II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 368

74% Berlin, 8. Maiz. Theaterorief. Arthur Schnitzlers
Schauspiel Der Schleier der Beatrice, das vom Wiener Burg¬
theater erst angenommen und dann zurückgewiesen wurde, hat gestern
im Deutschen Theater seine erste Aufführung erlebt. Ein glücklicher
Ritt ins romantische Land ist dieses Stück, ins romantische Land der
italienischen Renaissance, wo man so ungezwungen in bunten Kostümen
schwelgen kann und wo sich die Galanterie schöner Frauen so harmonisch
zur degenklirrenden Ritterlichkeit stolzer Männer gesellt. Merkwürdig,
welche Anziehungskraft das Cinquecento jetzt auf die Dichterei übt.
Auch Maeterlinck nahm sich das Zeitalter zum Hintergrund für seine
Monna Vanna, von anderen Geringeren zu schweigen. Aber den
tieferen geistigen Inhalt der italienischen Renaissance hat uns noch
kein dramatischer Dichter vollkommen offenbart. Es ist auch schwer, sehr
schwer. Mit einem Dutzend Namen auf ini, omi, io oder otti, mit
Maskenballkostümen unv schiefen Türmen auf dem Prospekt ist die
F Sache jedenfalls nicht abgemacht. So bleibt immer der arge Ver¬
n dacht, der Dichter flüchte sich aus der leicht kontrolierbaren Gegenwart helnsire
ein paar Jahrhunderte zurück und einige Breitengrade südwärts ins sporto,
„ fonnige Italien, um unter dem Schutze der zeitlichen und räumlichen
„ Entfernung ungestörter flunkern zu können. Hier ist das Milieu schon
ahlbar
gegeben, das andere ehrlichere Dichter erst ersinnen müssen, man braucht
Voraus.
Ab bann nur noch eine Handvoll Nobili hineinzustellen und sie auf ein¬
ist das
Ab ander loszulassen. In unserem Falle ist es aber nicht ganz so schlimm, sit es den
die Gestalten in diesem Stück atmen wirklich etwas vom Geiste der
1.
Renaissance, es treibt in ihnen etwas von der Mischung aus feiner
In Bildung, übermütiger Lebensfreude und keckem Raufboldentum jener
h1 Zeit. Dafür aber enttäuscht der zu wenig folgerichtige Aufbau der
tend die
2c., Handlung und das lose Aneinanderflechten der Szenen ohne zwingenden
orgen¬
L61 Zusammenhang. Der Theaterzettel weist einen großen Schwarm von
Eeitung")
tug Personen nach, die auch in einigen Massenszenen durcheinander
haftliche
gewirbelt werden, aber nur drei davon halten das Interesse fest, die
ese Mit¬
anderen schwirren wie Schatten vorüber. In der vom Feinde bedrängten
Stadt Bologna spielen sich die Ereignisse ab. Der überall, namentlich!
bei den Frauen wohlgelittene Dichter Filippo Loschi verliebt sich in
die schöne Beatrice, eines simpeln Bürgers Tochter und läßt ihret¬
willen seine Braut im Stiche. Das neue Glück hält aber nicht lange
vor, der Dichter stößt das Mädchen wieder von sich, weil sie ihm harm¬
los einen Traum erzählt, einen Mädchentraum: daß der Herzog von
Bologna ihrer in verlaugender Liebe begehrt habe. Die verschmähte Braut
will sich nun aus Verdruß dem ersten Besten vermählen und ist gerade mit
diesem unterwegs zur Trauung, als der Herzog ihren Pfad kreuzt.
Die Stadt erwartt am andern Morgen den entscheidenden Ansturm
des Feindes, und ihr junger heißblütiger Herzog ist mit den Bürgern
eines Sinnes, daß man die Stunden bis dahin noch auskosten müsse.
