II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 329

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Sie log dem Herzah 1n 1i e Sehreeschnen
haben glauben, anzieht, sie reizt, sie übertölpelt?
und sprach doch beiden Wahrheit, sie betrog den
Es muß doch etwas da sein! Schließlich
I einen mit dem andern und war doch beiden treu
erfährt vielleicht jeder das Geschick, das er
vielleicht liebte sie als dritten, wenigstens für einen
verdient; schließlich werden zu diesen Männern, wie
Nachmittag, sogar den biedern Handwerksmann,
sie einmal sind, auch diese Frauen, wie sie sind, ge¬
dem ihr Bruder sie zur Sicherheit noch kurz
hören. Wir wollen nicht anklagen, nicht die große
vor seinem Scheiden anverlobte. Sie konnte
Richterpose einnehmen. Wer donnert und ver¬
sterben, wenn ihr vor Entzücken, vor innerem
dammt, verdient das Weib auf ewig, dem er
Jauchzen die Seele zu bersten drohte,
es antut. Es gilt hier ein Problem; es heißt, es
mußte leben, mußte taumeln im wilden Rausch
möglichst scharf festzustellen und zu umgrenzen.
der Lüste, wenn ihr der Tod sein Grinsen zeigte.
Die Franzosen haben nach dieser Richtung bereits
Alles Außerste liegt ihr so nahe wie das Nächste.
Sie
eine ganze Ahnengalerie, vorzüglich im Roman, auf¬
nimmt das Bedeutende hin wie das
zuweisen. Sie datieren sie etwa von der Manon
Unbeträchtliche, das Unerhörte wie den Alltag.
Lescaut des Abbé Prévöt vom Anfang des 18. Jahr¬
Was ist ihr ein großer Dichter, was ihr
hunderts. Wir Deutschen sind jünger. Möglich,
ein Herzog! Reiche können zerkrachen und auf den
daß unseren Dichtern in der sie umgebenden Frauen¬
Trümmern neue Kronen wachsen — es ist ihr nicht
welt nach dem in Betracht kommenden Sinne ein
mehr, als daß ihr Spitzentuch zerreißt. Alles Be¬
weniger reiches Beobachtungsmaterial als den
deutende sinkt vor ihr dahin, sie schreitet in ihrer
Franzosen zur Verfügung stand. Die deutsche Frau
Ahnungslosigkeit souverän darüber hinweg. Mit
hat weniger hinter sich
Was sie noch vor sich
einer unbewußten Grausamkeit, mit einer nur in der
hat, das ist das, worüber Dichter, wie Schnitzler,
Kindlichkeit begründeten Gleichgültigkeit, in der man
offenbar ihre besonderen Ansichten zu haben glauben.
es zuweilen wie voll Ahnung als einen Aus¬
gleich der zu so schreienden Disharmonien auf¬
gereizten sozialen Gegensätze zu spüren glaubt, als die
Ob der „Schleier der Beatrice" zu Bologna und
stille Rache der unteren Dinge an den oberen. Sie
in der Renaissance=Zeit spielt, ist gleichgültig. Die
ist ja nur Trieb, nur Pflanze, — sie will nur
Umgebung, die äußeren Ereignisse dienen nur, um
lieben, nur leben und da sein, nicht denken und nicht
einen allgemeinen Geist der skrupellosen Unge¬
wählen. Ist etwas in ihrer Brust, das gerade ein
bundenheit, der tatenfrohen Lebensfreude zu
Dichtersmann, ein Herzog befriedigt — warum nicht
zeichnen, der die
Luft des Stückes bilden
er so gut wie ein anderer? In schönen Versen hat
soll. Das Problem selbst ist ein modernes;
Schnitzler es an verschiedenen Stellen selber klar
man könnte sagen, es spielt in Wien um die Jahr¬
aussprechen lassen.
hundertwende.
Beatrice
st das Problem; sie ist das Stück.
