II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 338


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14: Der Schleier der Beatrice
A. OA
instinktiv schafft, und deren Ausstrahlungen und Beein¬
dig=schuldig, ein Bild der Qual u.
flussungen auf das Geschick von Männern.
Settilleion.
da gleich einem Kinde, das ahn
—Von mir
zerstört und nun das Schelten nicht
Geht sie nach Hause, läßt von V##torino
Berliner Theater.
ringt mit diesem Geheimnis, stocken
Zur Ehe sich beredten, geht mit ihm
ken zu Worten:
Arthur Schnitzler: „Der Schleier der Beatrice.“
Zur Kirche, trifft 'nen Andern auf dem Weg
Aufgeführt im „Deutschen Theater“.
Warst Du nicht Beatrice,
Der Herzog ist, und läßt sich mit ihm trauen.
„Wie dunkle Schleier liegt um Dich der letzten Stunden
Das mit der Krone spielte
Indeß der andere stirbt,— ich aber warte ...
Mit eines Dichters Seel,
Rätsel, schwer gefaltet“, das Wort, das der Dichter Fi¬
Filippo, der Dichter sagt das, ein unbefriedigter nach
Mit eines Jünglings Herz
lippo zur Beatrice in Schnitzlers Dichtung spricht, gilt von
Unerfüllbarem durstender Lebenswerber, voll Sehnsucht, aus¬
Geschenkt ward? Aber wir
dem Drama selbst. Von den Poesien dieses Feinen und
zuschöpfen und voll Ueberdruß wenn er den Becher an die
Und leidens nicht, und jed
Besonderen, der wie wenige heut die wirr verstrickten Gärge
Lippen setzt. Er hat alles daran gegeben, Beatrice, das
Nicht nur das einfache S#
des Herzens, unseres „Fühlens,, Heut und Gestern“ voll
schönste Mädchen von Bologna zu gewinnen, und als sie ihm
schmerzlicher Neugier erforscht, der die Chemie der Gefühle
am Halse hängt, stößt er sie von sich, weil sie ihn schonungslos
Die ganze Welt. So nann
als höchstes künstlerisches Ziel und einzig des Wissens
erzählt, sie habe im Traume in des Herzogs Arme gelegen.
wert erachtet, stellt dieses Drama die wundersamsten Rät¬
Betrug und Frevel — und
Sie geht, und ihren Weg bezeichnen jene eben zitierten Verse.
sel; es hüllt sie in Seide, in Schimmerstoffe mit Edel¬
Wie eine Lösung setzt Schnitzer
Wir stellen knapp, ohne Kommentar seine Etappen neben¬
gestein bestickt und behängt sie mit dem Prunk der Rede,
fragen= und zweifelsschwere Werk. I
einander. Ihr Bruder, der sie den kupplerischen Eltern ent¬
mit kostbaren und seltenen Worten. Doch ein müdes Be¬
er wollte. Die Beatrice am Ende g#
reißen will, drängt sie zur Heirat mit einem braven Jungen.
ginnen scheint es; das dunkle Irren in dem Labyriuth
hörter Sphinxaufgaben. Ist sie ni
Da kommt der Herzog, der Traum beginnt in ihr zu spielen,
der Brust soll Klang und Stimme bekommen, das Me¬
und d. Lulu im Erdgeist, wenn sie
Zauber fliegt von ihr zu ihm. Er streckt die Hand nach ihr,
dusenhaupt der Triebe, die nie und nimmer ganz zu den¬
keinen Anteil hat. Ist sie nicht n
sie aber sagt, wie ein Kind, das unerhörten Wunsch wie eine
ten sind, soll reden, sein eigenes Rätsel lösen, aber der
instinkt, der nach glänzenden Früch
spielende Bitte ausspricht, sie will Herzogin sein. Und den
Dichter selbst weiß nur zu gut, daß wir nichts wissen
des Augenblickes führt und nur aus
Herzog packt das Fluidum der seltsamen Stunde; das Leben
können. Den Reigen seltsam widerspruchsvoller Gestalten,
Intellekt des Kindes, das die H#
geht in diesem Moment ohnehin über die Grenzen des Ge¬
“ die in Unbewußtheit ihres Wesens wandeln, die Schritte
und im nächsten Augenblick das
wöhnlichen, denn der Tod hängt über ihnen, der Feind steht
tun, die ihnen selbst unbegreiflich, und in den Abgrund stür¬
nach neuen langt, dieser Intellek
übermächtig vor den Toren, Weltuntergangsstimmung weht,
zen mit siummer Qual um den Mund und der leidvollen
mit den jäherwachten Sinnen des
die letzte Nacht vom Sterben ists, Rausch und Ekstase, um
Frage: „Was haben wir getan?“
diesen Reigen führt
wir ihm nicht schon im Anatol und
glüht von roten Fackeln der Gefahr“, wirken lodernde A#
er auf die bunte Scene. Aber sein Gott und Schicksalsherr
ein nahvertrautes Wort: „Sie ist,
späre, in wildem trotzigem Hochgefühl führt der Herzog sich
wird er doch nicht er steht nicht über ihm, er selber ist ihm
und denkt nicht nach. Wenn ich sie
sein Weib von der Straße in das Schloß, indes der Bräutigam
wesensgleich; ihm schauert vor dem Schicksal seiner Men¬
sagt sie ja und spricht die Wahrheit;
sich ersticht. Ein Fest berauschenden Lebens voll Vernichtungs¬
schen. Er verliert die Herrschaft über sie, er stößt sie in
Du treu, so sagt sie wieder ja und w
dämonie soll jetzt unter den Schatten des Todes gefeiert werden.
