II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 340

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14: Der Schleier der Beatrice
ihrer Jugend, daß er Ehre, Ruhm und Vaterland! Daß Du Dich schwerer'n Grimm's von mir versiehst,
IDer Schleier der Beatrice.

für nichts achtet und nur nach Schäferstunden in Als wenn Du weigerst, was ich Dir befehle?
J„Herfnserem Berliner Bureau)
ihren weichen Armen bangt. Aber sie hat ihn
Das Schleier=Motiv! In Wien klang es
Berlin, 8. März.
verraten — im Traum. Nu# im Traum. Inzuerst an. Das feine Wiener Stückchen, ganz aus
Ein behagliches Junggesellenheim. Wiener
kindlicher, ahnungsloser Einfalt gesteht sie's. Und
dem Geist der „Heimat"= und „Milien=Kunst“ ge¬
Möbel, Wiener Blumen in den Vasen, Wiener Wal¬
dieses wunderlichen Dichter, ganzes Leben ist doch
boren, in seiner Mischung von Humor, Sentimen=1
zer auf dem Klavier. Ein eleganter junger Lebe¬
nur ein Träumen gewesen; ihm ist der Verrat
talität und laxer Moral so echt wienerisch und so
mann, so kurz vor dem Examen und ohne rechten
der Geliebten, die sich an die Seite des Herzogs
modern, verdankte seine Verwickelung, seine Spann¬!
Respekt vor dem Leben und seinem Ernst. Vor
träumt, so gut, wie der wirkliche Verrat —
ung, sein tragisches Ende und seinen Erfolg einem
ihm ein blasser, finsterer Herr, der sich, mühsam
er sagt sich von ihr los mit harten Worten. Und
Schleier, den eine aus Langeweile dem Abenteuer
den heiß aufwallenden Zorn in die Schranken der
sie wird, ihre Träume erfüllend, — Herzogin. Aber
geneigte Wienerin bei einem flotten, frischen Jun¬
Kavaliererziehung dämmend, die Lippen beißt.
da der Garten des Schlosses voll ist von Hochzeits=gen vergessen. Die wuchtig gedachte Tragödie, die
„Das Leben ist zuweilen lustig — ja —“, sagt
gästen, schleicht sie sich heimlich, in ihren Schleier
ihren Gehalt und ihre Menschen drapiert mit den
der fremde Herr.
gehüllt, durch die Straßen.“ Die Leidenschaft, die
schweren golddurchwirkten Gewändern d
r Re¬
Und der junge Mensch hält seinen starren Blick
ihr Kinderherz wach geküßt, läßt sie nicht ruhen;
naissance, die ihre Helden in Waffen klirren läßt
eine Weile aus; dann sieht er weg und sagt:
sie huscht zu dem Dichter Philippo. Er aber ver¬
rund die an Greueln und Größe reiche Zeit der
„Ich darf mir wohl die Frage erlauben, was mir
schmäht das Geschenk ihrer heimlichen Liebe. Borgias heraufbeschwört, dankt ihre Verwickelung,
die Ehre Ihres Besuches verschafft?“
Sterben will er mit ihr; und da sie schaudernd ihr tragisches Ende und einen Teil ihres Mißerfolges
„Gewiß —
meine Frau hat nämlich ihren
sich an's Leben klammert, trinkt er hohnlachend dem vergessenen Schleier der Beatrice Nardi, der vo#
Schleier bei Ihnen vergessen.“
allein das Gift. Von seiner Leiche flieht sie, wie fwunderlichen Braut, die an einem Tage aus den
an
Das ist der Wendepunkt; ist der Moment,
von Furien gehetzt, in den Glanz, in den Hoch= Armen eines Dichters in die Arme eines Herzogs
wo das Drama einsetzt. Bis hierher ist Schnitz¬
zeitstrubel, in's Leben. Aber eines hat sie zu¬
und in die Arme des Todes gleitet.