.Du bist
Schnitzler gibt in ihr seine General=Auseinandersetzung
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat Dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
mit dem bezeichneten rätselvollen Typus Weib, an
Nie bist Du vor der Buntheit dieser Welt
welchem ihm alles schwankend und ungewiß, alles
In Andacht hingesunken, und daß Du,
unzuverlässig und deutbar erscheint. Seine Beatrice
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
die Tochter eines Bologneser Wappen¬
Sich unter den unendlich Vielen fanden,
schneiders.
Ein Dichter liebt sie, einer der fein¬
Hat nie mit tiefem Schauer Dich erfüllt.
sinnigsten, edelsten, reinsten Geister seiner Zeit;
Und daß Du Fürstin von Bologna bist,
er läßt seine edle Braut ihretwegen schmachvoll,
Macht Dich so wenig staunen, Beatrice,
herzlos sitzen. Beatrice liebt ihn wieder, scheint ihn
Wie wenn sich eine Mück' auf Deine Hand setzt.
zu lieben. Sie schwört ihm ihre Liebe und — erzählt
Und an anderer Stelle:
ihm im selben Atem einen begierigen Traum
der letzten Stunden, in dem nicht er, sondern der
Es ist Dein Wesen, daß mit jedem Pulsschlag
Herzog von Bologna der Held ist.
Es ist aus mit
Durch Deine Adern andre Wahrheit rinnt.
des Dichters Leidenschaft. Der Traum
gilt
ihm für hundert Wirklichkeiten. Er hat
ein
Der Titel „Schleier der Beatrice“ ist wohl nur
Ewigkeitsbild in den Sternen angeschaut; nun steht
symbolisch zu nehmen für eben dieses Verworrene,
es doch wieder mitten unter den Fratzen des Tages
Nebelhafte, welches das Wesen der Beatrice über¬
im Kot der Gasse.
schleiert. Denn im Stück ist der Schleier — nur
Sie geht. Im hastigen Lauf der Kriegszeiten ist
ein Schleier, dessen Verlust und Wiederfinden nur
sie am nächsten Tage Herzogin von Bologna, nachdem
ein Mittel der Handlungsführung wird; er kann
sie vorher, gleichsam noch unterwegs von dem Hause
hier nicht etwa symbolisch für die Reinheit der Be¬
des Dichters zu dem des Herzogs, einem biederen
sitzerin stehen.
Freier sich anverlobt hat, der sich alsbald den Tod gibt ...
Die Fülle der übrigen Gestalten des Stückes hat
Nun ist sie, was sie geträumt und vielleicht erträumt
streug genommen nur insoweit Bedeutung, als sie
hat, nun ist sie Herzogin — und nun? Ihr erster
Stellung nehmen zu dem großen Thema von
Gang nach der Trauung und vor der Hochzeitsnacht
der Liebe, das Schnitzler angeschlagen hat. Sie tun
ist zu dem ersten Liebsten, dem Dichter: sie will —
es sämtlich in irgend einem Sinne; im Mittelpunkte
mit ihm sterben! In einer flüchtigen Sekunde hat
aller der Herzog und der Dichter Filippo, beide
sie es beim Abschied gelobt. Und wiederum: vom
beleuchtet durch die Gestalt der Beatrice und sie selbst
Dichter ernsthaft vor die Wahl gestellt, wählt sie —
beleuchtend.
das Leben. Er gibt sich, diesmal wirklich, den Tod,
Das ist das Seltsame: Dieses Augenblicks¬
nachdem ihn die Wiederkunft Beatrices einem soeben
geschöpf, scheinbar kaum wert, beachtet zu werden,
erst gefaßten Entschluß abtrünnig gemacht hat, ein
würdig wie Unkraut am Wege zu vergehen, weiß
würdiges, seinen Wert sich durch Taten schaffendes
zweier hoher Männer Liebe auf sich zu einen.
Dasein zu führen.
Schnitzler hat diese beiden sehr sinnig ihrem innersten
Vom toten Ersten kehrt sie zum lebenden Zweiten
Wesen nach Freunde sein lassen, die einer den
zurück, zum Herzog.