das wirre Leben und stiehlt sich bei Seite, hülflos, matt,
heit, weil sie sich gar nicht an d
Mitten im Fest aber flieht Beatrice zurück zu Filippo.
erschöpft.
Unendliche Sehnsucht treibt sie ihr ist, als müßte sie mit
Schnitzler hat diesen Typus st
Dies Drama bringt Schwingung, Anregung; es führt
ihm sterben Als er aber, verdüstert durch des Lebens Wirrsal
Gewalttat und eine heißer pulsieren
uns tiefer in nins selbst. Aber der Frage, die es aufwirft,
durch diee Irrlicht=Vexierspiele seines Schicksals, Ernst macht,
seine Vorstellungen des müden Gen
den Komplikationen, die es vorführt, ist es künstlerisch an
schaudert sie zurück. Voll Ekel und Bitterkeit leert Filippo
sis und Sentimentalität, voll m
Kraft des Grifses, an Geschliffenheit der Sondierung nicht
das Glas mit dem Gift allein. Aber den kostbaren Schleier
voll der kraftlosen Sehnsucht n
gewachsen. Es wirkte durch das dunkelglitzernde Kolorit, durch
vergaß sie. Er wird der Verräter all ihrer geheimen Wege.
des Daseins, vermag er leibhaftiger
die schwebende Lebens= und Liebesmelancholie, die sich darüber
Der Herzog zwingt sie, ihn dorthin zu führen, wo sie ihn
in den Typen der Anatole und mod
breitet: es verstimmte aber durch den Eindruck, daß der Dichter
gelassen. Und in dem Raume, wo der tote Filippo liegt,
ges und femmes zu gestalten und au
die Hörer ebenso wie die Figuren des Stückes auf dornig
wo Beatrices Lebensrätsel angefangen, erfüllt sich ihr Ende.
ihm fremden und nur künstlich be
verstrickten Pfaden in die Irre setzt, ohne den eigenen Weg
Der Bruder löst das Rätsel mit einem Dolchstich, er weiß Goldbrokatwelt.
zu kennen. Wenn freilich einer darunter leidet, so ist er
nichts und versteht nichts von dieser Stummen, die sich nicht
Wie ihm so ging es auch den
leider gewiß an schwersten. Ein ähnliches Gefühl mag über¬
entschuldigen kann, nicht rechtfertigen wegen all der Unge¬
schen Theaters. Sie kleiden Verse
wogen haben, denn das Publikum ließ sich völlig durch
heuerlichkeit, die um sie geschehen. Er weiß nur, leben darf
schlecht wie Rasselrüstung und Män
die Einzelschönheit des Werks locken und ertrug das Spröde.
sie nicht. Und was wissen wir und die andern, die tiefer sehen,
übeer rotem Sammtwamms. Nur
* Und trotz des Zischens gab es starken Beifall, für den Schnitzler
als die grobe Einfalt dieses Bruders?
gebannt im Grauen, da sich ihr S#
nach jedem Akt danken durfte. Was wir nun sehen, war —.
„Der starb um Dich? Und den verrietest Du?
sal
die Schlinge zuzieht, ein unver
losgelöst von dem zu überreich wuchernden Beiwerk und der
Und mich um ihn? Und wiedrum ihn um mich?
Beerlin, 9. März.
unnötigen Ueberzahl der Personen —
Staffage
dieses.
Was bist Du für eein Wesen Beatrice?“
Eine Kette eng aneinandergerückter Schicksalssituationen, die

So fragt der Herzog erschüttert, geängstet von diesem Unbe¬
ein sechzehnjähriges Mädchen, Beatrice Nardi von Bologna, areiflichen, doch die Gefragte weiß nicht zu antworten, unschul¬
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