lers „Liebelei“ eine Komödie von jener leichten An¬
rückgelassen am stillen Ort ihrer Gedankensünden,
Der Bruder erdolcht sie. Der Bruder ist ein
mut gewesen, die zu den Wiener Möbeln, Wiener
bei der erkaltenden Leiche ihres Geliebten — den
naher Verwandier jenes Valentin, der nur zu frühj h
Blumen und Wiener Walzern auf dem Klavier
Schleier.
unter der Zauberklinge des Doktor Faust sein Leben##
stimmte. Jetzt wird's ernst. Das Kichern der be¬
mit einem letzten Fluche verhauchte. Wie er, ver¬
Und nun
sie zurückkommt zu dem fürstlichen
schwippsten lieben süßen Mädels im Nebenzimmer
dammt der junge Nardi die verbuhlte Schwester;
Gatten, den schon der Argwohn fiebernd durch
wird still. Der vergessene Schleier ist nur ein Sym¬
aber ihm bleibt noch die Kraft, zuzustoßen. Dann
die Säle trieb, entspinnt sich im fackelhellen Saal
bol. Die Gattin des fremden Herrn hat mehr
wird er, ein paar Stunden früher, wie sein Her¬
vor den Edlen Bolognas und dem zum Feste ge¬
vergessen, als ihren Schleier. Und der liebe junge
zog, zu Gott eingehen „als Soldat und brav“. Der
ladenen Volk dieser Dialog zwischen dem Herzog
Wiener Leichtsinn wird dafür sterben müssen.
Cäsar Borgia wird gründliche Arbeit tun; das ahnen
und seiner jungen Gattin:
Das Schleiermotiv hat Arthur Schnitzler nicht
wir, wenn der Herzog, ehe der letzte Vorhäng sich
Herzog.
losgelassen. Er hat sich von der Wiener Komödie,
senkt, die stolzen schönen Mannésworte spricht:
Wo warst Du? Rede! Und wo blieb der Schleier?
von den Mizzis und Anatols seines modernen Jung¬
Der Tag ist da.
Beatrice.
gesellenkreises abgewandt und den Versuch mit der
Und in den gleichen Glanz geh'n wir hinaus,
Ich weiß nicht, wo er ist. Nun ist er fort.
großen Komödie gemacht.
Der uns vor einem Jahr ersehnte Fernen
Herzog.
Wir sind im Bologna des 16. Jahrhunderts.
Mit lichtem Schein umrandet hat, als baute
Schaff' mir ihn her!
Lionardo Bentivoglio, der Herzog von Bologna,
Der junge Morgen selbst das stolze Tor
Beatrice.
bedrängt von den Kriegsknechten des Heuchlers und
Zum Eingang in die Welt, die uns empfing,
Ich soll —
Helden Cäsar Borgia, als dessen Opfer er — er
So festlich, wie der eig'nen Fülle jauchzend.
Herzog.
weiß es —
fallen wird, hat sich von der Lüstern¬
Heut' weist kein unermessiner Weg in's Weite,
Du sollst mit mir
heit der letzten Nacht verleiten lassen, die sechzehn¬
Und vor den Mauern endet uns’re Fahrt.
Den Schleier holen, wo Du ihn verlorst!
jährige Beatrice, die schöne Tochter des verrück¬
Und dennoch — mir erglüht die Sonne heut'
Beatrice.
ten Wappenschneiders Nardi, auf den Herzogsthron
Verheißungsvoll wie damals, denn wir geh'n
Ich kann nicht:
zu erheben.
Von allen Abenteuern, die im Dunkel warten,
Herzog.
Der Dichter Philippo Loschi hat das Mädchen
Dem neu'sten und gewaltigsten entgegen!
geliebt; er hat um ihretwillen die Braut verlassen.
#ie? Ist, was mich dort erwartet,
Es war kein Erfolg im Deutschen Theater
Seine Seele war so erfüllt von dem heißen Duft! So über alle Maßen schauervoll,
gestern. Kleine Gruppen klatschten. Der Wider=1