II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 328

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14. Der SchleienderBeatrice
Arthur Schnitzler: „Der Schleier der
Beatrice“.*)
Der starb um Dich? Und den verrietest Du?
Und mich um ihn? Und wied'rum ihn um mich?
Was bist Du für ein Wesen, Beatrice?
In jedem bedeutenden Manne steckt wohl ein
Stück Weiberverächter, das je zuzeiten, je auch
nach den Erfahrungen, die ihm am nächsten
liegen, mit besonderer Gewalt hervorbricht. Es
steckt wohl auch in der bedeutenden Frau ein gut
Teil Männerverachtung — so daß am Ende kein
Geschlecht vor dem anderen etwas voraus hat. Nur,
daß sich die gegen die Männer gerichtete Gering¬
schätzung fast immer nur auf den Charakter
bezieht, auf etwa vermutete Unzuverlässigkeit,
Feigheit u. s. w., nicht auf einen sozusagen organischen
Mangel an Begabung, der ganzen Anlage und Auf¬
fassungsfähigkeit. Auf jeden Fall: Da die „Be¬
deutenden", oder, weil man in einer Zeitung vor¬
sichtig sein muß,... da die geschichtlich nachzuweisenden
„Bedeutenden“ unter dem Geschlecht der Männer
bisher unendlich zahlreicher sind als unter dem der
Frauen, so tritt die gegen die Weiber gerichtete Ver¬
achtung in der Literatur mit einer unvergleichlich viel
wuchtigeren Kundgebung hervor als die gegen die
Männer. Es würde eine imposante Reihe
gramvoller, haßbitterer Dichter= und Denker¬
köpfe ergeben, wenn man etwa die Linie
von Euripides über Molière zu Schopenhauer,
Strindberg, Nietzsche, Schönaich= Carolath ziehen
wollte.
Schnitzler gehört dieser Reihe fast verwünschender,
rachedurstiger Weiberhasser nicht an. Er schlägt sich
mehr zu der Gruppe neuerer Erzähler, Lyriker und
*) Buchausgabe S. Fischer, Verlag. Berlin.
Dramatiker, die sich der oftmals gehörten Ver¬
als sie den Tod wollte, war sie ungetreu, da sie das
Leben wählte?
dammung der Unzulänglichkeit, Oberflächlichkeit und
Kleinlichkeit des weiblichen Geschlechtes mit der
zweiten Frage gegenüberstellen: Warum sind denn
das andere; sie tat es beides oder gar nicht. Was
trotz
der tiefen Einsicht vom Wesen
sind die Worte, die starren Schachtelbegriffe unseres
der „lieben Dinger“, ces animaux-lä, wie Molière
Denkens, daß sie ein Leben, wie dieses, einfangen
sagt, die Männer immer wieder so dumm, sich auf
wollen, das hinfließt gleich dem schillernden Strom,
sie einzulassen? Was ist dieses Rätselhafte, dieses
der immer derselbe scheint und immer ein anderer
Widerspruchsvolle am Weibe, das fast aus seiner
ist! Was soll ein Entweder=Oder, wo es sowohl¬
Nichtigkeit, seiner Eitelkeit und seinem Wankelmut, aus
als auch heißen muß, was soll ein Ja oder ein
seiner Lügenhaftigkeit und ganz banalen Interessiertheit
Nein, wo jedes Wort der bestimmten Farbe der
kein Geheimnis macht und doch stets von neuem
Entschließung entbehrt?
auch diejenigen, welche es am tiefsten erkannt zu
Sie log dem Herzog und sie log dem Dichter
haben glauben, anzieht, sie reizt, sie übertölpelt?
und sprach doch beiden Wahrheit, sie betrog den
Es muß doch etwas da sein! Schließlich
einen mit dem andern und war doch beiden treu —
erfährt vielleicht jeder das Geschick, das
vielleicht liebte sie als dritten, wenigstens für einen
verdient; schließlich werden zu diesen Männern, wie
Nachmittag, sogar den biedern Handwerksmann,
sie einmal sind, auch diese Frauen, wie sie sind, ge¬
dem ihr Bruder sie zur Sicherheit noch kurz
hören. Wir wollen nicht anklagen, nicht die große
vor seinem Scheiden anverlobte. Sie konnte
Richterpose einnehmen. Wer donnert und ver¬
sterben, wenn ihr vor Entzücken, vor innerem
dammt, verdient das Weib auf ewig, dem er
Jauchzen die Seele zu bersten drohte, sie
es antut. Es gilt hier ein Provlem; es heißt, es
mußte leben, mußte taumeln im wilden Rausch
möglichst scharf festzustellen und zu umgrenzen.
der Lüste, wenn ihr der Tod sein Grinsen zeigte.
