II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 371

Tiliale in Budapest: „Figyeló“ -
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
Verwärts (Barhien
vom: 4 78
Deutsches Thcater. „Der Schleierder Beatrice“
Schauspiel in 5 Akten von Arthur Schnitzler. — Der Titel
es Stückes, das Anlaß eines Streites zwischen Schnitzler und der
Direktion des Wiener Burgtheaters wurde, ist damals in den
Blättern oft genannt und dann inzwischen wieder halb ver¬
gessen. Die lang hinausgeschobene Aufführung im „Deutschen
Theater“ war leider eine Enttäuschung, eine um so größere,
da Schnitzlers Einakter=Cyklus, der im Vorjahr über diese Bühne
ging, ein so durch und durch persönliches Gepräge trug und unge¬
wöhnliche Hoffnungen geweckt hatte. Die „Dame mit dem Dolche“
„Die letzten Masken“, „Litteratur“, wie eigenartig war das in der Auf¬
fasse
klug pointiert, wie beziehungsreich im Dialoge! Dies¬
mal sucht man nach einem Punkte, von dem aus es möglich wäre,
der Handlung und den Personen Interesse abzugewinnen,
vergeblich.
Es sind 5 Akte voll bunter Bilder, seltsamer
Abenteuer und langer im Jambenschwung einherstürmender Reden,
die bei allem Lärm der Leidenschaften, wie ein unbeseeltes Fremdes, usive
ohne in uns irgendwelche Spur zurück zu lassen, vorüberfließen. In rto.
einer knappen chronikhaft erzählenden Novellendarstellung, die nach alt= lbar
italienischer Art sich mehr an das Geschehene als an die Aufdeckung oraus.
zwingender Motive hält, hätte die Geschichte Beatrices durch den Reiz der
4 Wechselfälle, durch den Ausblick auf die stürmisch bewegte Mel; der
st das
es den
italienischen Renaissance vielleicht zu fesseln vermocht. Zum Drama
auseinander gezogen, mit breitem lyrisch=rhetorischen Ausschmuck
überdeckt, kann die Historie in ihrer inneren psychologischen nd die
Zusammenhangslosigkeit nicht anders als ermüdend wirken.
Das Stück spielt in dem belagerten Bologna am Tagesen¬
tung")
und in der Nacht vor dem entscheidenden Kampfe. Filippo= stliche
Loschi, der Poct, will mit Beatrice,
wenigen Tagen in den Weg gefühlt, S### ufall ihm vorse Mit¬
mit ihr dünkt ihm die höchste aller Seligkeiten, die Liebe hat jedes
andre Fühlen in ihm ausgelöscht. Da, im letzten Augenblicke, erzählt
das Mädchen ihm ganz arglos einen Traum, Volognas Herzog habe
sie geküßt. Empört weist er sie von sich. Der Traum ist, ihm ein
Zeichen, daß ihm ihr Herz nicht ganz gehört. In einem Bacchanal
mit Florentiner Courtisanen, die in der todgeweihten Stadt für¬
sich die reichste Beute wittern, sucht er den ersten jähen Schmerz¬
in seiner Seele zu betäuben. Und Veatrice? Geht nach
Hause, läßt sich von ihrem Bruder, der für der Schwester Reinheit
fürchtet, mit einem Gesellen aus des Vaters Werkstatt zur Tranung
führen und wird noch an demselben Abend — Herzogin! Auf
öffenem Marktplatz vor den Bürgern spielt sich die Seene ab. Wie
der Herzog mit dem Gefolge naht, fällt sein Auge auf das
schöne Kind. Die letzte Nacht sei noch der Lust geweiht.
Er bietet ihr, wenn sie ihm folge, alles, was
sie ver¬
langen wird. Und Beatriee
vor versammeltem Volke
verlangt des Herzogs Hand! Der, rasch einverstanden, nennt sie
vor den Bolognesern seine Braut, und ladet die Getreuen zum nächt¬
lichen Hochzeitsfest. Im Handumdrehen ersticht sich dann noch oben¬
edrein der arme bürgerliche Bräutigam, was Beatrice vollständig kalt
äßt. Und dann, kaum daß sie den Brautschleier empfangen, besinnt sie sich.
#aß sie im Grunde nur Filippo gut sei, und stürzt zu dem Geliebten. Noch
önnte Filippo mit ihr auf und davon. Aber ganz so wie Veatrice
ind der Herzog konsequent das Umgekehrte von dem, was man er¬
värten sollte, thun, hat er für sich den Tod beschlossen. Ob sie
git ihm zusammen wird sterben wollen, das soll die Probe
uf Beatricens Liebe sein. Sie scheint einzuwilligen, aber
zie er sie mit listiger Lüge schreckt: Der Wein, den er
und
erwacht in
getrunken enthalte tödliches Gift
ihr fiebernde Angst. Verächtlich löst er ihre Furcht und. nun den
wirklichen Gifttrank leerend, stirbt er vor ihren Augen. Die Spraché
zimmt in diesen Scenen einen hohen Flug, aber die kalte Unnatur
in den Voraussetzungen, das Wesenlose in der Charatteristik läßt es
u keinem Widerhall der Worte kommen. Zitternd eilt Veatrice in
#en herzoglichen Palast zurück. Sie lügt; doch daß sie den
Schleier verloren, verrät sie.