Sie will, nach dem Grund
andern suchen, um sich erst dann zu finden, als der
ihrer langen Abwesenheit befragt, das ihr heilige
Lebenskräftigere, der Herzog, der soeben im Begriff
Geheimnis der Zusammenkunft mit dem Dichter
steht, über seine Liebe zur Beatrice als über ein
nicht verraten. Aber wiederum vom Tode bedroht,
nachdenkliches Erlebnis mehr hinwegzuschreiten, an
wählt sie zum zweitenmal das Leben, das
der Leiche des Lebensschwächeren, des Dichters,
sie diesmal nur durch die Preisgebung des Myste¬
stehen muß, der gerade an eben dieser Liebe
riums der letzten Stunden mit dem Dichter erkaufen
zugrunde gegangen ist.

Beide scheinen von
runn.
zwei verschiedenen Polen herzukommen: Der Dichter,
Der letzte Akt führt den Herzog in des Dichters
der ewig auf der Suche nach dem Ideale ist und
Haus. Beatrice, grauend vor all den Greueln, die
schließlich daran stirbt, es nicht zu finden;
sie unwissend angerichtet, wird durch einen wohliätigen
der Herzog, der Mann der entschlossenen Tat, der
Dolchstoß ihres Bruders getötet. Der Herzog läßt
nicht lange sucht, sondern zugreift, in dem aus einer
Beatrice und den Dichter würdig bestatten und
langen Erfahrung ihm zugereiften Bewußtsein, daß
schreitet in den Kampf der Zeit.
noch so langes Wägen doch ein Wagen bleibt.
Der
Dichter Filippo ist der Skeptiker des Alles oder
Was war dieses Leben, was war dieses Weib?
Nichts, der das Dasein schilt, weil es seinen Träumen
Liebte sie den Herzog, liebte sie den Dichter? Betrog
nicht entspricht, der es zu verwerfen glaubt, während
sie diesen, als sie von jenem träumte, verriet sie
er sich selbst ihm im Grunde unterwirft. Der Herzog
genen, als sie ihn um dieses willen verließ? Log sie, ist der Skeptiker, der sich abfindet mit seinen!

was sie findet, einen Dichter und einen
Männer wollen nach ihren anfänglich
ihr alles sein, sie ganz besitzen, sie g#
sie ist zufrieden mit dem, was da ist,
ihr gerade jeder gibt. Das ist ihre
Minderwertigkeit ist ihre Überlegenheit.
der Herzog sie in diesem ihrem Wesen
ist er endgültig über sie hinaus:
wir nannten Dein Tun
Betrug und Frevel und Du warst e
Erst jetzt ist er der Überlegene, der
wie frischen Morgenlüften, wie neuem Lei
Höhen entgegenschreitet:
Das Leben ist die Fülle, nicht die
Und noch der nächste Augenblick ist
Die drei Gestalten der Beatrice, des
des Dichters sind in Schnitzlers Stück
herausgearbeitet. Sie sind in ihrer g
und Charakteristik nicht bloß „gewollt“,
„gekonnt“. Sie sind es so sehr, daß d
Freund dieses Werkes wünschen muß,
vielfach unbedeutenden Gewirr
breiten Szenen, des angeblichen Ren
Bologneser Treibens herausgeschält
Dann erst würde dieses Stück so hell
es verdient und wirklich als Schnitzlers
stehen. Fast jeder Zug verrät den fein
künstlerisch klüger und weitsichtiger ist
mann und Sudermann zusemmengen
nur des sozusagen brutalen und dumpfen
Urdranges des letzteren und der
der reichen, spielerischen Menschlichkeit
entbehrt. Die Verse sind von
klugen Ruhe, die den Gedanken
restlos durchformt, wie es weder Ha#
„Sudermann kann, ohne konventionell
ohne Banalität, ohne den ganzen Prast
Jambenfloskeln, bei dem man sich vor
Ohren zuhält. Es sind Schnitzlersche
hat nirgend das Gefühl, wie heute b
Versstücken, daß Schlegel=Baudissins
hat Pate stehen müssen. Vielleicht ist
„nächster Augenblick“ nicht mehr weit.
Paul¬