Die Franzosen haben nach dieser Richtung bereits
Alles Außerste liegt ihr so nahe wie das Nächste.
eine ganze Ahnengalerie, vorzüglich im Roman, auf¬
Sie
nimmt das Bedeutende hin wie das
zuweisen. Sie datieren sie etwa von der Manon
Unbeträchtliche, das Unerhörte wie den Alltag.
Lescaut des Abbé Prévôt vom Anfang des 18. Jahr¬
Was ist ihr ein großer Dichter, was ihr
hunderts. Wir Deutschen sind jünger. Möglich,
ein Herzog! Reiche können zerkrachen und auf den
Trümmern neue Kronen wachsen — es ist ihr nicht
daß unseren Dichtern in der sie umgebenden Frauen¬
welt nach dem in Betracht kommenden Sinne ein
mehr, als daß ihr Spitzentuch zerreißt. Alles Be¬
weniger reiches Beobachtungsmaterial als den
deutende sinkt vor ihr dahin, sie schreitet in ihrer
Mit
Ahnungslosigkeit souverän darüber hinweg.
Franzosen zur Verfügung stand. Die deutsche Frau
hat weniger hinter sich ...
einer unbewußten Grausamkeit, mit einer nur in der
Was sie noch vor sich
Kindlichkeit begründeten Gleichgültigkeit, in der man
hat, das ist das, worüber Dichter, wie Schnitzler,
offenbar ihre besonderen Ansichten zu haben glauben.
es zuweilen wie voll Ahnung als einen Aus¬
gleich der zu so schreienden Disharmonien auf¬
gereizten sozialen Gegensätze zu spüren glaubt, als die
Ob der „Schleier der Beatrice" zu Bologna und
stille Rache der unteren Dinge an den oberen. Sie
in der Renaissance=Zeit spielt, ist gleichgültig. Die
ist ja nur Trieb, nur Pflanze, — sie will nur
Umgebung, die äußeren Ereignisse dienen nur, um
lieben, nur leben und da sein, nicht denken und nicht
einen allgemeinen Geist der skrupellosen Unge¬
wählen. Ist etwas in ihrer Brust das gerade ein
bundenheit, der tatenfrohen Lebensfreude zu
Dichtersmann, ein Herzog befriedigt — warum nicht
zeichnen, der die Luft des Stückes bilden
er so gut wie ein anderer?
In schönen Versen hat
soll. Das Problem selbst ist ein modernes:
Schnitzler es an verschiedenen Stellen selber klar
man könnte sagen, es spielt in Wien um die Jahr¬
aussprechen lassen.
hundertwende.
Beatrice ist das Problem; sie ist das Stück.
Du bist
Schnitzler gibt in ihr seine General=Auseinandersetzung
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunher namenlos erschreckt,
mit dem bezeichneten rätselvollen Typus Weib an
zerstörten Illusionen und seinen
dem Dasein macht, der sich
weiser, vor allem wohltätiger sein k
zu schließen, statt mit aufgeregten Sin
daß es nicht auf unser Urteil, auf u
Verdammen ankommt, sondern auf
auf der Welt, wie sie einmal ist,
mögen, der schnell ergreift, um
fahren zu lassen, was er doch nicht h
ist im letzten Sinne der Sieger in
Eine Weile ist es das
Lebens.
Beide Männer denken nach, suchen zu
nichts zu ergründen ist. Beatrice nin
was sie findet, einen Dichter und einen
Männer wollen nach ihren anfängl
ihr alles sein, sie ganz besitzen, sie
sie ist zufrieden mit dem, was da ist,
ihr gerade jeder gibt. Das ist ihr
Minderwertigkeit ist ihre Überlegenheit
der Herzog sie in diesem ihrem We
ist er endgültig über sie hinaus:
wir nannten Dein Tun
Betrug und Frevel und Du warst
Erst jetzt ist er der Überlegene, d
wie frischen Morgenlüften, wie neuem A
Höhen entgegenschreitet:
Das Leben ist die Fülle, nicht di
Und noch der nächste Augenblick
Die drei Gestalten der Beatrice,
des Dichters sind in Schnitzlers Stüc
herausgearbeitet. Sie sind in ihrer
und Charakteristik nicht bloß „gewollt
„gekonnt“. Sie sind es so sehr, daß
Freund dieses Werkes wünschen muß
vielfach unbedeutenden Gewirr
breiten Szenen, des angeblichen Re
Bologneser Treibens herausgeschä
Dann erst würde dieses Stück so hell
es verdient und wirklich als Schnitzl
stehen. Fast jeder Zug verrät den f
künstlerisch klüger und weitsichtiger
mann und Sudermann zusammeng
nur des sozusagen brutalen und dumpf
Urdranges des letzteren und der
der reichen, spielerischen Menschlicht
entbehrt. Die Verse sind von