II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 367

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14. Der Schleien der Beatrice
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Ausschnitt
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Nr. 84
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Ausschnitt aus: seirisch Westrh. Zeitung Errer
vom:705
* Berlin, 8. Maiz. Theaterorief. Arthur Schnitzlers
Schauspiel Der Schleier der Beatrice, das vom Wiener Burg¬
theater erst angenommen und dann zurückgewiesen wurde, hat gestern
im Deutschen Theater seine erste Aufführung erlebt. Ein glücklicher
Ritt ins romantische Land ist dieses Stück, ins romantische Land der
italienischen Renaissance, wo man so ungezwungen in bunten Kostümen
schwelgen kann und wo sich die Galanterie schöner Frauen so harmonisch
zur degenklirrenden Ritterlichkeit stolzer Männer gesellt. Merkwürdig,
welche Anziehungskraft das Cinquecento jetzt auf die Dichterei übt.
Auch Maeterlinck nahm sich das Zeitalter zum Hintergrund für seine!
Monna Vanna, von anderen Geringeren zu schweigen. Aber den
tieferen geistigen Inhalt der italienischen Renaissance hat uns noch
kein dramatischer Dichter vollkommen offenbart. Es ist auch schwer, sehr
schwer. Mit einem Dutzend Namen auf ini, omi, io oder otti, mit
Maskenballkostümen und schiefen Türmen auf dem Prospekt ist die
Fi Sache jedenfalls nicht abgemacht. So bleibt immer der arge Ver¬
n dacht, der Dichter flüchte sich aus der leicht kontrolierbaren Gegenwart helusive
n ein paar Jahrhunderte zurück und einige Breitengrabe sübwärts ins Porto.
n sonnige Italien, um unter dem Schutze der zeitlichen und räumlichen fahlbar
„ Entfernung ungestörter flunkern zu können. Hier ist das Milieu schon
Voraus.
gegeben, das andere ehrlichere Dichter erst ersinnen müssen, man braucht
Ab dann nur noch eine Handvoll Nobili hineinzustellen und sie auf ein= ist das
Ab ander loszulassen. In unserem Falle ist es aber nicht ganz so schlimm, #t es den
die Gestalten in diesem Stück atmen wirklich etwas vom Geiste der fn.
Renaissance, es treibt in ihnen etwas von der Mischung aus feiner
Bildung, übermütiger Lebensfreude und keckem [Kaufboldentum jener
Inf
h1 Zeit. Dafür aber enttäuscht der zu wenig folgerichtige Aufbau der Stend die
io Handlung und das lose Aneinanderflechten der Szenen ohne zwingenden jorgen¬
Lei Züsammenhang. Der Theaterzettel weist einen großen Schwarm von Leitung")
the ###onen nach, die auch in einigen Massenszenen durcheinander khaftliche
gewirbelt werden, aber nur drei davon halten das Interesse fest, die jese Mit¬
anderen schwirren wie Schatten vorüber. In der vom Feinde bedrängten
Stadt Bologna spielen sich die Ereignisse ab. Der überalt, namentlich
bei den Frauen wohlgelittene Dichter Filippo Loschi verliebt sich in
die schöne Beatrice, eines simpeln Bürgers Tochter und läßt ihrei¬
willen seine Braut im Stiche. Das neue Glück hält aber nicht lange
vor, der Dichter stößt das Mädchen wieder von sich, weil sie ihm harm¬
los einen Traum erzählt, einen Mädchentraum: daß der Herzog von
Bologna ihrer in verlangender Liebe begehrt habe. Die verschmähte Braut
will sich nun aus Verdruß dem ersten Besten vermählen und ist gerade mit
diesem unterwegs zur Trauung, als der Herzog ihren Pfad kreuzt.
Die Stadt erwartt am andern Morgen den entscheidenden Ansturm
des Feindes, und ihr junger heißblütiger Herzog ist mit den Bürgern
eines Sinnes, daß man die Stunden bis dahin noch auskosten müsse.
Dabei soll ihm das schönste Mädchen Bolognas Gesellschaft leisten,
und das ist Beatrice. Aber nur als rechtmäßige Gattin will sie sich
Wne- . ern
ihm zu eigen geben und kurz entschlossen führt sie der Herzog vom
Arm des Bräutigams weg zum Traualtar. Ein lustiges Hochzeitsfest
wird für ganz Bologna ausgerüstet, alles schwelgt in dim Genuß des
Augenblicks, unbekümmert um den Feind vor den Toren. Da ver¬
schwindet Beatriee, noch angetan mit dem Brautschleier schleicht sie
sich vom Feste fort zu ihrem geliebten Tichter. Eine vollkommen un¬
motivierte Szene gipfelt nun in dem Selbstmord Filippos, er nimmt
Gift. In Beatrice aber drängt zu sehr die Jugend, sie ist zu angst¬
beklommen vor dem Tode, sie vermag dem Geli bten nicht zu folgen.“
sie stürzt fort, doch in ihrer wahnsinnigen Angst hat sie nicht gemerkt,
daß des Sterbenden Hand ihr den Schleier von den Schult rn gezerrt
hat und ohne Schleier wird sie wieder vor den Herzog, ihren ange¬
trauten Gemahl, gebracht. Der stößt sie von sich, weil sie nichts be¬
kennen will und hat sie schon dem Henker überantworket, als die Angst
vor dem Tode Beatrice überwältigt und sie sich bereit erklärt, den
Herzog dahin zu führen, wo sie den Schleier gelassen hat. Im Halbdunkel
der weichenden Nacht stehen beide im Zimmer Filippos, wo der Schleier

liegt und hintr der Gardine zum Schlafgemach der tote Filippo. Es
gibt ein langausgedehntes Hin und Her, Beatrice will den Herzog fort¬
ziehen von dem Schreckensort, aber der Herzog besteht darauf, jetzt hier
die Hochzeitsnacht zu verbringen. Da kommt mit dem lereinbrechenden
Tag die furchtbare Entdeckung, der Herzog erblickt den Leichnam
Filippos, er schüttelt Beatrice von sich ab und ihr Bruder, der
mit andern inzwischen herbeigeeilt ist, volleudet die Sühne er ersticht