Ein Gericht verurteilt sie
um Tode, aber der Herzog verspricht ihr
man weiß
cht recht aus welchem Grunde
Aufschub oder Rettung
venn sie ihn hingeleite, wo sie den Schleier verlor.
Die beiden
Liebhaber, der Todte und der Lebende sollen eben noch einmal
konfrontiert werden! An der Leiche Filippos preist der Herzog den
hohen Sinn des Dichters, den Beatrice so schmählich wie ihn selbst
verraten habe. Sie bittet um den Tod, der Dolch ihres Bruders
durchbohrt sie, und der Herzog mit den Seinen eilt zur Schlacht.
Irene Triesch als Beatrice war ausgezeichnet in der
Biedergabe all' der wechselnden Empfindungen, die Schnitzlers
Heldin zu durchlausen hat; die leisen Töne vertrauender Liebe klangen
ganz so natürlich wie der Aufschrei des Entsetzens und das bange
Stammeln schuldbewußter Furcht. Aber so wenig wie in der
Dichtung wollten sich in diesem trefflichen Spiel die zerstreuten
Züge zu einer lebendigen Einheit des Charatters zusammenfügen.
Markig kraftvoll sprach Kayßler den jugendlichen Herzog. Im übrigen
ließ die Aufführung recht viel zu wünschen übrig. Gerade die be¬
rühmtesten, naturalistischen Darsteller versagten diesem fremden
Stil gegenüber. Rittner war in der großen Rolle des Filippo,
Bassermann in der kleinen Rolle Francesco Nardis, des Bruders
Beatrices von seltsamer Trockenheit. Schnitzler konnte öft erscheinen.
EEs wurde geklatscht und gezischt; die Mehrheit hielt sich süll ab¬!
ehnend zurück. —
Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
„UBSERWER“
Nr. 38
1
Na106
I. österr. behofdl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 17.
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Wremdenblatt, Wien
Ausschnitt aus:
vom: 17 702
Arthur Schnitzler's fünfaktiges Drama „Der Schleier
der Beatrice“ (es ist jenes Drama, das seinerzeit den Gegenstand
des Konfliktes zwischen Dr. Schnitzler und Direktor Schlenther gebildet
hat) wurde am letzten Samstag im Deutschen Theater zu Berlin
zum erstenmale aufgeführt und mit Beifall und Zischen aufgenommen.
Schließlich überwog — nach den Berichten der Berliner Presse

doch
der Beifall. Der Dichter konnte einigemale dankend erscheinen. Die Dar¬
stellung wird im Allgemeinen ziemlich scharf getadelt. Blos Fräulein
Triesch findet die Anerkennung, dem Style der Dichtung nahe gekommen
zu sein. Ueber das Drama äußert sich der Kritiker der „National=Ztg.“
folgendermaßen: Der Dichter verlegt seine Handlung nach Bologna,
während Cesare Borgia die Stadt mit seinen Truppen zu Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts umzingelt hat. Der Gegensatz zwischen der hohen
künstlerischen Kultur und dem ungezügelten Sinnenleben jener Zeit wird
darin scharf hervorgehoben und mit einer tragischen Liebesgeschichte ver¬
bunden. Der Herzog von Bologna, der unter den Schönen seiner Stadt
Beatrice, der Tochter eines blödsinnigen Wappenschneiders, den Vorzug
gibt, vermählt sich zum Erstaunen Aller mit ihr, da sie ihm sonst nicht
angehören will. Aber in der Hochzeitsnacht flieht Beatrice zu einem Dichter
Filippo, der aus Liebe zu ihr in den Tod geht. Als der Herzog den
Betrug merkt, will er sie tödten lassen, folgt ihr aber nach der Wohnung
Filippo's, wo sie ihren Schleier, das Geschenk des Herzogs, verloren hat.
Dort wird Beatrice von der Hand ihres Bruders erdolcht. In Beatrice
führt uns der Dichter ein von glühender Sinnenlust erfülltes Naturkind
vor, das mit der Liebe, der Krone und dem Tod immer nur spielt und
dadurch ihre Umgebung in Unheil verstrickt. Der „Schleier der Beatrice“
enthält Szenen, die zum Besten gehören, was Schnitzler überhaupt ge¬
schrieben hat, aber die einzelnen Theile sind psychologisch nicht tief genug
verbunden, um dem langen Drama — die Aufführung begann bereits um
7 Uhr und endigte nach ¼11 Uhr — volle überzeugende Kraft zu verleihen.“
Plspeete gratis- ulid Franied.