II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 404

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14: Der Schleier der Beatrice
Der Schleier der Beatrice.
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rei der Liebe wir sähen, wenn die Menschheit von der Nähe des Weltunterganges
überzeugt würde; nur die bändigende Pflicht sittlicher Selbsterhaltung hemmt
ja die Liebe in ihrem Lauf. Im Angesicht des Todes spräche nur die Natur;
der mächtigste ihrer Triebe entwände sich allzu lange ertragenen Zügeln und
risse seine Urrechte an sich; wenn man ohne Furcht vor Strafe dem von so
vielen Bannflüchen umdräuten Baum nahen dürfte, stiege aus Aller Brust
ein einziger Schrei. Jeder wüßte: dieser Liebe leuchtet kein Morgen mehr;
Jeder suchte Unendlichkeit in das Raummaß kurzer Stunden zu pressen;
Jeder ließe sich eine Lust, die den verrinnenden Lebensborn nun nicht mehr
beschmutzen könnte. In vollen Zügen genösse die Menschheit das Aphrodi¬
siakum, das seligen Tod verheißt.“ So hat Lionardo Bentivoglio es gewollt.
Solches Ende in Wollust wünschte er den Bolognesen, deren Welt Borgias
unabwendbarer Sieg den Untergang bringt. Und lächelnd sieht deshalb
sein Auge in Schloß und Garten das Rasen trunkener Gier.
Er hatte für diese letzte Nacht feinere Freude geträumt. Einen Poeten,
dessen Lieder er lieben lernte, wollte er sehen, den Menschen zum ersten Male
der Mensch, und von des Dichters Lippe den Wohllaut hören, der, wie kunst¬
voll geschmiedetes Gold, das Edelgestein starker Gedanken umschließt. Doch
Filippo Loschi versagt sich dem gnädigen Ruf; er weiß: dem Herrn empfiehlt
ihn ein Verlöbniß, das er im Herzen schon brach und dessen Zwang er morgen
vor Aller Augen entschlüpfen wird. Der Bruder der verlassenen Braut ist
des Herzogs nächster Freund; wie träte der Ungetreue da vor seinen Fürsten?
Filippos Weigerung wird Filippos Verhängniß. Der Herzog nimmt, ohne es
zu ahnen, dem Dichter das erste Wesen, in dessen Arm der spröde Schwächling
sich einen Schöpfer wähnte. Da Apoll die Saiten nicht rühren mag, soll Venus
der letzten Nacht Trösterin sein. Aphrodite Parthenos; die Schönste in Bologna
und rein ;recht geschaffen, eines Helden Todesschauer zu süßen. Auf der Straße
fand sie der Fürst. Schlechter Leute Kind. Dem Vater, einem geschickten Wap¬
penschneider, haben die schlimmen Luderstreiche der Frau den Sinn verwirrt;
und wie die Mutter scheint auch die älteste Tochter mit Kanthariden genährt.
Des Hauses Jüngste aber, Beatrice Nardi, schreitet in prangendem Lenzreiz
durch Jammer und Schmach; und wann fragte berauschter Sinn ein holdes
Menschenwunder nach seiner Sippe? Eben hat ihr der Bruder den Gatten
gefreit, einen tüchtigen Handwerksgesellen, der sie noch heute dem Schmutz
des Hauses und der Noth der Heimath entführen soll. In der Kirche harrt
schon der Priester des Paares. Daheischt der Herzog die Braut als sein letztes
Liebchen. Nicht ungestüm drängt er, befiehlt nicht und ist bereit, dem blon¬