
teidigt. Es beruht auf der Anetdote, daß Michel¬
angelo einmal eine seiner Statuen habe begraben
lassen, um sie dann als antike wieder auferstehen
zu lassen und seine Feinde zu beschämen, und ver¬
langt nicht mehr als „Bescheidenheit gegen den
Vordermann“ eine Forderung, die Hebbel selber
gegen alle wahrhaft Großen erfüllt hat. Auch
den großen Florentiner Bußprediger Savonarola,
der gegen die Sittenverderbnis predigte, der uns
am lebendigsten in der Dichtung durch Lenaus Ge¬
dicht geblieben ist, hat die Dramatik nicht unbeachtet
gelassen; doch auch ihn vermochte sie nicht zum echten
dramatischen Helden zu gestalten. Die kühne,
trotzige, in voller Manneskraft entraffte Persönlich¬
keit des titerarischen Ritters Ulrich von Hutten,
in dem der leidenschaftliche Vorkämpfer der großen
Reformgedanken des 16. Jahrhunderts schied, übte
geheime Anziehungskraft auf die dramatischen
Dichter, und in kurzen Zwischenräumen folgten die
Tragödien von Gottschall, Köster, Logau, Nissel,
Berger. Wie Hutten wurde auch Huttens Freund,
Franz von Sickingen, Gegenstand dramatischer
Gestaltung, der letzte große Ritter des 16. Jahr¬
hunderts, welcher auf völlige Neugestaltung des
Reiches gerichtete Pläne hegte, die ihn in die
Reihe der Fürsten einführen, der Reformation zum
völligen Sieg verkelfen sollten, aber schon beim
ersten Anlauf scheiterten und ihm bald den Unter¬
gang brachten. Duller, Bauernfeld, Meyer, Türcke,
Lassalle haben ihn mit wenig Glück zum Helden
ihrer Tragödien gemacht. Wie es ja überhaupt
wenig bühnenwirksame und erfolgreiche Renaissance¬
dramen gibt; die der letzten Jahre kann man
schnell herzählen: „Die Zwillingsschwester“ von
Fulda, Maeterlincks „Monna Vanna“, Wildenbruchs
„Tochter des Erasmus“. So ist denn die wirkliche
Ausbeute aus der großen Fülle doch nur eiyé
geringe.