Dabei soll ihm das schönste Mädchen Volognas Gesellschaft leisten,
und das ist Beatrice. Aber nur als rechtmäßige Gattin will sie sich
D
—.—
ihm zu eigen geben und kurz entschlossen führt sie der Herzog vom
Arm des Bräutigams weg zum Traualtar. Ein lustiges Hochzeitsfest
wird für ganz Bologna ausgerüstet, alles schwelgt in dim Genuß des
Augenblicks, unbekümmert um den Feind vor den Toren. Da ver¬
schwindet Beatrice, noch angetan mit dem Brautschleier schleicht sie
hevom=Feste fort zu ihrem geliebten Dichter. Eine vollkommen un¬
motivierte Szene gipfelt nun in dem Selbstmord Filippos, er nimmt
„Gif
Beatrice aber drängt zu sehr die Jugend, sie ist zu angst¬
vor dem Tode, sie vermag dem Geli bteu nicht zu folgen,
doch in ihrer wahnsinnigen Angst hat sie nicht gemerkt,
enden Hand ihr den Schleier von den Schult rn gezerrt
Schleier wird sie wieder vor den Herzog, ihren ange¬
gebracht. Der stößt sie von sich, weil sie nichts be¬
will und hat sie schon dem Henker überantwortel, als die Angst
em Tode Beatrice überwältigt und sie sich bereit erklärt, den
gdahin zu führen, wo sie den Schleier gelassen hat. Im Halbdunkel
der weichenden Nacht stehen beide im Zimmer Filippos, wo der Schleier
liegt und hintr der Gardine zum Schlafgemach der tote Filippo. Es
gibt ein langausgedehntes Hin und Her, Beatrice will den Herzog fort¬
ziehen von dem Schreckensort, aber der Herzog besteht darauf, jetzt hier
die Hochzeitsnacht zu verbringen. Da kommt mit dem hereinbrechenden
Tag die furchtbare Entdeckung, der Herzog erblickt den Leichnam
Filippos, er schüttelt Beatrice von sich ab und ihr Bruder, der
mit andern inzwischen herbeigeeilt ist, volleudet die Sühne er ersticht
das Mädchen. Das alles und dazu viel episodisches Beiwerk spielt
sich in fünf langen Akten ab, deren Aufführung fast 3½ Stunden in
Anspruch nimmt. Scharf herausgemeißelt ist nur die Figur der Beatrice,
des lebenswarmen, glückhungrigen Mädchens, das plötzlich zur
Liebe erwacht ist und hin und hergezerrt wird
von der
Stimme ihres Herzens, die sie zu Filippo ruft und dem Mädchen¬
traum, eine Fürstin zu werden, der sie zum Herzog lockt. Diesen
Zwiespalt ihrer Seele büßt sie durch den Tod. Schade nur,
daß der Dichter diese echt tragische Idee unter einem wüsten Gerank
von Nebensächlichkeiten zu sehr versteckt hat. Die Aufnahme des
Stückes, das in leichtflüssigen Jamben geschrieben ist und viele hoch¬
poetische Schönheiten hat, war eine sehr geteilte, anfangs sogar kühl
ablehnende. Dann stritt sich Beifall mit Zischen. Man muß das
Premièrenpublikum im Deutschen Theater kennen, um diesen Streit zu
begreifen. Es ist überfüttert mit übermodernem Geist und nimmt es
übel, wenn ihm nicht die gewohnte Mahlzeit vorgesetzt wird. Hinter
mir tröstet jemand nach dem ersten Fallen des Vorhangs seine Nach¬
barin damit, daß er für den großen Zwischenakt im Restaurant zwei
Koteletts mit Spargeln bestellt habe. — Die Darstellung wurde ge¬
tragen durch die meisterhafte Leistung von Irene Triesch als Beatrice.
= Vom Worte „Sport“. Man schreibt uns aus Münster:
Ich lese in Nr. 179 der „Rhein.=Westf. Ztg.“, daß der gute Franzose
Jusserand das englische Wort „sport“ auf eine altfranzösische
Quelle und Abstammung zurückführen möchte. Demgegenüber möchte
ich daran erinnern, daß bereits die germanischen Goten zurzeit des
Bischofs Ulfilas (380 u. Chr.) ein Wort „spaürd“ (ad =o wie
in Korn oder Horn) in ihrer Sprache hatten, das „Rennbahn“
bedeutet und offenbar das Stammwort für das angelsächsische Sport
ist.
Das gotische Wort trägt sogar schon die Beschränkung auf den
eigentlichen Pferde=Rennsport in sich.